Katarina BarleySPD - Regierungserklärung zum EU-Gipfel 'Östliche Partnerschaft'
Herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Sozialdemokratin kann man die erste Rede im Deutschen Bundestag, vor allem, wenn es um Osteuropa geht, wahrscheinlich nicht halten, ohne auf Willy Brandt Bezug zu nehmen, der nächsten Monat 100 Jahre alt geworden wäre. Willy Brandt hat 1971 den Friedensnobelpreis für seine Ost- und Entspannungspolitik erhalten. „ Wandel durch Annäherung“ war sein großes Thema, und das bedeutete eine Verständigung auf gemeinsame Ziele und Werte, auf Ausgleich und Entspannung, insbesondere mit Osteuropa.
Übertragen auf die heutige Debatte heißt das: Die Europäische Union trägt Verantwortung gegenüber ihren östlichen Nachbarstaaten und der dort lebenden Bevölkerung. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich den in der nächsten Woche stattfindenden EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft in Vilnius. Das Ziel der Politik der Östlichen Partnerschaft ist die Beförderung von Stabilität und Wohlstand sowie Frieden und Sicherheit in der unmittelbaren Nachbarschaft. Achtung der Menschenrechte, freiheitlich-demokratische Grundordnung, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft sind die Prinzipien, die es zu stärken und auszubauen gilt.
Die Östliche Partnerschaft zielt auf eine politische und wirtschaftliche Annäherung der Europäischen Union an die Ukraine, Georgien, Moldova, Aserbaidschan, Armenien und Belarus.
Es gibt keinen Automatismus für einen Beitritt zur Europäischen Union. Es geht aber auch nicht um die Wahl zwischen Russland oder der Europäischen Union. Alle Länder der Östlichen Partnerschaft haben das souveräne Recht, selbstständig zu entscheiden, mit wem sie Handelsverträge schließen und Teil welchen Wirtschaftsraums sie werden wollen.
In der Östlichen Partnerschaft haben wir es mit sehr verschiedenen Partnern zu tun. Ihr Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten ist teilweise sehr problematisch. Das gilt vor allen Dingen für Belarus. Durch das harte Vorgehen des Präsidenten Lukaschenko gegen die Opposition nach den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahre 2010 sind die Beziehungen mit der Europäischen Union sehr angespannt. Auch die im letzten Jahr durchgeführten Parlamentswahlen waren mit internationalen Standards nicht vereinbar. Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus befinden sich in einer Sackgasse. Die Europäische Union ist zu einer Politik des kritischen Engagements gegenüber Belarus verpflichtet. Dabei geht es vor allem um die Unterstützung von Oppositionellen, die verfolgt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Hier kann eine Politik der kleinen Schritte oftmals auf anderer Ebene mehr erreichen, vor allem dann, wenn dadurch auch kritische Kräfte sowie die Bevölkerung eingebunden werden. Wandel entsteht durch Annäherung auf breiter Basis. Wirtschaftlicher, politischer, kultureller und gesellschaftlicher Austausch ist gleichermaßen wichtig. Wir müssen Foren schaffen, in denen dieser Austausch stattfinden kann. Erfolgreiche EU-Programme müssen dafür bedarfsgerecht auf die Partnerländer ausgeweitet werden. Hierzu gehören beispielsweise die Unterstützung der Zusammenarbeit von Städten und Gemeinden, Erleichterungen bei der Visumvergabe – das haben wir heute schon mehrfach gehört – und die Verbesserung der Bildungs- und Forschungsmöglichkeiten in den Bereichen Hochschulbildung, außerschulische Bildung und Erwachsenenbildung. Das Haus Europa bauen die Menschen, die hier leben. Wir müssen Kooperationen auf kommunaler Ebene und zwischenmenschliche Kontakte fördern. Die Partnerschaften müssen in der Lebenswirklichkeit spürbar sein.
Ich komme aus einem der schönsten Wahlkreise der Republik, ganz sicher.
(Zurufe von der SPD: Ja, ja! – Ulrich Kelber [SPD]: Wir auch! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abstimmen!)
– Damit habe ich gerechnet, trotz Welpenschutz.
Anträge liegen mir dazu nicht vor. Wir werden darüber jetzt keine Kampfabstimmung durchführen.
(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mein Wahlkreis, Trier, weist aber noch eine Besonderheit auf: Trier liegt in der Mitte Europas, und man kann, wenn man es will und es schafft, mit dem Fahrrad an einem Tag durch vier europäische Länder fahren.
(Beifall des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])
In Trier kann ich das Miteinander täglich erleben. In meiner Heimat ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sich Franzosen, Luxemburger, Belgier, Deutsche und auch Menschen anderer Nationen jeden Tag auf der Arbeit, in der Freizeit oder an der Universität begegnen. Aus diesen Begegnungen erwächst Vertrauen, und aus Vertrauen erwächst Frieden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen solchen Weg auch mit den östlichen Partnerschaften gehen könnten. Ende Oktober hat das erste Jugendforum der Östlichen Partnerschaft stattgefunden. Mehr als 200 Jugendliche aus der Europäischen Union und den sechs Partnerländern trafen sich in Litauen. Dieses Projekt ist ein vielversprechender Schritt in die richtige Richtung. Wir brauchen mehr solcher Projekte.
Im Mittelpunkt der Debatte mit unseren Partnern stehen deshalb drei zentrale Punkte:
Erstens. Die bestehenden Kooperationsformen auf europäischer Ebene müssen vertieft werden. Hier bestehen mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik und der gemeinsamen Parlamentarischen Versammlung EURONEST gute Ansätze. Gerade in den Staaten Osteuropas ist die Stärkung demokratischer Institutionen ein wichtiger Teil des Entwicklungsprozesses.
Zweitens. Die Schaffung von sozialer Stabilität ist die Grundvoraussetzung für die Schaffung von Frieden und Wohlstand in der gesamten Region.
Drittens. Die Kooperation im Rahmen der Östlichen Partnerschaft muss die Zivilgesellschaft und die Bevölkerung mit einbeziehen.
Das alles bedeutet aber auch: Wenn wir unseren östlichen Partnerländern Standards vorgeben, verpflichtet uns das gleichzeitig, unsere eigenen Standards fortwährend zu überprüfen. Auch die Europäische Union selbst muss sich stetig weiterentwickeln. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der EU den nächsten Schritt wagen, den Schritt zu einem Europa, das die soziale Dimension gleichberechtigt zur wirtschaftlichen Integration voranbringt.
(Beifall bei der SPD)
Dieses soziale Europa, wie wir Sozialdemokraten es schon lange fordern, ist deshalb das europäische Projekt der nächsten Jahre.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Kollegin Barley, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag,
(Beifall)
auch zu dem seltenen Kunststück, beim ersten Mal mit der knappen Redezeit nicht nur ausgekommen zu sein, sondern eine virtuelle Reserve angelegt zu haben,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
was ich allen weiteren Rednern als leuchtendes Beispiel für die Legislaturperiode empfehlen möchte.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/2873381 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 2 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum EU-Gipfel "Östliche Partnerschaft" |