16.01.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 8 / Tagesordnungspunkt 4

Doris WagnerDIE GRÜNEN - Jahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten

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Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Wehrbeauftragter! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass auch ich heute das erste Mal das Wort an Sie richten darf.

Liebe Kollegen, stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie und Ihre Partnerin erwarten ein Kind. Sie freuen sich. Das Kinderzimmer ist eingerichtet, und dann steht die Geburt unmittelbar bevor. Ausgerechnet an dem Tag sollen Sie die Abschlussprüfung für einen zuvor absolvierten Lehrgang ablegen. „ Gut“, denken Sie, „ich fahre mit dem Auto zur Prüfung, gleich anschließend ins Krankenhaus, und dann kann ich hoffentlich rechtzeitig bei der Geburt dabei sein.“ Sie bitten Ihren Vorgesetzten, ausnahmsweise nicht gemeinsam mit den anderen Prüfungsteilnehmern mit dem Bus zu fahren, und die Antwort lautet: Seien Sie froh, wenn das Kind von Ihnen ist. Sie fahren mit dem Bus. – Die Beschwerde des betroffenen Soldaten ist nur eine von zahlreichen aus dem Jahr 2012, doch sie zeigt exemplarisch, wie viel in Sachen Familienfreundlichkeit bei der Bundeswehr noch im Argen liegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir den Vorabberichten der Presse glauben dürfen, wird uns Herr Königshaus Ende Januar berichten, dass die Zahl der Beschwerden, insbesondere beim Thema Familie, in 2013 noch erheblich gestiegen ist.

Inzwischen entscheiden sich immer mehr Soldatenfamilien dafür, nicht mit jedem Standortwechsel auch den Familienwohnort zu ändern. Das heißt, dass etwa 70 Prozent der Soldatinnen und Soldaten zwischen Dienst- und Wohnort pendeln, oft über mehrere Hundert Kilometer. Das hat gesundheitliche Folgen und führt häufig zur Entfremdung gegenüber den Kindern oder auch der Partnerin oder dem Partner. Nicht umsonst liegt – das haben wir gerade schon gehört – die Scheidungsrate bei Bundeswehrangehörigen bei bis zu 75 Prozent.

Noch immer fehlt es an vielen Standorten an Kinderbetreuungseinrichtungen. Soldatinnen und Soldaten, die Elternzeit beantragen oder in Teilzeit arbeiten möchten, werden mit dem Hinweis auf die allzu dünne Personaldecke abgewiesen. Schließlich – ein wirkliches Unding in meinen Augen – sehen sich Bundeswehrfamilien manchmal gezwungen, Darlehen aufzunehmen, weil ihre Anträge auf Beihilfe zur Begleichung von Arztrechnungen über Monate nicht bearbeitet werden können. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wer möchte in einer solchen Armee dienen?

Herr Königshaus verweist in seinem Bericht mehrfach auf konkrete Verbesserungsvorschläge, die er dem Bundesverteidigungsministerium unterbreitet hat. Das unter Rot-Grün schon 2004 verabschiedete Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten verpflichtet die Bundeswehr dazu, familiengerechte Arbeitszeiten und sonstige Rahmenbedingungen anzubieten, um die Vereinbarkeit von Familie und Dienst zu erleichtern. Leider belegt der Bericht des Wehrbeauftragten einmal mehr, dass die Umsetzung des Gesetzes im Alltag sehr zu wünschen übrig lässt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist eigentlich so schwierig daran, die Vorgaben und Vorschläge für eine familienfreundlichere Bundeswehr in die Tat umzusetzen? Ich frage mich: Hat Herr de Maizière in den vergangenen Jahren wirklich die nötige Initiative gezeigt, um an den bekannten Missständen etwas zu ändern? Was ist so schwierig daran, einer Soldatin oder einem Soldaten verbindlich zu erklären, welche Verwendungen und Versetzungen sie oder ihn in den kommenden Jahren erwarten, damit die Familie auch in Bezug auf die Karriere der Ehepartner und die Schullaufbahn der Kinder vernünftige Entscheidungen treffen kann? In Ihren ersten Medienauftritten, Frau Ministerin, haben Sie erklärt, alle diese Versäumnisse schnell aufholen zu wollen. Meine Kollegin sagte es schon: Dieses Vorhaben begrüßen wir ausdrücklich.

Sie selbst haben zuletzt immer wieder den quantitativen Aspekt des mangelnden Nachwuchses thematisiert. Als Freiwilligenarmee muss die Bundeswehr um die besten Arbeitnehmer konkurrieren, wobei aufgrund der demografischen Entwicklung der Anteil von Soldatinnen deutlich erhöht werden muss. Angesichts der dokumentierten Familienunfreundlichkeit verwundert es allerdings nicht, dass die Zahl der Frauen insbesondere in Führungsfunktionen bisher noch weit unter der selbstgesetzten Marke von 15 Prozent liegt.

Herr Königshaus hat wiederholt den qualitativen Aspekt des sozialen Rückhalts für die Soldatinnen und Soldaten betont, ganz besonders, wenn belastende Erfahrungen aus Auslandseinsätzen verarbeitet werden müssen. Eine Armee, die die privaten Strukturen von Familie und Freunden zerstört, riskiert, irgendwann als Gruppe von seelisch verletzten Menschen ohne Bindung zu enden. Die Zeit drängt; denn die Frage, ob es der Bundeswehr auf absehbare Zeit gelingen wird, familienfreundlichere Strukturen zu schaffen, wird mit über die zentrale Frage entscheiden, ob Deutschland in Zukunft überhaupt noch eine funktionsfähige Armee hat.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, liebe Kollegin. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede.

(Beifall)

Alle freuen sich auch auf Ihre nächste Rede.

Jetzt hat der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Lassen Sie mich in meiner ersten Rede vor dem Hohen Hause zunächst meinen Dank und Respekt ausdrücken gegenüber den Frauen und Männern, den Soldatinnen und Soldaten, die sich für uns, für Deutschland und für dieses Parlament, für Frieden und Freiheit einsetzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sie halten das Unternehmen Bundeswehr am Laufen. Sie halten ihren Kopf für uns hin. Sie werden deshalb mein Antrieb für die nächsten vier Jahre sein.

Sehr verehrter Herr Wehrbeauftragter Königshaus, vielen Dank für Ihren Bericht, der mir als neuem Mitglied dieses Hauses gezeigt hat, dass nicht leichte Kost in sehr leicht lesbarer Form gestaltet werden kann. Texte müssen nicht unbedingt schwer verständlich sein. Dies sollte unser aller Antrieb sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Frauen und Männer der Bundeswehr sind der Grund, warum wir heute hier sind. Über 5 000 Beschwerden sind in den noch nicht veröffentlichten, aber bereits bekannt gewordenen Bericht eingegangen. Das sind 700 mehr als im Vorjahr. Stellt man dies einmal in Relation zur Personalstärke der Bundeswehr, dann wird klar, dass uns das aufhorchen lassen muss. Über entsprechende Konsequenzen für unsere Sicherheitspolitik haben wir heute viel Gutes und Richtiges gehört.

Mit Verlaub, Frau Ministerin von der Leyen: Dass die Presseabteilung des Verteidigungsministeriums hervorragend funktioniert, ist schon einmal ein Anfang. Wir wissen aber beide: Die Diagnose ist nur der Anfang. Die anschließende Behandlung des Themas wird noch mehr umfassen. Sonst stehen wir alle nur mit hehren Zielen und letztendlich mit Enttäuschungen da.

Ich sage ganz unumwunden: Die Aufgabe dieses Hauses wird es sein, genau hinzuschauen, ob sich etwas ändert. Frau Bundesministerin, wir werden Sie in Ihrem Plan, der nicht nur Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat, sondern aus vollster Überzeugung angegangen wird, nämlich die Bundeswehr zeitgerecht effektiv umzugestalten, unterstützen. Unsere Aufgabe wird es aber auch sein, ein bisschen da und dort nachzubessern. Dass es notwendig ist, das Arbeitsumfeld der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern, steht, glaube ich, außer Frage.

(Beifall bei der SPD)

Der Jahresbericht macht eines klar: Wir brauchen keine Reform der Reformen; wir brauchen vielmehr Ergebnisse. Die Umsetzung der laufenden Reform schlägt unvermeidbar Wunden; das wissen wir. Da müssen die Soldatinnen und Soldaten durch; da müssen auch wir durch. Wissen wir aber schon, dass auch wir da durch müssen? Solange unsere Spezialkräfte nicht einmal ihren eigenen Hubschrauber haben, solange Soldaten nach nur wenigen Monaten Heimataufenthalt wieder direkt in den Auslandseinsatz gehen, ohne dass man sich ernsthaft um sie gekümmert hat, solange psychische Belastungsstörungen nicht rechtzeitig erkannt werden und solange Arztrechnungen nicht bezahlt werden, ist noch viel zu tun. Wir beschäftigen uns viel zu viel mit dem Klein- Klein. Solange wir nur reden, bleiben nur Ziele. Wir wollen aber nicht nur Ziele und Belehrungen, wir wollen handeln. Die Soldatinnen und Soldaten wollen Verantwortung übernehmen. Wir wollen Verantwortung übernehmen.

Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten wird bei all den Mängeln und Defiziten, die er aufzeigt, sicherlich keine Wunder bewirken. Das gilt ebenfalls für den noch nicht vorgelegten Jahresbericht 2013. Aber der Bericht geht in die richtige Richtung.

Für meine Person gebe ich zu: Ich habe meine Heimat nicht bei der Bundeswehr; ich habe nicht gedient. Meine Heimat war über viele Jahre als Führungskraft das Rote Kreuz. Vielleicht ist mir deshalb der Konflikt bekannt, Familie, Beruf und Pflichterfüllung unter einen Hut zu bringen. Dafür, hier die Balance zu finden, tragen wir die Verantwortung; denn wir sind es, die die Soldatinnen und Soldaten entsenden. Wir sind es, die das Mandat erteilen, und wir müssen es sein, die ihnen den Rücken freihalten.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen herzlichen Dank, lieber Herr Kollege Dr. Brunner. Auch Ihnen im Namen des ganzen Hauses Gratulation zu Ihrer ersten Rede.

(Beifall)

Da Sie von Heimat geredet haben: Ich freue mich persönlich sehr, dass endlich einmal ein Illertissener hier im Bundestag ist. Ich komme aus Babenhausen. Das muss Ihnen nichts sagen; aber uns verbindet das.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karl- Heinz Brunner [SPD]: Wir sind ja Nachbarn!)

Jetzt kommt als nächster Redner Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3046762
Wahlperiode 18
Sitzung 8
Tagesordnungspunkt Jahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten
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