Kerstin GrieseSPD - EU-Verordnung „Europa für Bürgerinnen und Bürger“
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sehr sinnvoll, das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“, das es schon eine Zeit lang gibt, weiterzuführen – das beschließen wir heute –; denn es ist wichtig, Menschen für die europäische Idee zu begeistern. Das erreicht man übrigens am wenigsten, wenn man mit platten Vorurteilen, mit krummen Gurken oder Schnullerketten argumentiert. Man muss die Menschen vielmehr für die europäische Idee begeistern,
(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ich sehe, Sie haben nicht zugehört, Frau Griese!)
man muss Europa erlebbar machen. Viele junge Menschen, die ich kenne, erleben Europa in ihrem Alltag als eine Selbstverständlichkeit. Sie sind begeisterte und überzeugte Europäerinnen und Europäer.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deutschland stimmt diesem Programm als letzter EU- Mitgliedstaat zu. Deshalb ist die Angelegenheit ein bisschen dringlich. Ich will ausdrücklich sagen, dass wir die beiden Schwerpunkte des Programms unterstützen.
Der erste Schwerpunkt ist schon genannt worden: Das europäische Geschichtsbewusstsein soll gestärkt werden. In einer Studie der FU Berlin aus dem Jahr 2012 wurde festgestellt, dass nur die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler den NS-Staat und nur ein Drittel die DDR als Diktatur einordnen. In Sachen Geschichtswissen gibt es also noch einiges zu tun. Die Studie zeigt sehr deutlich, dass das Wissen über die Geschichte Deutschlands und Europas verbessert werden muss; denn nur wenn man etwas über die Geschichte, auch über die eigene Geschichte weiß, kann man daraus lernen und mit diesem Wissen die Zukunft gestalten.
Das ist auch deshalb wichtig, weil gerade in Zeiten großer Angst oder wenn Ängste geschürt werden, Geschichtswissen oft verloren geht. Ich will nur ein Beispiel nennen: Es ist besorgniserregend, dass in Griechenland die rechtsextreme, neofaschistische Partei Goldene Morgenröte inzwischen mit fast 30 Abgeordneten im Parlament sitzt. Das ist besorgniserregend und absolut geschichtsvergessen.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Aber Folge der Politik!)
Aber auch in Ländern wie Frankreich und Ungarn erhalten rechtspopulistische Parteien Zuspruch und werden Angehörige der Roma-Minderheit verfolgt und diskriminiert. Um Diskriminierung und Gewalt zu verhindern, ist es wichtig, dass in Europa ein Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte entwickelt wird. Den Menschen musst bewusst sein, dass Europa für Frieden und für das solidarische Miteinander der Völker steht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich glaube, junge Menschen brauchen einen Kompass, um sich zurechtzufinden. Wenn sie in den Projekten, die über dieses Programm gefördert werden, Europa als eine Idee des Friedens begreifen, wenn sie lernen, dass die europäische Idee uns die längste Friedensphase gebracht hat, die wir je in Europa hatten, wenn sie ein Bewusstsein für diese Qualität Europas entwickeln, dann ist das von besonderem Wert.
Über dieses Programm sind bereits schöne Projekte gefördert worden, zum Beispiel der Europäische Geschichtsweg. In einem niedersächsischen Ort haben Jugendliche aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Polen gemeinsam die Geschichte untersucht. Sie haben Tafeln entworfen, auf denen in fünf Sprachen europäische Themen behandelt werden, von den Römern über Karl den Großen, die Reformation, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte bis hin zu den beiden Weltkriegen.
Man darf Geschichte lernen, beschreiben und auch vergleichen, aber man darf sie nicht gleichsetzen. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir im nächsten Jahr den 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs begehen, dass wir an den Beginn dieses fürchterlichen Krieges erinnern, dass wir im nächsten Jahr aber auch an den 25. Jahrestag des Falls der Mauer erinnern und dieses freudige Ereignis begehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Der zweite Schwerpunkt des EU-Programms ist die Stärkung des demokratischen Engagements und der Bürgerbeteiligung, also Europa wirklich von unten denken, den Bürgerinnen und Bürgern in Europa klarmachen, dass sie Macht und Einfluss haben. Wir haben in unserer Koalitionsvereinbarung, so sie denn von unseren Mitgliedern unterstützt werden wird, dazu eine schöne Aussage, die ich Ihnen zitieren will:
Das sind zwei der guten Sätze in diesem Koalitionsvertrag.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Da zeigt sich auch ein Zusammenhang zwischen den beiden Themenschwerpunkten: Das Lernen aus der Geschichte, um heute Demokratie engagiert gestalten zu können, ist besonders wichtig für die junge Generation, die Europa so erleben kann.
Ich als Abgeordnete habe das große Glück – wann hat man das schon einmal? –, dass aus diesem Programm ein Projekt in meinem Wahlkreis gefördert wurde. Nur 2 Städte in Deutschland und 37 Städte europaweit wurden bezüglich ihrer Städtepartnerschaften gefördert. Die Stadt Velbert hat vor ein paar Tagen eine große Partnerschaftskonferenz mit ihren Partnerstädten durchgeführt, ein Partnerschaftsnetzwerk gegründet und wird vor der Europawahl ein internationales Jugendcamp durchführen. Sie macht all das auch, um darauf aufmerksam zu machen, dass zu einem Europa der Bürgerinnen und Bürger gehört, dass möglichst viele Menschen zur Europawahl gehen. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, klarzumachen, dass Demokratie zu Europa gehört und die Europawahl eine bessere Wahlbeteiligung als in den letzten Jahren braucht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Bei dieser Europawahl wird es zum ersten Mal möglich sein, einen europäischen Spitzenkandidaten zu wählen. Das ist für uns Sozialdemokraten eine tolle Sache, weil unser Spitzenkandidat Martin Schulz ist. Wir sind großer Hoffnung, dass er ein grandioses Ergebnis erzielen wird.
(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und für uns andere?)
Damit wird Europa ein Gesicht und eine Stimme gegeben. Es ist oft so, dass Menschen Europa als fern wahrnehmen. Da kann man einmal live und leibhaftig erleben, wie europäische Leidenschaft aussieht, und vor allem, wie sie sich anhört. Das beginnt im Aachener Grenzgebiet und geht bis nach ganz Europa. Insofern glaube ich: Europa muss praktisch erfahrbar werden. Es bleibt unsere Aufgabe, das den Menschen zu vermitteln.
Die Europäische Bürgerinitiative ist schon genannt worden. Sie haben nur Negativbeispiele genannt. Ich will sagen, dass ich es sehr erfreulich finde, dass die Europäische Bürgerinitiative „Wasser ist Menschenrecht“ schon so erfolgreich war,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
dass der Bereich Wasser aus der EU-Konzessionsrichtlinie herausgenommen worden ist. Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben gesagt: Wasser ist ein Menschenrecht.
Deshalb hoffe ich, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sowie engagierte Menschen aus Vereinen, Verbänden und Initiativen an diesem EU-Programm teilhaben können, dass sie zur Stärkung des europäischen Geschichtsbewusstseins und der europäischen Zivilgesellschaft beitragen werden. Dafür wünsche ich allen viel Erfolg.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die Unionsfraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/2904252 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 3 |
Tagesordnungspunkt | EU-Verordnung „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ |