18.11.2013 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 2 / Tagesordnungspunkt 1

Norbert Lammert - Regierungserklärung zum EU-Gipfel 'Östliche Partnerschaft'

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich Folgendes mitteilen: Mehrere Vorredner haben darauf hingewiesen, dass die Europäische Kommission am 24. Oktober die Auszahlung der nächsten Kredittranche in Höhe von insgesamt 5,6 Milliarden Euro an Portugal vorgeschlagen hat. Unsere Parlamentsbeteiligungsrechte geben dem Haushaltsausschuss das Recht, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Da wir derzeit noch keinen neuen Haushaltsausschuss haben, fällt das Recht zur Stellungnahme in diesem Fall dem Plenum zu. Wir haben uns in der CDU/ CSU-Fraktion eingehend mit dem Umsetzungsbericht beschäftigt. Aus unserer Sicht spricht nichts gegen die Auszahlung der nächsten Tranche. Portugal ist insgesamt auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun zur Östlichen Partnerschaft. Fast ein Vierteljahrhundert nach der Überwindung der Teilung gibt es in Europa noch zwei Regionen, in denen Sicherheit und Stabilität – und das heißt vor allem Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung – weiter gestärkt werden müssen; denn je mehr das gelingt, desto besser kann sich Europa auf die wachsenden Herausforderungen konzentrieren, die von außerhalb unseres Kontinents kommen. Ich nenne nur die Entwicklungen in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten.

Eine dieser Regionen ist der westliche Balkan. Hier sind wir mit dem Assoziierungs- und Erweiterungsprozess auf einem guten Weg. Die andere Region sind die Länder in unserer östlichen Nachbarschaft. Dort darf es kein Zwischeneuropa geben. Welche fatalen Folgen die Entstehung eines Zwischeneuropas hat, wissen wir aus der Geschichte. Deshalb liegt es im vitalen Interesse der Europäischen Union, dass diese östlichen Länder eine klare europäische Orientierung und Verankerung haben und nicht zwischen ihren großen Nachbarn hin- und hergerissen sind.

Das zu erreichen, ist die große strategische Aufgabe der Östlichen Partnerschaft. Sie muss ein wirksames Instrument zur Vermeidung eines neuen Zwischeneuropas und zur Stabilisierung und Stärkung dieser Nachbarschaftsländer sein. Angesichts dieses vitalen Interesses und dieser großen Aufgabe wünsche ich mir für die Zukunft ein stärkeres Engagement und eine bessere Wahrnehmung dieser Länder durch die Europäische Union.

Einige dieser Nachbarn haben ein starkes Interesse an einer möglichst engen Zusammenarbeit mit der EU. Andere zeigen zurzeit ein eher geringeres Interesse. Dritte sind zwischen der EU und Russland hin- und hergerissen. Dennoch ist es richtig, dass die EU allen Ländern dieser Region auch weiterhin eine möglichst enge Zusammenarbeit anbietet. Assoziierungs-, Freihandels- und Visaerleichterungsabkommen und eine stärkere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sind und bleiben dafür die besten Instrumente. Aber es ist wichtig, dass die EU dabei differenzierter vorgeht, nach dem Prinzip: more for more, less for less.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft Ende des Monats ist – die Bundeskanzlerin hat es erwähnt – die Unterzeichnung bzw. Paraphierung einer neuen Generation von Assoziierungsabkommen mit drei Ländern vorgesehen. Diese sind mit einem sogenannten tiefen und umfassenden Freihandelsabkommen verbunden. Diese Verträge markieren nicht nur den Weg hin zu einem neuen Niveau wirtschaftlicher Zusammenarbeit und einer neuen Öffnung auf die europäischen und globalen Märkte. Sie bedeuten auch die schrittweise Annäherung an europäische Normen und Werte.

Nicht zuletzt eröffnen diese Abkommen den Ländern die europäische Perspektive einer Teilhabe am Europäischen Wirtschaftsraum – mit allen Vorteilen, wie die Schweiz oder Norwegen sie haben. Die Eröffnung dieser Perspektive ist die Kernbotschaft, die von der Unterzeichnung bzw. Paraphierung der Abkommen beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft ausgeht. Die Menschen in diesen Ländern verbinden damit große Hoffnungen. Das muss auch der ukrainische Präsident Janukowitsch bedenken, wenn er über den Fall von Julija Timoschenko entscheidet.

Lassen Sie mich dazu in aller Klarheit sagen: Wir wollen, dass die Ukraine enger an die EU angebunden wird. Wir wünschen uns eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens beim Gipfel. Aber es liegt allein in den Händen der Ukraine, die gemeinsam abgesprochenen Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Das gilt auch mit Blick auf Frau Timoschenko.

Wir sehen sehr genau, wie Russland versucht, eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine mit allen Mitteln zu verhindern: Neben der altbekannten Energiewaffe werden Handelsembargos, Boykotts, Importstopps oder gar der totale Zusammenbruch der Ukraine angedroht. Diese Versuche Russlands, nicht nur die Ukraine, sondern auch andere Staaten der Östlichen Partnerschaft, etwa Moldau, unter Druck zu setzen, weil sie einen anderen Weg gehen wollen, als Moskau es will, sind eine gravierende Verletzung der Prinzipien der OSZE-Charta von Paris. Solche Eingriffe in die Souveränität einzelner Länder sind völlig inakzeptabel. Russland verstößt damit eklatant gegen sein eigenes Konzept eines gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitären Raums Europa.

Auch deshalb ist die Zeit für einen weiteren Schlingerkurs vorbei. Kiew muss jetzt eine klare Entscheidung treffen. Das heißt auch: Ohne eine Ausreise von Frau Timoschenko für eine medizinische Behandlung im Ausland kann es keine Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen geben.

Mit Blick auf die angedrohten russischen Vergeltungsmaßnahmen sage ich aber auch: Die EU wird sich auf jeden Fall mit dem Partner Ukraine solidarisch zeigen. Dafür gibt es bereits die notwendigen Instrumente. Sie werden umso besser genutzt werden können, je mehr Kiew die erforderlichen Voraussetzungen dafür schafft.

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Östliche Partnerschaft ist nicht exklusiv oder konfrontativ, und sie ist vor allem nicht gegen Russland gerichtet. Es bleibt den östlichen Partnern unbenommen, gute politische und wirtschaftliche Beziehungen mit Russland und mit der Zollunion zu wahren und gleichzeitig mit weiteren Partnern Freihandel zu treiben. Von einer Modernisierung und wirtschaftlichen Entwicklung seiner Nachbarstaaten, die durch diese Assoziierungsabkommen bewirkt werden können, kann auch Russland profitieren. Das liegt auch in unserem Interesse.

Präsident Putin hat das Projekt eines gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraumes vorgeschlagen. Sein neues außenpolitisches Konzept wiederholt die Idee eines gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitären Raums zwischen Atlantik und Pazifik. Ist die Vision gemeinsamer Räume nicht am ehesten über solche Abkommen zu erzielen, die der wachsenden Kooperation und Annäherung dienen?

Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist genau das Gegenteil des alten Nullsummendenkens, welches in einer vertraglichen Bindung der Staaten der Östlichen Partnerschaft an die EU einen Machtverlust sieht statt die Chance, eine gemeinsame neue Ordnung – auch eine gemeinsame neue Sicherheitsordnung – zu schaffen. Deshalb müssen wir mit Russland nicht nur über die unterschiedlichen Konzepte einer Modernisierungspartnerschaft reden, sondern auch über den Umgang mit der Souveränität der Länder in unserer gemeinsamen Nachbarschaft.

Auf eines möchte ich schon heute hinweisen: Die Unterzeichnung und Paraphierung neuer Abkommen in Vilnius ist nur ein erster Schritt. Danach stellt die Implementierung alle Seiten, auch die EU, vor eine vielleicht noch größere Herausforderung. Es wird ein langer Weg werden. Umso wichtiger ist es, dass die Implementierung nach dem Gipfel zügig und im Geiste der Partnerschaft erfolgt und nicht verzögert wird. Eine zügige und erfolgreiche Umsetzung ist der einzige Weg, um einem „Zwischeneuropa“ entgegenzuarbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als erstem der neu gewählten Mitglieder im Deutschen Bundestag erteile ich jetzt der Kollegin Katarina Barley das Wort für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/2873367
Wahlperiode 18
Sitzung 2
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum EU-Gipfel "Östliche Partnerschaft"
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