Annalena BaerbockDIE GRÜNEN - Klimakonferenz in Warschau
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! 5 200 Tote und 3,5 Millionen vertriebene Philippinerinnen und Philippiner – die Mahnung an die Staaten der Welt vor der Weltklimakonferenz hätte nicht mächtiger ausfallen können. Doch trotz aller Solidaritätsbekundungen verdeutlichten die Staaten in Warschau, welch niedrigen Stellenwert sie dem Klimaschutz mittlerweile einräumen.
Die – ohnehin als technische COP angesetzte – Klimakonferenz war geprägt von einer Ambitionslosigkeit der Staaten, die ihresgleichen sucht. Japan und Australien kippten schon vorab ihre Klimaambitionen. Der Gastgeber Polen veranstaltete parallel zur Weltklimakonferenz einen Kohlegipfel, und Sie, Herr Altmaier, verdeutlichten mit Ihrer Stippvisite, welche Priorität der Klimawandel bei Ihnen hat. Sie haben lieber abends mit Maybrit Illner auf dem Sofa geplaudert, anstatt mit den Chinesen ernsthaft über CO 2 -Reduktionsziele zu diskutieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In Ihrer Rede erwähnten Sie ganz kurz: „Wir sind wieder da im Klimaschutz“. Ich fragte mich angesichts dessen, dass Deutschland in Warschau beim Klimaindex gerade auf den beschämenden 19. Platz zurückgestuft wurde, was Sie mit „da“ eigentlich meinten. Der Koalitionsvertrag gibt darauf jetzt eine Antwort. Mit „da“ war nicht die Vorreiterschaft im internationalen Klimaschutz gemeint, mit „da“ war gemeint: Wir sind wieder da im Kohlezeitalter in Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Von dem so wichtigen Klimaschutzgesetz, das Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in mehreren Bundesländern gemeinsam mit den Grünen mittragen, findet sich keine Spur mehr im Koalitionsvertrag. Stattdessen heißt es in Ihrem Vertrag, die Braunkohle, also der Klimakiller Nummer eins, spiele nach wie vor eine bedeutende Rolle und konventionelle Kraftwerke seien auf absehbare Zeit unverzichtbar. Mit Blick auf den Fahrplan für ein neues Klimaabkommen in Paris 2015, für den sich die EU in Warschau zu Recht sehr starkgemacht hat, kann man angesichts dieser Vorhaben nur hoffen, dass Ihr Koalitionsvertrag nicht so schnell ins Englische übersetzt wird. Denn erklären Sie mir bitte einmal, wie Sie die Entwicklungsländer dazu bewegen wollen, in den nächsten Monaten ambitionierte Reduktionsziele auf den Tisch zu legen, wenn Deutschland selber weiter Klimakiller – wie bei mir in Brandenburg das Kraftwerk Jänschwalde, das mehr CO 2 ausstößt als 26 afrikanische Staaten zusammen – langfristig am Netz halten will, sehr verehrte Damen und Herren von der SPD und der CDU/CSU.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ihr Koalitionsvertrag mag Schritte in die richtige Richtung enthalten. Man muss aber ganz klar sagen: Für die Energiewende und die internationale Klimapolitik ist er ein Desaster. Während in Warschau eines der wirklich positiven Signale war, dass vor Ort die erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden, dass mittlerweile 70 Prozent der weltweiten Investitionen der Energieindustrie in Erneuerbare gehen, deckeln Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland. Die Beschränkung des Ökostromanteils auf 45 Prozent bis 2025 und bis 60 Prozent bis 2030 halbiert das heutige Ausbautempo. Ich frage Sie sehr direkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU/CSU: Ist Ihnen eigentlich klar, dass Ihre Pläne zur Windhöffigkeit bedeuten, dass in Zukunft südlich von Hannover so gut wie kein neues Windrad mehr gebaut werden kann? Ich frage auch Sie, lieber Herr Altmaier, wie Sie mit solchen Plänen, die den Erneuerbaren die Flügel stutzen und dem Klimaschutz „Made in Germany“ eine Absage erteilen, in den nächsten Monaten international ernsthaft für ambitionierte Ziele werben wollen.
Eine für ein neues Klimaschutzabkommen so wichtige Vorreiterschaft hieße, über 80 Prozent der Bevölkerung in unserem Land, die für die Energiewende stehen, und Millionen von Menschen, die die Energiewende mit eigenen Solaranlagen auf ihren Dächern tagtäglich vorantreiben, nicht weiter vor den Kopf zu stoßen. Vorreiter sein hieße, die Warnungen der direkt vom Klimawandel betroffenen Entwicklungsländer ernst zu nehmen und den jüngst veröffentlichten Sachstandsbericht des IPCC mit Maßnahmen zu untermauern. Vorreiter sein hieße, Mindestwirkungsgrade für fossile Kraftwerke festzusetzen und den Aufschluss neuer Tagebaue durch eine Novelle zum Bergrecht auszuschließen. Vorreiter sein hieße, sich auf europäischer Ebene bis zum Frühjahrsgipfel der EU für ernsthafte und ambitionierte CO 2 - Reduktionsziele von mindestens 55 Prozent bis 2030 einzusetzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vorreiter sein hieße auch, meine sehr verehrten Damen und Herren, den Emissionshandel wieder zu einem scharfen Schwert des Klimaschutzes zu machen, indem wir eine Preisuntergrenze für CO 2 -Zertifikate einführen und für eine dauerhafte Marktverknappung sorgen.
Liebe Kollegin Baerbock, es gibt den Wunsch einer Zwischenfrage aus den Reihen der CDU/CSU. Lassen Sie sie zu?
Ja, fragen Sie ruhig.
Die Kollegin Baerbock lässt die Frage zu.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bitte, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! – Liebe Kollegin Baerbock, vielen Dank, dass ich eine Zwischenfrage stellen darf. Ich hätte sie auch am Ende der Rede stellen können. Da es aber meine erste Zwischenfrage ist, stelle ich sie jetzt direkt.
Dies ist auch meine erste Rede; das trifft sich gut.
(Heiterkeit – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben in Ihrer sehr emotionalen Rede auf die schreckliche Katastrophe auf den Philippinen abgehoben. Ihnen ist aber schon klar – das meine ich jetzt ohne Zynismus –, dass der Taifun und seine schrecklichen Auswirkungen auf den Philippinen, wenn überhaupt, nur sehr peripher etwas mit dem Klimawandel zu tun haben.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich beziehe mich dabei auf einen Fachartikel, der vor einiger Zeit im Tagesspiegel erschienen ist und in dem sehr deutlich ausgeführt wurde, dass die jahrzehntelange Entwaldung kombiniert mit dem massiven Bevölkerungsanstieg mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Hauptursache für die schreckliche Dimension dieser Katastrophe auf den Philippinen ist. Ich finde – das wäre meine Frage –, wir sollten in dieser Diskussion zu einer etwas sachlicheren Betrachtung solcher Ereignisse kommen; denn es kann nicht sein, dass jeder Taifun – Taifune wird es auch in der Zukunft immer wieder geben; das ist ein Stück weit eine Zwangsläufigkeit – die Debatte befördert und damit Diskussionen, die wir auf einer sachlichen und wirtschaftlich relevanten Basis führen müssen, ein Stück weit übertüncht werden.
Vielen Dank.
Vielen Dank für Ihre Frage. – Ich hätte nicht gedacht, dass Sie den Koalitionsvertrag noch übertreffen können. Darin wird ja anerkannt, dass der Klimawandel vom Menschen gemacht ist. Das erkennt ja nicht nur die Bundesregierung, sondern, wie ich glaube, so gut wie jeder in diesem Land an. Wenn Sie das nicht anerkennen, dann gehören Sie zu einer deutlichen Minderheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Natürlich kann man nie sagen, ob ein einzelner Taifun vom Klimawandel verursacht ist. Aber die Erderwärmung und vor allen Dingen die Erwärmung der Meere führen dazu – lesen Sie das einmal genau nach –, dass sich die Wirbelstürme weltweit, nicht nur auf den Philippinen, sondern auch bei uns, verschärft haben. Ich glaube, es gibt doch fachliche Studien, die das untermauern.
Sie haben die Entwaldung angesprochen, die ich zum Ende meiner Rede ohnehin erwähnt hätte. Wir sind ja in Warschau zum Glück dazu gekommen, dass das Wiederaufforstungsprogramm REDD+ auf den Weg gebracht wurde, dass Mittel bereitgestellt werden und dass wir uns weltweit für eine Eindämmung der Abholzung von Tropenwäldern einsetzen. Ein schöner Nebeneffekt war – dafür sind solche internationalen Konferenzen ja auch immer gut –, dass indigene Völker jetzt erstmalig international anerkannt werden, womit ihr Schutz einhergeht. In diesem Sinne war, glaube ich, der Taifun eine sehr gute Mahnung, sowohl in Richtung Klimawandel als auch bezogen auf die Entwaldung, die global gerade stattfindet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Zum Schluss ist mir eines wahnsinnig wichtig: Ich glaube, alle, die gesehen haben, dass die Preise im Emissionshandel durch das Backloading eben nicht nach oben gegangen sind, dass wir immer noch bei 5 Euro pro Tonne CO 2 kreisen, obwohl wir eigentlich Preise von 25 bis 30 Euro pro Tonne bräuchten, haben verstanden, dass wir dringend etwas tun müssen. Einige der Forderungen, gerade auch von anderen internationalen Delegationen, lauteten ja, dass die EU hier endlich handeln muss. Daher fordern wir Sie in unserem Antrag dazu auf, sich in Vorbereitung des Frühjahrsgipfels auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass wir den Emissionshandel wieder zu dem machen, was er eigentlich sein sollte: ein scharfes Schwert im Klimaschutz, das zu einer dauerhaften Marktverknappung beim Emissionshandel führt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
In diesem Sinne möchte ich bei Ihnen, liebe Parlamentarierinnen und Parlamentarier, dafür werben, dass wir heute trotz dieses Koalitionsvertrages als Parlament deutlich machen, dass Deutschland den Klimaschutz in Zukunft nicht ersatzlos streichen will, sondern dass wir mit ambitionierten Schritten auf dem Weg nach Paris voranschreiten. Dafür brauchen wir ambitionierte Maßnahmen vonseiten Deutschlands und von der EU. Stimmen Sie bitte deshalb unserem Antrag zu!
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Dies war die erste Rede der Kollegin Baerbock, gleich mit einer Zwischenfrage. Herzlichen Glückwunsch!
(Beifall)
Jetzt spricht der Bundesminister Altmaier.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/2903643 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 3 |
Tagesordnungspunkt | Klimakonferenz in Warschau |