Mahmut ÖzdemirSPD - Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann an dieser Stelle nur mutmaßen, warum die Kolleginnen und Kollegen von Linken und Grünen die beiden Anträge eingebracht haben, die sich darin erschöpfen, einen Grundkonsens aus dem SPD-Wahlprogramm und dem Koalitionsvertrag,
(Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
zugegebenermaßen mit einer erweiterten Begründung, zu wiederholen.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie zu! Das ist gut! Dann haben wir die Mehrheit!)
Wenn aktuell medial präsente Einzelfälle diese Debatte auch beeinflusst haben mögen, so sind wir klug beraten, alle Belange ohne Hektik abzuwägen. Organisationen wie Transparency International und LobbyControl weisen hier bereits in die richtige Richtung und zeigen beispielsweise auch die Defizite eines EU-Modells zu Karenzzeiten bei der Kommission auf.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Insoweit stelle ich hier in diesem Hause einen Grundkonsens für Karenzzeiten fest und freue mich, dass Sie diesen Weg mit Ihren Anträgen begleiten wollen.
Die Diskussion über Karenzzeiten für ausgeschiedene Regierungsmitglieder – Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen sowie Parlamentarische und hauptamtliche Staatssekretäre beziehe ich mit dieser Formulierung bewusst ein – mutet simpel an. Der tatbestandliche Kern wird aber verborgen: zwischen der Berufsfreiheit – hier geht es um ein Freiheitsrecht –, dem Selbstschutz, der Integrität des Regierungshandelns und der Vertraulichkeit und Beeinflussbarkeit parlamentarischer Prozesse des Deutschen Bundestages bis in die Landtage hinein.
Mit der Karenzzeit wird daher das Ziel verfolgt, dass Kompetenzen, Erfahrungen und vor allem auch Netzwerke und Kontakte, die auf Kosten des Steuerzahlers erworben worden sind, nicht unmittelbar gewinnbringend in die private Wirtschaft eingebracht werden. Das wollen wir verhindern, damit der Staat keinen Schaden nimmt.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU])
Die private Wirtschaft hat die Gefahr des Wechsels zur Konkurrenz im weitesten Sinne früh erkannt und Vorkehrungen getroffen. Private Arbeitgeber lassen beispielsweise im Konkurrenzfalle Auszubildende bis hin zu leitenden Angestellten nicht ohne Weiteres ziehen und knüpfen an einen Wechsel auch eine Entschädigungspflicht im privatwirtschaftlichen Sinne an. Aber ob nun zwischen der Politik und der Privatwirtschaft ein Konkurrenzverhältnis besteht, ist nicht die eigentliche Frage.
Vielmehr geht es darum, ob periodisch ministeriale Hoheitskenntnisse und -fähigkeiten sprichwörtlich eingekauft und verkauft werden können. Da blendet die Farbenpracht das Auge bei den Linken und den Grünen. Bei der Dauer von gesetzlichen Veränderungen haben diese überlegenen Sachkenntnisse eben eine erhebliche Halbwertszeit. Der Tatbestand, wie ich eingangs formulierte, suggeriert, dass man eine gesetzliche Regelung schon im Hinterkopf hat. Diesem Eindruck möchte ich persönlich widersprechen, weil ich folgenden Widerspruch nicht aufzulösen vermag.
Wenn ein Unternehmensvorstandsmitglied in die Spitze des Wirtschaftsministeriums, ein Gewerkschaftsfunktionär in die Spitze des Arbeitsministeriums wechseln könnte und beide dabei nur arbeitsvertragliche Fristen zu berücksichtigen hätten, dann aber aufgrund einer Karenzzeit nicht unmittelbar in ihre ursprünglichen Tätigkeiten zurückkehren könnten, so wäre es im Nebeneffekt potenziert, dass ein Minister- oder Staatssekretärsamt vorübergehend berufliche Perspektiven jenseits der Politik verbaut. Im Ergebnis schmälert dies auch die Attraktivität von Regierungsämtern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Attraktive Stellenangebote haben nun einmal nicht Bewerbungsfristen von mindestens drei bis fünf Jahren im Falle eines freiwilligen oder unfreiwilligen Ausscheidens aus der Regierung.
(Zurufe von der LINKEN)
– Ich habe Ihnen auch zugehört. – Darüber hinaus führt diese Debatte um Karenzzeiten, wie sie die Fraktionen von Linken und Grünen überspitzt formulieren, in der Konsequenz zu einem völlig realitätsfremden Bild. Eine Karenzzeit ist kein Sprech- oder Handlungsverbot für ein ausgeschiedenes Regierungsmitglied. Langfristige Fernwirkungen eines Regierungsamtes sind niemals völlig auszuschließen, erst recht nicht durch eine überlange Karenzzeit, die im Zweifel genau das Gegenteil bewirkt. Wohl aber können wir kurzfristige Verquickungen in laufenden Gesetzgebungsverfahren, die eine Beeinflussbarkeit politischer Prozesse von Bundesregierung und Bundestag betreffen, in personeller und sachlicher Hinsicht kappen.
Dies führt uns zu der Frage, was unmittelbar eigentlich in zeitlicher Dimension auf die Interessenverpflichtung deutet; denn unabhängig davon, über welche Mindestdauer wir hier reden – wir sind hier an dieser Stelle nicht auf einem Basar –, sprechen wir darüber, dass am Ende der Steuerzahler für eine solche Entschädigungspflicht aufkommt. Gerade deshalb mahne ich hier zu mehr Verantwortungsbewusstsein in der Debatte. Wenn die Antragsteller die Einzelfälle emotional für eine gesellschaftliche Akzeptanz zu nutzen versuchen, um sich gegenseitig in der Dauer der Karenzzeit zu überbieten, wenn man glaubt, mit einer stetig erhöhten Dauer der Karenzzeit Wählerstimmen zu fangen, verliert man an dieser Stelle die Bodenhaftung; denn: „Selbst der Gerechte wird ungerecht, wenn er selbstgerecht wird.“
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sinn und Zweck ist der Schutz der Würde der Regierung insgesamt, der Schutz des Bundestages selbst, aber grundsätzlich auch der Schutz der gesellschaftlichen Akzeptanz eines interdisziplinären Wechsels zwischen Politik und Wirtschaft. Da bin ich froh, dass beide Antragsteller das nicht bestreiten und dass hierüber Konsens besteht.
Wir Sozialdemokraten haben dies in den Koalitionsverhandlungen sehr deutlich gemacht und auch durchgesetzt. Nun ist ein gemeinsamer Weg möglich, und die Regierungsfraktionen, aber auch alle anderen Fraktionen in diesem Haus sind aufgerufen, eine konstruktive Lösung zu finden.
Neben der zeitlichen Dimension gibt es allerdings – jetzt wird es dröge – auch eine sachliche Dimension. Beides ist aus meiner Sicht nur einvernehmlich regelbar. Sofern man einen Bezug zwischen Regierungsamt und ausgeübter Tätigkeit in der Privatwirtschaft verlangt, um eine Interessenverflechtung nachzuweisen, besteht das Problem der Grauzone jenseits von eindeutigen Sachverhalten.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein Gedankenspiel – der Gesundheitsminister ist nicht da, da kann man das Beispiel bringen –: Wenn der Gesundheitsminister in die Automobilindustrie wechseln wollen würde, dann wäre dieser Wechsel als so abwegig gekennzeichnet, dass nach ebenjener Verflechtung schon krampfhaft gesucht werden müsste.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zurück zur Sachlage. Ein beschränktes Berufsverbot wäre demnach in seiner sachlichen Komponente permanentem Streit unterworfen und würde je nach Ministeriumszuschnitt eine potenzielle Ungleichbehandlung der Regierungsämter unter sich bedeuten. Das andere Extrem mit einer zeitlichen Beschränkung, aber einem umfassenden sachlichen Verbot in jeglicher Hinsicht wäre aus Sicht der Gleichbehandlung von Regierungsämtern und Zuschnitten denkbar, aber formulieren Sie mir an dieser Stelle einmal das Gesetz. Da bin ich sehr gespannt, ob Sie das juristisch sauber hinbekommen.
(Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen Sie, wenn wir regieren!)
Jetzt differenziere ich für Sie noch eine Ebene. Geht man noch eine Differenzierungsebene tiefer und knüpft an konkrete Sachzuständigkeiten an und erhebt dies zum Ausgangspunkt der vorübergehenden Beschränkung der Berufsfreiheit, so mag dies nach einem belastbaren Kriterium klingen. Aber der Vorwurf, dass eine ministerielle Befassung des Betroffenen nicht vorlag, wird angesichts von Dienstbesprechungen und Kabinettssitzungen niemals völlig zu entkräften sein, weil im Mindestmaß die Kenntnis nicht auszuschließen sein wird.
Die fehlende Paraphierung eines Vorgangs durch den Betroffenen würde niemals die politische – nicht die juristische – Unschuldsvermutung an dieser Stelle aufheben. Damit hätten wir eine Generalklausel für künftige Streitgespräche an einer Stelle hineinformuliert, wo wir Verbindlichkeit herstellen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Gerade dies zeigt, dass es leichter ist, diesen Gesetzentwurf zu fordern, als ihn vorzulegen. Wenn man ihn schon fordert, dann muss man die Gewissheit haben, dass der Komplex zuverlässig regelbar ist. Ohne eine abschließende Bewertung an dieser Stelle vorzunehmen: Das Panorama zeigt, dass eine tiefgründige Sacharbeit unerlässlich ist, um die Karenzzeiten vernünftig und machbar einzuführen. Genau hierzu lade ich im Namen der Regierungsfraktionen die Antragsteller herzlich ein.
Die Debatte hier und heute nehme ich persönlich als notwendige und wichtige Gelegenheit, die äußeren Pole des Komplexes zu definieren. Wir sollten antreten, eine effektive und pragmatische Lösung zu finden, die regelungstechnisch zunächst bei der Selbstverpflichtung ansetzen könnte. Damit plädiere ich darüber hinaus für einen verbindlichen Lösungsansatz, der den Grundkonsens in diesem Hause einstimmig fixiert und darüber hinaus nicht unbedingt konsensfähige Punkte im Rahmen eines Ehrenkodexes bzw. Verhaltenskodexes – dazu sind wir für Gespräche offen – konkretisieren kann. Aber eine verbindliche Regelung für Karenzzeiten ist – daran besteht kein Zweifel – dringend geboten.
Die konkrete Frage in sachlicher Hinsicht, ob und wieweit ein fachübergreifender oder fachinterner Wechsel von Politik in Wirtschaft vorliegt, wird allerdings stets eine Einzelfallbewertung bleiben. Dabei möchte ich diese Einzelfallbewertung aber stets der parlamentarischen Kontrolle unterworfen wissen.
Schon jetzt gilt § 5 Abs. 1 Satz 2 Bundesministergesetz, der den Bundestag beispielsweise bei der Vereinbarkeit von Regierungsamt und Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat zum Souverän macht. Diese Prägung von Parlamentarismus könnten wir bereichernd in die Beratungen einbringen.
Ich fasse zusammen: Die SPD und die übrigen Partner der Regierungskoalition werden den Koalitionsvertrag an dieser Stelle umsetzen und zügig Karenzzeiten einführen. An dieser Stelle ist die Regierung gefordert. Dabei geht es schließlich nicht nur um die Würde von Regierungsämtern, sondern auch um die Integrität des politischen Systems in Deutschland.
Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit. Im Ruhrgebiet sagt man auch: Ein herzliches Glückauf!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Herr Kollege, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Sie haben gesagt: „Jetzt wird es dröge.“ Ehrlich gesagt, ich fand es nicht dröge. Ich fand es ziemlich pfiffig und einladend zu einer lebhaften Debatte und Auseinandersetzung. Ich gratuliere Ihnen sehr zu diesem Einstieg.
(Beifall)
Als nächsten Redner rufe ich auf Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3046847 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 8 |
Tagesordnungspunkt | Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder |