Sonja SteffenSPD - Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte anwesende Gäste! Damit die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ihr Mandat als Vertreter des gesamten Volkes vertrauensvoll ausüben können, müssen sie frei und unabhängig sein. Finanzielle Abhängigkeiten und Interessenkonflikte müssen erkennbar und kontrollierbar sein. Dies ist aber nur möglich, wenn die geschäftlichen Beziehungen und die beruflichen Tätigkeiten der Abgeordneten transparent sind. Nur so können wir das Vertrauen des Volkes in die freie Ausübung des Mandates gewinnen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
In der Vergangenheit sind schon sinnvolle Regelungen getroffen worden. Ich erinnere beispielsweise an die Regelung unter Rot-Grün aus dem Jahr 2005 in Bezug auf die Offenlegung von Nebeneinkünften. Es gibt allerdings noch viel Regelungsbedarf, zum Beispiel in Bezug auf die Abgeordnetenbestechung, aber auch in Bezug auf die Karenzzeiten für ehemalige Regierungsmitglieder.
Die SPD hatte nicht nur in ihrem Regierungsprogramm – darauf hat Herr Özdemir schon hingewiesen – einen entsprechenden Verhaltenskodex vorgeschlagen, sondern auch in der letzten Legislaturperiode einen Antrag mit dem Titel „,Karenzzeit‘ für ehemalige Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre in Anlehnung an EU-Recht einführen“ ins Parlament eingebracht, der genau dieses Problem zum Inhalt hatte. Wir haben damals gesetzliche Regelungen gefordert, die eine Karenzzeit vorsehen, und zwar in Anlehnung an die Vorschriften, die für die Europäische Kommission gelten. Wir haben darüber schon einiges gehört. Ich will dennoch kurz auf den Inhalt dieser Regelungen eingehen, weil wir uns damals auch darauf bezogen haben.
Ein Verhaltenskodex verpflichtet die ehemaligen Kommissare dazu, bei der Aufnahme von Tätigkeiten nach Ende der Amtszeit „ehrenhaft und zurückhaltend“ zu sein. Die Tätigkeit ist der Kommission rechtzeitig zu melden. Darüber hinaus dürfen die ehemaligen Kommissare in der Übergangszeit keine Lobbyarbeit betreiben, die ihren ehemaligen Zuständigkeitsbereich betrifft. In strittigen Fällen entscheidet dann ein Ethik-Komitee, und über die Empfehlungen dieses Ethik-Gremiums wiederum entscheidet die Kommission.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klingt gut!)
– Das klingt gut, ja. Übrigens widmet sich auch der Koalitionsvertrag diesem Problem, Herr von Notz. Wir sehen durchaus Handlungsbedarf. Im Koalitionsvertrag heißt es – es ist schon zitiert worden –:
Sicherlich ist das eher allgemein gefasst. Wir fordern Sie dennoch auf, gemeinsam mit uns einen Konsens für eine vernünftige Regelung zu finden.
In diesem Zusammenhang sind zwei wichtige Fragen zu klären. Die erste Frage ist: Wie grenzen wir eine angemessene Regelung von einem verfassungswidrigen Berufsverbot ab?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Auf diese Frage darf es keine populistische Antwort geben, nach dem Motto „Drei bis fünf Jahre gesetzliches Berufsverbot für ausscheidende Regierungsmitglieder“.
(Zuruf von der LINKEN: Wer macht denn das?)
Vielmehr bedarf es einer verfassungskonformen Regelung.
Vom Grundsatz her ist unser repräsentatives Demokratiemodell so ausgerichtet, dass ein politisches Mandat oder Amt nur für eine beschränkte Dauer ausgeübt wird; darauf hat der Kollege Kaster schon verwiesen. Die Arbeit hier im Parlament und auch in der Regierung ist kein Amt auf Lebenszeit. Es spielt keine Rolle, zumindest meistens, ob und über welche entsprechende Vorbildung wir verfügen. Jeder Ausscheidende ist selbst dafür verantwortlich, dass sein Berufsleben nach der Beendigung des zeitlich begrenzten Mandats weitergehen kann. Viele kehren zu ihrem alten Beruf zurück, und andere wenden sich neuen Aufgaben zu. Dabei muss es legitim sein, dass man sich Aufgaben widmet, die man während der Amtszeit fachpolitisch betreut hat.
Wir haben hier schon einige Beispiele gehört. Ich möchte noch ein paar nennen, damit wir erkennen, welche Palette von Problemen wir zu bearbeiten haben. Ist es beispielsweise als Skandal zu bezeichnen, wenn sich eine Fachpolitikerin aus dem Bereich Familienpolitik nach Beendigung ihres Mandats im Bereich des Kinderschutzbundes engagiert? Ist es skandalös, wenn ein verdienter und erfahrener Sozialpolitiker nach seinem Ausscheiden für die Gewerkschaft arbeitet? Dieses Beispiel hatten wir schon. Wird es erst dann skandalös, wenn es sich um einen Unternehmensverband handelt? Ist es nicht legitim, wenn ein Staatssekretär der Bundesregierung als Landesminister seine politische Arbeit fortsetzt? Wo beginnt die Grenze des Klüngels, der dem Vertrauen des Volkes in die Politiker sehr schaden kann?
Richtig: Nicht jeder Lobbyismus ist Teufelszeug. Ist die Grenze in jedem Fall überschritten, wenn ein Wechsel in den Lobbybereich der freien Wirtschaft erfolgt oder eine gewisse Gehaltsgrenze überschritten ist?
Liebe Kollegin Steffen, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von der Kollegin Haßelmann zuzulassen?
Nein. – Auf jeden Fall ist die Grenze überschritten, wenn für ehemalige Berufspolitiker ein hochdotierter Posten in einem Wirtschaftsbereich zurechtgeklüngelt wird, den der Politiker während seiner Amtszeit betreut hat.
Letztendlich kann man sich nur schwer eine Regelung vorstellen, die auf alle Fälle zutrifft; denn man kommt sehr schnell in den Bereich von verfassungswidrigen Berufsverboten. Ich sehe das ein Stück weit anders als Sie, Herr von Notz, weil alle Entscheidungen im Bereich des Arbeitsrechts und des Handelsrechts letztendlich ihren Ausgangspunkt in Art. 12 GG haben. Die Frage ist, ob in diesem Zusammenhang eine Entscheidung überhaupt möglich ist.
Es darf also nicht darum gehen, den Wechsel aus der Politik in andere Tätigkeitsbereiche grundsätzlich zu untersagen, sondern nur dann, wenn schwerwiegende Interessenkonflikte vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn durch die Ausübung der neuen Tätigkeit beispielsweise die Interessen der staatlichen Gewalt gefährdet sind oder wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ein entscheidender Einfluss auf wichtige Personen in der Politik ausgeübt wird.
Die zweite Frage, die gestellt werden muss, ist: Wie lange soll eine Karenzzeit für ehemalige Regierungsmitglieder sein? Sie von den Grünen fordern in Ihrem Antrag eine dreijährige Übergangsfrist. In unserem Antrag aus der letzten Legislaturperiode forderten wir eine Karenzzeit von 18 Monaten. Nach dem Vorschlag der Fraktion Die Linke soll sich die Karenzzeit an dem Zeitraum für die Gewährung des Übergangsgeldes orientieren.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Gute Idee!)
Der Vorschlag ist in der Tat gar nicht so schlecht.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sage ich doch!)
Darüber sollten wir reden – auf alle Fälle –, aber Sie von den Linken sollten sich schon einigen; Ihre Parteivorsitzende hat nämlich fünf Jahre Karenzzeit gefordert.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie hat dem Antrag zugestimmt!)
Da ergibt sich schon ein großer Unterschied.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kein Problem! Wir sind uns komplett einig!)
Karenzzeiten sind mit Rücksicht auf das Grundrecht der Berufsfreiheit nur dann gerechtfertigt, wenn und solange sie notwendig sind, um das Parlament und die Regierung, aber auch die ausscheidenden Regierungsmitglieder in ihrem Ansehen zu schützen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Sie dürfen hingegen nicht eingesetzt werden, um das frühere Regierungsmitglied für eine berufliche Tätigkeit schlicht unbrauchbar zu machen. Bei einer Karenzzeit von drei oder gar fünf Jahren wird sich jeder, der an einem politischen Mandat interessiert ist, zukünftig sehr genau überlegen, ob er sich für die begrenzte Zeit des Mandats in die Politik begibt. Eine längere Übergangsfrist als 18 Monate halten wir vor diesem Hintergrund für verfassungsrechtlich bedenklich.
Die Karenzzeit von 18 Monaten entspricht im Übrigen der Regelung auf der EU-Ebene; darauf hatte ich schon hingewiesen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut! Legen Sie ein Gesetz mit „18 Monate“ vor!)
Ich hoffe auf einen breiten Dialog hier im Bundestag, weil das letztendlich jeden von uns einmal betreffen kann, und dass wir hier zu einem Konsens kommen und wirklich eine gute Lösung finden.
Wir benötigen also möglichst zeitnah verbindliche Regelungen, die die Interessen unseres demokratischen Systems und des staatlichen Handelns ausreichend schützen, die aber auch das ausscheidende Regierungsmitglied nicht übermäßig einschränken.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen.
Jetzt hat der Kollege Helmut Brandt das Wort. – Entschuldigung; die Kollegin Haßelmann hatte gebeten, eine Kurzintervention machen zu dürfen.
Bitte schön. Ich ziehe mich zurück.
(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Aber nicht dauerhaft, oder?)
Danke, Herr Kollege Brandt. Nach der Kurzintervention haben Sie natürlich das Wort. – Bitte, Frau Haßelmann.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3046886 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 8 |
Tagesordnungspunkt | Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder |