Günter KringsCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben zumindest bei der letzten Rede einen bemerkenswerten Vorgang erlebt. Man kann auch Oppositionsreflexe entwickeln, bevor überhaupt die Regierung gebildet ist. Das haben Sie jedenfalls gezeigt.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich weiß nicht, ob wir mit der Aneinanderreihung von Vorwürfen und teilweise unhaltbaren Behauptungen der Ernsthaftigkeit und der Bedeutung der Debatte gerecht werden.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Krings, da ist doch die Regierung!)
Datensicherheit ist unbestritten eines der Kernelemente moderner Sicherheitspolitik jedes souveränen Staates. Die Gewährleistung von Sicherheit insgesamt ist natürlich das wichtigste Fundament des Staates. Investitionen in Sicherheit und damit auch Investitionen in Datensicherheit mögen auch in den kommenden Bundeshaushalten manchmal weniger populär sein als Investitionen etwa in Bildung oder Soziales, aber sie sind sicherlich nicht weniger wichtig. Weil die Sicherheit unserer Daten untrennbarer Bestandteil der Staatsaufgabe Sicherheit ist, sind wir der Überzeugung, dass amerikanische Nachrichtendienste hier über jedes verantwortbare Maß hinaus tätig geworden sind. Die Verantwortlichen der NSA haben mit einem gigantischen Datenstaubsauger schlichtweg unentschuldbare Fehler gemacht.
Aber, meine Damen und Herren, zur Ehrlichkeit gehört auch: Den Gefahren des Terrorismus können wir im 21. Jahrhundert nicht mit massiver physischer Polizeipräsenz allein entgegenwirken. Wir können auf Terrorstrukturen, auf bestimmte Formen der organisierten Schwerstkriminalität nur dann effektiv reagieren, wenn wir über solche Netzwerke Informationen erlangen und Anschläge verhindern und diese Netzwerke zerschlagen. Das Problem ist daher nicht, dass überhaupt Daten zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung erhoben werden. Die Frage ist vielmehr, in welchem Umfang, mit welchen Methoden und auf welcher rechtsstaatlichen Grundlage das geschieht. Die Grenzen der Verhältnismäßigkeit sind selbst im Kampf gegen den Terror einzuhalten.
Die deutsche und europäische Antwort muss sein, die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden. Es dürfte nämlich auch die Amerikaner wenig beeindrucken, wenn wir sie wegen der NSA-Affäre vollkommen berechtigt kritisieren, aber zugleich in Deutschland, in Europa unsere eigenen Abwehrmöglichkeiten so verkümmern lassen, dass wir immer dann, wenn es ernst wird, um Daten und Erkenntnisse aus den US-Programmen bitten müssen. Die Angewiesenheit auf US-Geheimdiensterkenntnisse ist schon in der Vergangenheit sehr real gewesen. Ich nenne als Beispiel nur die Sauerland-Gruppe, die monströse Anschlagspläne verfolgt hat, was ohne US-Hilfe nicht hätte aufgedeckt werden können. Deutschland, ja die ganze Europäische Union muss jetzt beweisen, dass sich beides miteinander verbinden lässt: ein tauglicher Radarschirm gegenüber dem internationalen Terrorismus und ein datenschutzrechtlich hohes Niveau.
Das heißt zum Beispiel, dass das sogenannte SWIFT- Abkommen mit den USA zur Ermittlung von Bankdaten auf den Prüfstand gehört. Aber auf Grundlage dieses Abkommens haben die US-Behörden in den letzten Jahren sage und schreibe 1 700 Gefährdungsberichte mit wertvollen, unverzichtbaren Erkenntnissen zur Terrorabwehr allein an die Staaten der Europäischen Union gesandt. Wir können deshalb auch ein solches Abkommen erst neu verhandeln, nachdem wir in der Europäischen Union ein eigenes, dann natürlich datenschutzfreundliches europäisches System zur Analyse von Finanztransaktionen eingeführt haben. Dazu fehlt uns bislang aber leider der Mut. Wir können nicht beides tun: die amerikanische Hilfe ausschlagen und zugleich nicht in der Lage sein, eigene Instrumente auf höherem Niveau einzuführen. Wenn wir bestimmte amerikanische Radarschirme zur Terrorismusbekämpfung nicht mehr uneingeschränkt nutzen wollen, dann darf die Alternative eben nicht ein sicherheitspolitischer Blindflug sein.
Unsere Aufgabe in Deutschland und Europa ist die Rückgewinnung der digitalen Souveränität im Umgang mit unseren Daten. Dazu müssen wir nicht nur rechtliche, sondern auch technische Vorkehrungen und Strategien entwickeln.
Ein paar Stichworte zum Bereich der Technik. Eine bessere IT-Sicherheit führt auch zu mehr Datensicherheit. Es gibt technische Lösungen, die den Datenverkehr zwar nicht vollkommen schützen, aber eben weniger anfällig für das Ausspähen machen. Dazu gehört ganz praktisch, Möglichkeiten zu schaffen, dass zum Beispiel eine E-Mail, die von Köln nach Düsseldorf gesendet wird, nicht länger zwingend über andere Länder oder Kontinente geleitet wird. Es geht ja nicht darum, ein abgeschirmtes nationales oder europäisches Netz aufzubauen. Sinnvoll erscheint es aber, zunächst in Europa einen Verbund von Ländern zu bilden, die sich auf ein ähnlich hohes Niveau der Datensicherheit einigen. In einem solchen Schengen-Raum im Netz würden wir dann einen gemeinsamen Sicherheitsstandard nach innen und die gemeinsame Gefahrenabwehr nach außen organisieren.
Zum technischen Bereich gehört auch die schleunigste Verabschiedung eines IT-Sicherheitsgesetzes. Es gibt bisher eine hohe Dunkelziffer von nicht gemeldeten Hacker-Angriffen; der überwiegende Teil wird von der Industrie nicht gemeldet. Man hat offenbar Angst vor schlechter Publicity. Aber damit fördert man weitere Angriffe. Man verhindert auch, dass sich Behörden und Unternehmen vor künftigen Angriffen schützen. Dem müssen wir ein Ende machen. Wir brauchen deshalb unter anderem eine Meldepflicht bei solchen Angriffen.
Das Gleiche gilt für einen höheren Mindeststandard bei wichtigen Infrastrukturen, etwa der Energie- und Wasserversorgung. Auch hier müssen und können wir mehr tun.
Meine Damen und Herren, flankiert werden muss die technische Ertüchtigung aber auch mit rechtlichen Maßnahmen. Eine Maßnahme wurde eben genannt: die EU- Datenschutz-Grundverordnung. Die brauchen wir als Datenschutzgrundgesetz Europas. Was nutzt es einem Bundesbürger, wenn wir zwar in Deutschland ein hohes Datenschutzniveau haben, aber dieser Datenschutz nicht mehr greift, wenn wir auch nur eine innereuropäische Grenze überschreiten oder wenn auch nur unsere Daten eine innereuropäische Grenze überschreiten? Europa hat mit 500 Millionen Bürgern die Marktmacht, auch globale Standards zu setzen, und die Möglichkeit, Datensicherheit zum Exportschlager zu machen.
Es ist richtig: Die Arbeit der NSA hat transatlantisches Vertrauen beschädigt. Zwischen modernen Staaten ist das probate Mittel zur Wiederherstellung von Vertrauen insbesondere das Völkerrecht. Es ist deshalb richtig, dass derzeit ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA verhandelt wird und hoffentlich auch bald zum Abschluss gebracht werden kann. Zwischen zwei souveränen Staaten gibt es auf diesem Feld eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man spioniert sich gegenseitig aus, oder man verzichtet wechselseitig auf Spionage. Die zweite Variante ist mir deutlich lieber, meine Damen und Herren.
Ich will zum Schluss noch deutlich machen, dass wir im Umgang mit dieser Geschichte insgesamt, bei allem Ärger, nicht den Boden des Rechts verlassen dürfen. Unsere Antwort auf die Ausspähung deutscher Daten sollte auf dem Boden unserer nationalen und der internationalen Rechtsordnung stehen. Anhand dieses ganz einfachen Maßstabs lassen sich ganz kurz und klar auch die Ideen beantworten, Edward Snowden etwa Asyl in Deutschland zu geben.
Das Asylgrundrecht, meine Damen und Herren, ist kein fürstliches Privileg, das die Bundesregierung oder der Bundestag nach Gutdünken erteilen darf. Das Asylgrundrecht ist ein Recht mit einem klaren Tatbestand. Edward Snowden – bei allem Mut, den man ihm zusprechen muss – ist nicht politisch verfolgt, sondern er wird juristisch belangt; das ist ein Unterschied. Strafrechtliche Ermittlungen eines Rechtsstaats sind ganz offensichtlich nicht geeignet, eine politische Verfolgung zu begründen. Übrigens würde auch unsere Strafjustiz in einem vergleichbaren Fall wegen Hoch-, Landes- oder Geheimnisverrats ermitteln müssen. Es ist schwer einzusehen, warum wir bei Tausenden von Flüchtlingen natürlich sehr genau prüfen, ob Asylgründe vorliegen, den Fall Snowden aber ungeprüft durchwinken sollten, nur weil er inzwischen eine Medienberühmtheit geworden ist.
Meine Damen und Herren, natürlich verdanken wir Edward Snowden interessante Hinweise auf die Spionagetätigkeit der NSA. Aber Kennzeichen eines Rechtsstaats ist, dass der gute Zweck eben nicht jedes Mittel heiligt. Unser Auslieferungsabkommen mit den USA gilt. Es gilt auch im Fall Snowden. Es ist eine große Errungenschaft der modernen internationalen Rechtsordnung, dass die Rechts- und Strafverfolgung immer weniger an nationalen Grenzen haltmachen muss. Es wäre unseres Rechtsstaats unwürdig, würden wir im Stil von Winkeladvokaten in diesem Auslieferungsabkommen irgendwelche Schlupflöcher suchen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Kollege Krings, lassen Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Ströbele zu?
Da ich keine Redezeit mehr habe, ist das eine willkommene Verlängerung. – Bitte schön.
Herr Kollege, danke, dass ich fragen darf. Darüber freue ich mich immer.
Ist Ihnen bekannt, dass man sowohl in Deutschland als auch in den USA selbst bei Begehung schwerer Straftaten die Möglichkeit hat – ich möchte nicht sagen, dass das tägliche Rechtspraxis ist; es ist, sagen wir einmal, monatliche Rechtspraxis –, von der Bestrafung ganz abzusehen oder die Strafe ganz wesentlich zu vermindern, wenn die Person, der man Straftaten vorwirft, sich bei der Aufklärung, insbesondere bei der Aufklärung anderer Straftaten, bei der Aufklärung von in hohem öffentlichen Interesse liegenden Sachverhalten, verdient gemacht hat?
Nehmen wir einmal die bei der Union etwas umstrittene Praxis, Leute, die aus der Schweiz Steuerdaten von deutschen Steuerflüchtlingen liefern, nicht nur keiner Bestrafung zuzuführen, sondern ihnen auch noch 1 Million Euro zu geben und ihnen durch eine neue Identität Schutz zu gewähren. Ich kenne auch einen Fall, in dem einer Person ein Bauernhof übereignet worden ist, damit sie eine Existenzgrundlage hat.
Ist Ihnen das bekannt? Meinen Sie nicht, dass sich Herr Snowden hier weltweit Verdienste erworben hat? Es geht ja nicht nur um Deutschland und nicht nur um die Kanzlerin. Es geht um Frankreich. Es geht um Italien. Es geht um den Papst. Es geht um Brasilien. Es geht um Mexiko. Überall tritt dieses Problem mit der Ausspähung auf. Die Präsidentin Brasiliens hat einen Besuch in den USA abgesagt, weil auch sie und ihre Regierung ausspioniert worden sind. Auch das hat Edward Snowden berichtet.
Meinen Sie nicht, dass eine Güterabwägung, wie sie bei der Justiz und beim Staat immer üblich ist, auch bei Snowden durchgeführt werden müsste und er deshalb als Zeuge hierhergeholt werden könnte, ohne bestraft zu werden?
Lieber Kollege Ströbele, dass einem Whistleblower einmal ein Bauernhof geschenkt worden ist, das war mir bisher in der Tat nicht bekannt. – Von mir aus können Sie sich gerne hinsetzen, aber üblich ist es, sich die Antwort im Stehen anzuhören; das ist also schon in Ordnung. – Das ist eine neue Information für mich und eine ganz nette Arabeske.
Die Möglichkeiten der Strafprozessordnung sind mir sehr wohl bekannt. Es geht aber hier nicht um den Strafanspruch des deutschen Staates, auch nicht um Steuerstraftaten; darüber können wir lange sprechen. Wir als Union hatten ganz andere und rechtsstaatskonformere Dinge vorgeschlagen. Hier geht es um den Strafanspruch der Vereinigten Staaten von Amerika.
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Ich habe es eben verglichen: Man könnte sich auch den Fall vorstellen, dass es um den Strafanspruch unseres Landes gegenüber einem Spion oder vielleicht einem Mitarbeiter geht, der in ein anderes Land gegangen ist.
Übrigens hat dieser Edward Snowden nicht nur interessante Schriftstücke zur Ausspähung mitgenommen, sondern er hat, wie man ebenfalls hört, auch Listen mit Namen von Geheimagenten mit ihren Klarnamen mitgenommen. Ob das alles so wenig sicherheitsrelevant ist, das möchte ich wirklich sehr bezweifeln. Also, die Figur Edward Snowden ist wahrscheinlich etwas vielschichtiger, bei allem respektablen Mut, den man ihm zusprechen kann.
Hier gilt der Strafanspruch der Vereinigten Staaten. Es gilt das Auslieferungsabkommen, das wir geschlossen haben und das wir umgekehrt übrigens auch angewandt sehen wollten. Man mag an irgendeiner Stelle ein Schlupfloch für diesen Fall finden. Aber ich finde, das kann nicht der Stil sein, in dem Rechtsstaaten miteinander umgehen sollten. Wenn das andere Staaten so machen, hindert das uns nicht daran, rechtsstaatlich mit gutem Beispiel voranzugehen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Zukunft – lassen Sie mich diesen einen Satz noch sagen und damit zum Ende kommen – des deutsch-amerikanischen Verhältnisses darf nicht im wechselseitigen Rechtsbruch liegen, sondern sie liegt in der wechselseitigen Vertrags- und Rechtstreue.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als nächste Rednerin spricht Dr. Eva Högl.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 2 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zu den Abhöraktivitäten der NSA |