04.06.2025 | Deutscher Bundestag / 21. WP / Sitzung 9 / Tagesordnungspunkt 4

Helge LindhSPD - Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Um eine rhetorische Figur zu bemühen: Es ist so etwas wie eine Contradictio in Adjecto, also ein Widerspruch in der Beifügung,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das verstehen wir schon!)

wenn die AfD von Staatsversagen spricht, weil Sie in vielerlei Hinsicht diesen Staat nicht wirklich respektieren und anerkennen. Sie stellen permanent den Verfassungsschutz infrage, fühlen sich dauernd zu Unrecht verfolgt, bezweifeln fundamental Gerichtsurteile, das Verfassungsgericht usw. usf.

(Martin Hess [AfD]: Das fällt unter die Meinungsfreiheit, Herr Lindh! Das ist in Deutschland erlaubt!)

Sie leben geradezu das Misstrauen in den Staat. Sie sind die Letzten, die in diesem Hause von Staatsversagen sprechen können; denn Sie erkennen diesen Staat in seiner Form gar nicht an.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der AfD: Was für ein Unsinn!)

Ich könnte es mir angesichts dessen jetzt leicht machen – genug Gründe dafür liefern Sie in Ihrer Rede – und so tun, als ob uns diese Themen nicht beschäftigten. Aber das wäre natürlich unredlich. Wir haben in den letzten Jahren permanent und detailliert über Abschiebungshaft, Ausreisegewahrsam und all diese Fragen gesprochen,

(Martin Hess [AfD]: Gesprochen, aber nicht gehandelt, Herr Lindh! Das ist das Problem!)

und wir werden das auch noch in den folgenden Monaten tun.

Es wäre auch unredlich, zu verschweigen, welche Debatte es Ende Januar über den Entschließungsantrag gab. SPD und Union hatten da unterschiedliche Bewertungen, koalieren jetzt aber, weil wir Demokratinnen und Demokraten sind und wissen, welche Verantwortung wir für diesen Staat tragen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Götz Frömming [AfD]: Weil Sie nicht anders konnten!)

Der Punkt ist aber, dass es Ihnen gar nicht um die Regelung dieser Fragen geht. Vielmehr zeigt Ihr Antrag – und damit ist er zutiefst selbstentlarvend –, dass es Ihnen nur darum geht, einen Spalt in die Koalition zu treiben, sie vorzuführen. Sie verbinden legitime Oppositionslogik mit der typischen AfD-Methodik, die eine reine Instrumentalisierung aller Themen darstellt und präsentiert.

(Raimond Scheirich [AfD]: Ja, wer ist denn verantwortlich für die illegale Massenmigration?)

Es ist ja so – jetzt muss ich zum Verteidiger der Union werden; aber das mache ich gerne –, dass Sie so tun, als wären Sie Unterstützer der Union. Sie wollen aber nicht nur permanent Grüne, SPD und Linke lächerlich machen und vorführen

(Widerspruch bei der AfD)

und wittern überall links-grüne Verschwörung. Ihre vermeintlichen Angebote an den Konservatismus sind in der Realität nichts anderes als der Versuch, auch den Konservatismus zu zerstören. Es ist deshalb entscheidend, einen Unterschied zu machen zwischen der Politik dieser Koalition und dem, was Sie fordern,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Uns geht’s um die Sache, Herr Lindh, und um die Menschen! Mein Gott! Uns geht’s um die Menschen in diesem Land, nicht um Ihre Koalitionsbefindlichkeiten!)

und dem Geist, der dahintersteckt. Das ist ein fundamentaler Unterschied.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])

Kevin Kühnert hat das in diesem Parlament sehr gut und richtig benannt.

Besonders entlarvend ist aber, wie elliptisch Sie vorgehen. Das macht den Unterschied noch mal wunderbar sichtbar. Wir schweigen nicht über Kriminalität,

(Martin Hess [AfD]: Sie tun aber auch so gut wie nichts!)

und wir sagen auch nicht: Es gibt keine Kriminalität oder bedrohlichen Phänomene im Bereich der Kriminalität bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte und Flüchtlingshintergrund. Aber wir betreiben keinen Stil der Rassifizierung. Vielmehr versuchen wir, das sachlich und nüchtern zu beurteilen, anders als Sie.

Wenn es Ihnen um die Bekämpfung von Kriminalität und politisch indizierter Kriminalität geht, warum schweigen Sie dann permanent über sich selbst?

(Beifall bei der SPD und der Linken)

Warum schweigen Sie permanent beim Thema Rechtsextremismus? Warum verschweigen Sie immer die Statistiken darüber? – Ich mache mir ja die Mühe, mich mit Ihnen argumentativ auseinanderzusetzen; das ist für mich eine starke persönliche Belastung, aber ich tue es.

(Lachen bei der AfD)

Sie verraten sich selbst, indem Sie immer darüber schweigen. Wenn Sie das politische Kriminalitätsproblem in Ihren eigenen Reihen erwähnen würden, dann hätten Sie eine Spur von Glaubhaftigkeit. So ist massiv durchschaubar, was Sie tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Linken)

Sie verschweigen auch immer wissentlich und gezielt im Zusammenhang mit den Anschlägen, über die wir sprechen müssen – Magdeburg, Solingen, Aschaffenburg – und die auch so zu benennen sind, wo auch die Frage der Radikalisierung klar und deutlich zu adressieren ist – was haben wir getan, und was werden wir weiter tun? –, dass ganz viele derjenigen, die den Opfern von Terroranschlägen danach geholfen haben, selbst eine Einwanderungsgeschichte haben.

(Beifall der Abg. Maja Wallstein [SPD])

Ihre Taten wurden von Ihnen nicht gewürdigt. Kein Wort davon, immer nur Schweigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist heuchlerisch. Doppelte Standards, nichts anderes führen Sie hier vor.

Und Sie erwähnen auch nicht – selbstverständlich nicht –, was es anrichtet, wenn man in der Weise, wie Sie es tun, über Abschiebung und Kriminalität spricht, nämlich indem man sagt: Kriminalität ist ein Migrationsphänomen, und Migration ist gleich Islamismus. – Das ist ja Ihre kognitiv sehr überschaubare Logik.

(Martin Hess [AfD]: Das hat nie einer behauptet, Herr Lindh! Sie halluzinieren mittlerweile!)

Das bedeutet für Millionen von Menschen in diesem Land mit Migrationshintergrund – um diesen Begriff zu bemühen – eine Verletzung und ist eine Respektlosigkeit ihnen gegenüber. Diese Menschen wollen gerne über Migrationspolitik diskutieren und streiten; aber sie verbitten sich zu Recht, permanent auf diese Weise rassistisch verhöhnt, infrage gestellt und als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Unsinn!)

Und genau das ist es, was Sie auch heute wieder betreiben,

(Martin Hess [AfD]: Sie müssen mal zuhören, Herr Lindh! Das weise ich dezidiert zurück, was Sie hier behaupten! Das ist eine Unverschämtheit!)

indem Sie so tun, als wäre Kriminalität allein ein Migrationsphänomen und als gäbe es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit beweisen Sie wieder – und ich danke Ihnen, dass Sie für ein etwaiges Verbotsverfahren heute wieder Stoff geliefert haben –,

(Lachen des Abg. Dr. Christian Wirth [AfD])

dass Ihr Handeln nicht auf dem Prinzip der Menschenwürde beruht. Vor dem Hintergrund der Menschenwürde gibt es übrigens auch bei Menschen in Abschiebungshaft oder Sicherungshaft keine zwei Klassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken)

Schließlich heißt es „Menschenrechte“ und nicht „Deutschenrechte“, und es wird nicht unterschieden, ob und wann Vorfahren eingewandert sind oder man selbst eingewandert ist; denn Menschenwürde ist universell.

Wir stehen auf dieser Basis, unsere Haltung gründet sich auf dem Prinzip der Menschenwürde. Bei allen Differenzen werden wir, Regierung und Opposition, –

Kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

– dafür sorgen, dass dieses Denken von rechts hier niemals regieren wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Martin Hess [AfD]: Das entscheidet immer noch der Wähler, Herr Lindh! – Dr. Christian Wirth [AfD]: Danke für die Wahlwerbung!)

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Abgeordnete Ferat Koçak das Wort.

(Beifall bei der Linken)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7632129
Wahlperiode 21
Sitzung 9
Tagesordnungspunkt Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft
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