Rainer ArnoldSPD - Jahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist mehr als eine Auflistung der Probleme bei den Streitkräften. Der Bericht zeigt auch, dass Herrn Königshaus und alle seine Mitarbeiter die Alltagssorgen der Soldaten wirklich bewegen. Wie hartnäckig er Lösungen anmahnt, erleben wir gelegentlich; das haben wir auch heute in seiner Rede wieder gehört. Dafür gebührt Ihnen, Herr Königshaus, und Ihrem ganzen Team unser recht herzlicher Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Allerdings müssen wir auch aufpassen. Wer den Bericht liest oder gar die Berichte in den Medien über den Bericht liest, könnte leicht den Eindruck gewinnen: Bei der Bundeswehr geht alles drunter und drüber, es läuft alles schief, und es ist die Regel, dass achtlos mit der Ressource Mensch umgegangen wird. – Das ist nicht so. Viele Vorgesetzte, die meisten Vorgesetzten, nehmen die persönliche Situation ihrer Untergebenen ernst, suchen Lösungen, wenn Alltagssorgen da sind. Auch dies muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Die meisten arbeiten gut. Ich denke, allen Soldaten, aber ganz besonders den engagierten, die die Prinzipien der Inneren Führung vorleben, gilt unser herzlicher Dank für das Engagement.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Der Wehrbeauftragte ist der Sensor des Parlaments, und natürlich nehmen wir das ernst, was er uns schreibt; in Klammern möchte ich anfügen: Es ist seine Aufgabe, Sensor zu sein, nicht so sehr, Hinweise zu geben, welche Waffensysteme der Bundestag beschaffen sollte. Aber die Hinweise zum sozialen Gefüge nehmen wir sehr ernst.
Wir sind sehr froh, dass etwas Neues geschehen ist, nämlich dass eine neue Ministerin nicht anfängt, das, was er aufschreibt, zu relativieren, sondern tatsächlich die Themen aufnimmt. Sie, Frau Ministerin, haben unsere Unterstützung dabei. Sie haben schon gesagt: Es gab Vorarbeiten. – Sie haben in der Tat sofort in die richtige Schublade gegriffen. Dort liegen nämlich 82 Vorschläge zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr.
Dort lag eine Untersuchung über die Arbeitszeitsituation, die Ihr Vorgänger uns noch nicht zur Verfügung gestellt hat. Dort liegt der Koalitionsvertrag, den Sie ja erwähnt haben. Und es gibt bereits seit dem Jahr 2010 ein Handbuch zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Dort heißt es sinngemäß: Die Auftragserfüllung muss natürlich Vorrang haben, aber nicht immer sind dies konkurrierende Ziele. Am Ende würden beide Ziele, Auftragserfüllung und die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, profitieren, wenn es gelingt, für die dienstlichen Erfordernisse und die privaten Interessen Lösungen zu finden, die dann tatsächlich den Belangen der Soldaten Rechnung tragen. Das ist alles schon aufgeschrieben und wird eigentlich von den Soldaten erwartet.
Damit wird klar: Die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist kein Selbstzweck. Es geht auch nicht nur um Nachwuchswerbung. Es geht um das innere Gefüge bei den Streitkräften. Nur wenn Soldaten in ihrem sozialen Umfeld, in der Familie, aber auch beim bürgerschaftlichen Engagement in ihrer Heimat – im Elternbeirat, in den Vereinen und bei vielen anderen Gelegenheiten mehr – die Zeit finden und Ressourcen haben, die planbar sind, können sie am Ende auch unsere Erwartung erfüllen, Staatsbürger in Uniform zu sein. Deshalb ist dieses Thema ein ganz zentrales für das Gefüge und für das Leben innerhalb und außerhalb der Streitkräfte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie, Frau Ministerin, haben schon darauf hingewiesen: Es ist in der Tat nicht die einzige Herausforderung. Sie haben einige Themen benannt. Wir sind froh, dass wir in der nächsten Sitzungswoche dies alles auch einmal in der Breite diskutieren können. Aber ein Thema führt unmittelbar zur Frage der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, nämlich das Thema Reform.
Sie als neue Ministerin sind unbefangen – so habe ich das empfunden – an die Themen herangegangen. Wir wünschen uns sehr, dass Sie das ebenso mit dem Koalitionsauftrag machen, nämlich diese Reform jetzt auch zügig zu evaluieren. Dass Soldaten viel zu häufig sechs Monate im Einsatz sind – und nicht vier Monate –, hat natürlich etwas mit Mängeln dieser Reform zu tun; dass gerade für Schlüsselverwendungen – auch der Wehrbeauftragte hat das angemahnt – zu wenig Personal vorhanden ist, dass viele Soldaten versetzt werden und die Bundeswehr eine wirkliche Pendlerarmee geworden ist, wurde durch die Reform eher verstärkt. Wir haben an der einen oder anderen Stelle auch Standortschließungen in der Planung, von denen wir inzwischen merken, dass sie kein Geld sparen werden. Dadurch werden Menschen durch die Republik geschickt, und am Ende wird das Ganze noch mehr kosten. Auch das ist ein Ausfluss dieser Reform. Deshalb sage ich, Frau Ministerin: Wenn es neue Erkenntnisse gibt, sollten wir alle miteinander die Kraft haben, bei der Reform nachzusteuern.
(Beifall bei der SPD)
Beantwortet werden muss die Frage, wie die Mittel zur Deckung der Mehrkosten, die die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verursacht, erwirtschaftet werden können. Deshalb muss man bei der Bundeswehrreform noch stärker auf Effizienz achten.
Auch sollten regionale Personalplanungsmodelle endlich zum Tragen gebracht werden. Man muss bereits bei der Einplanung der Soldaten, möglichst schon bei den Einstellungsgesprächen, viel mehr Gehirnschmalz – das kostet nichts, nur Anstrengung – einsetzen, um den beruflichen Weg, zumindest den von Mannschaftsangehörigen und Unteroffizieren, präziser und verlässlicher zu planen. Dazu gehört auch, dass man eher die interne Werbung um Personal stärkt. Dort ist nämlich viel Kompetenz vorhanden; man kennt diejenigen, die als freiwillig Wehrdienstleistende ins Haus gekommen sind. Ich glaube, das ist ein Ansatz, der uns weiterbringt und durch den Geld gespart wird.
Es wird immer wieder gesagt: Soldat ist ein besonderer Beruf. Das stimmt sehr wohl. Die Ministerin hat aber zu Recht darauf hingewiesen: Das gilt nicht im Alltagsbetrieb. Am Schreibtisch, in der Instandsetzung, auf dem Flughafen, beim Betrieb des Truppenübungsplatzes, auch wenn Schichtbetrieb notwendig ist, läuft es ähnlich ab wie bei den Berufsfeldern Polizei und Feuerwehr. Dort ist die Auftragserfüllung das Wichtigste. Das entscheidende Merkmal dafür, dass Soldat kein Beruf wie jeder andere ist, ist doch, dass man in deutschem Interesse zum Einsatz ins Ausland abkommandiert werden kann und dass man dort mit seinem eigenen Leben für unser Land eintritt; das ist das eigentlich Besondere. Insofern kann man den beruflichen Alltag im Inland durchaus an Regularien in anderen Berufsgruppen orientieren. Da aber die Besonderheit, lange von zu Hause weg zu sein, nicht gefragt zu werden, wenn man versetzt wird, womöglich ins Ausland, und sein Leben einsetzen muss, eine hohe persönliche Verantwortung voraussetzt, ist es gut und richtig, wenn immer wieder deutlich gesagt wird: Die Qualität der Streitkräfte hängt in erster Linie nicht von neuen und teuren Waffensystemen, von Strukturen, von Finanzen ab, sondern davon, ob wir die klugen, die guten jungen Menschen für diesen Beruf interessieren können und sie am Ende zu uns kommen. In allen Berufen hat man die Erfahrung gemacht: Die guten jungen Menschen suchen sich gute Arbeitgeber. Nur wenn es uns gelingt, auch in Zukunft gute junge Menschen für die Bundeswehr zu finden und sie zu halten – auch an dieser Stelle gibt es Probleme –, wird die Bundeswehr so sein, wie wir sie uns vorstellen.
Recht herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin spricht Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3046730 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 8 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten |