19.12.2013 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 6 / Tagesordnungspunkt 13

Kerstin AndreaeDIE GRÜNEN - Rentenversicherungsbeitragssatz 2014

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Begründung des Gesetzentwurfs ist ein Hohn. Darin steht, zur Gewährleistung von Stabilität und Planungssicherung in der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung müsse dieses Gesetz jetzt auf den Weg gebracht werden.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ja, geht ’ s noch? Das ist reiner Etikettenschwindel, und das wissen Sie auch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen doch nur Ihre Wahlversprechen finanzieren. Sie plündern die Rentenkasse, um die Mütterrente und die Rente mit 63 finanzieren zu können. Die Mütterrente kostet – das wurde gerade eben noch einmal gesagt – pro Jahr 6,5 Milliarden Euro. Sie wird bezahlt aus der Rentenkasse, von dem Geld der Beitragszahler. Sie alle hier zahlen nicht in die Rentenkasse ein. Ihre Mütter und teilweise auch Ihre Großmütter kommen in den Genuss der Mütterrente. Bezahlen müssen das Ihre Mitarbeiter, aber nicht Sie. Das ist weder fair noch seriös. Das ist schlicht das Plündern der Rentenkasse.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die damalige Große Koalition war mutig, als sie die Rente mit 67 auf den Weg gebracht hat. Das war eine durchaus unpopuläre Maßnahme, aber eine richtige. Angesichts der demografischen Entwicklung war diese Entscheidung richtig. Anscheinend sind wir die Einzigen, die diese Entscheidung noch verteidigen. Sie schlagen sich in die Büsche.

(Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Bei der Rente mit 67 ist es aber notwendig, flexible Übergänge zu schaffen, damit die Leute, auch die Buchhändlerin, die Chance haben, ihren Beruf bis 67 auszuüben. Deswegen ist es notwendig, Reha-Leistungen zu finanzieren.

Doch was ist mit den Leuten, die wirklich nicht mehr können?

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die kriegen eine Stelle bei den Grünen!)

Für diese Leute brauchen wir eine Erwerbsminderungsrente. Die Grünen sind absolut dafür, die Mittel für die Erwerbsminderungsrente zu erhöhen. Dabei geht es um Leute, die wirklich krank sind. Es ist nicht in Ordnung, was diesbezüglich in den letzten Jahren gemacht wurde. Es ist nicht in Ordnung, dass das Niveau der Erwerbsminderungsrente gesenkt wurde. Wir brauchen hierfür mehr Mittel. Dafür ist die Rentenkasse da. Die Erwerbsminderungsrenten aufzustocken, wäre die erste und wichtigste rentenpolitische Maßnahme. Es macht aber keinen Sinn, mit der Rente mit 63 alle positiven Effekte der Rente mit 67 kaputtzumachen. Aber genau das machen Sie gerade.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt zum Verfahren. Herr Schiewerling, Sie haben hier dreist behauptet, dieses Verfahren sei in Ordnung. Sie haben gesagt, dass die Bundeskanzlerin am 27. November 2013 beschlossen hat, dass die Rentenbeiträge bitte so zu bleiben haben, wie sie sind. Das hat aber nicht sie zu beschließen. Das macht das Parlament, und zwar in einem geordneten, geregelten Verfahren.

(Zuruf des Abg. Karl Schiewerling [CDU/ CSU])

Und das läuft so:erste Lesung im Plenum, Anhörung der Sachverständigen im Ausschuss und danach zweite und dritte Lesung inklusive Debatte.

Glauben Sie denn ernsthaft, dass Sie so Vertrauensschutz gewährleisten? Sie sagen: Wir haben hier die erste Lesung gemacht und deutlich gemacht, was wir wollen, und danach schreiben wir es in den Bundesanzeiger. – Wenn Sie so vorgehen, dann können Sie sich jede Anhörung, jede Debatte im Ausschuss sparen, weil klar ist, dass es überhaupt keine Änderung mehr gibt. Sie können doch nicht ernsthaft Sachverständige zu einer Anhörung einladen und ihnen sagen: Redet einmal schön darüber, es ist uns nur leider herzlich egal, was ihr dazu sagt. – Das, was Sie hier machen, ist mitnichten ein geordnetes Verfahren. Sie geben – ohne einen parlamentarischen Ablauf – schlicht vor, was Sie wollen. Das müssen Sie doch sehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])

Insgesamt muss ich sagen, dass ich ein bisschen geschockt darüber bin, welche Richtung die Debatte genommen hat. Bei der Mütterrente, die Sie – ich sage es noch einmal –, wenn Sie sie denn wollen, steuerfinanzieren müssen, geht es in den kommenden vier Jahre um 26 Milliarden Euro. In dieser Legislaturperiode nehmen Sie gerade einmal 6 Milliarden Euro für Bildung und Kinderbetreuung in die Hand. Das ist doch kein ausgewogenes Verhältnis; das ist doch nicht mehr generationengerecht. Das, was Sie hier machen, zeigt eine absolute Schieflage bei der Prioritätensetzung. Sie vergessen die Generationengerechtigkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Nein! Die vergessen wir nicht!)

Ich sage Ihnen ganz klar: Sie trauen sich nicht, den Weg eines normalen Verfahrens einzuschlagen. Sie trauen sich nicht, eine Anhörung durchzuführen und das Wissen der Sachverständigen zu berücksichtigen; denn die würden Ihnen Ihr Vorhaben um die Ohren hauen. Sie trauen sich nicht, ehrlich zu sein und die Mütterrente aus Steuern zu finanzieren.

Sie sagen: Die Koalition gestaltet die Zukunft. – Mitnichten ist das der Fall. Sie verbrauchen die Zukunft und die Mittel auch für zukünftige Generationen. Das hat mit Planungssicherheit nichts zu tun. Das hat mit Stabilität nichts zu tun, und mit Generationengerechtigkeit hat es erst recht nichts zu tun. Sie können mit unserem entschlossenen Widerstand gegen solch ein Verfahren, gegen diese Art von Politik und gegen Ihre Unehrlichkeit rechnen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Sven Morlok, Sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem hier von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf werden die Leistungsträger in unserer Gesellschaft belastet und die Zukunftschancen der jungen Generation gefährdet. Schauen Sie sich beispielsweise die Auswirkungen auf eine vierköpfige Familie mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 4 500 Euro an. Eine solche Familie wird mit 165 Euro im Jahr belastet. Eine Fachverkäuferin, Anfang 30, mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2 500 Euro wird mit 90 Euro im Jahr zusätzlich belastet.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie belasten die Menschen, die jeden Morgen aufstehen, die sich krumm machen, die sich im Beruf engagieren, um ihre Familie zu ernähren. Das, was Sie hier vorhaben, ist ein Schlag ins Gesicht dieser Leistungsträger.

Die OECD bezeichnet die Rentenpläne der Koalition als Jobvernichter. Sie empfiehlt, den Faktor Arbeit zu entlasten. Sie tun genau das Gegenteil. Sie machen Arbeit teurer, und zwar um 2,9 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist sozusagen ein 2,9-Milliarden-Euro-Rucksack auf dem Buckel der deutschen Unternehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie klatschen für die FDP!)

Das beeinträchtigt die internationale Wettbewerbsfähigkeit, und Sie schaden damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland.

Ich möchte Sie einmal daran erinnern, wie einige Mitglieder Ihrer Koalition dieses Thema sehen. Vizekanzler Sigmar Gabriel sagte dazu am 7. Dezember der Braunschweiger Zeitung – ich zitiere –:

So der Vizekanzler.

In einem Memorandum von verschiedenen CDU-Abgeordneten heißt es – ich zitiere –:

Und der Kollege von Stetten brachte es auf den Punkt, als er das Vorhaben als „Verbrechen an der nächsten Generation“ bezeichnete.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie haben kein Erkenntnisproblem. Sie haben ein Umsetzungsproblem. Sie wissen, dass es so nicht geht, aber Sie machen es trotzdem. Sie täuschen die Menschen.

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jurk?

Gerne.

Herr Staatsminister Morlok, ist das, was Sie uns gerade vortragen, die Position der Sächsischen Staatsregierung?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

Sehr geehrter Herr Jurk, die Sächsische Staatsregierung setzt sich bei vielen aktuellen Fragen dafür ein, dass, wenn in den Kassen zusätzliche Einnahmen verfügbar sind, diese zusätzlichen Einnahmen bzw. Überschüsse in allererster Linie dafür genutzt werden, die entsprechenden Beiträge zu senken und die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Ministerpräsident Tillich hat, als bekannt wurde, dass wir in der Kasse der Rundfunkanstalten einen erheblichen Überschuss haben, die Initiative ergriffen, um eine Beitragssenkung herbeizuführen. Wir haben darüber jüngst, in dieser Woche, eine Debatte im Sächsischen Landtag geführt. In dieser Debatte ist deutlich geworden, dass die übergroße Mehrheit des Parlaments hinter dieser Initiative des sächsischen Ministerpräsidenten steht.

Das, was für die vollen Kassen bei den Rundfunkanstalten gilt, gilt natürlich auch für die vollen Kassen bei der Rentenversicherung. Anstatt sich über zusätzliche Ausgaben Gedanken zu machen, wäre es richtig, die Beiträge denen zurückzugeben, die sie bezahlt haben, nämlich den Beitragszahlern, den Versicherten und den Arbeitgebern.

Die Regierung, sehr geehrte Damen und Herren, ist gerade einmal zwei Tage im Amt, und schon greift sie den Beitragszahlern schamlos in die Tasche.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es waren knapp 6 Milliarden Euro in zwei Tagen. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie es in vier Jahren aussieht. Das macht mir Angst. Wenn die Stimme der wirtschaftlichen Vernunft im Bundestag fehlt, muss sie eben aus den Ländern kommen.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/2963520
Wahlperiode 18
Sitzung 6
Tagesordnungspunkt Rentenversicherungsbeitragssatz 2014
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