16.01.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 8 / Tagesordnungspunkt 12

Helmut BrandtCDU/CSU - Staatsangehörigkeitsrecht

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist noch gar nicht lange her, da haben wir hier im Deutschen Bundestag vor der letzten Wahl auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken über dieses Thema, über die Abschaffung des Optionszwangs, gesprochen. Herr Beck, wenn Sie mit Ihren Anträgen auch nur ein paar Wochen gewartet hätten, dann hätten Sie den Gesetzentwurf der Regierung gesehen und ihm hoffentlich mit Freude zugestimmt. Warten wir ihn doch einfach einmal ab.

Weil Sie es nicht richtig geschildert haben und weil Sie das, was seinerzeit gemacht worden ist, als Unsinn bezeichnet haben – was ich zurückweise; es war schon sehr sinnvoll –, will ich die Rechtslage noch einmal verdeutlichen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum schaffen Sie es denn ab, wenn es sinnvoll war?)

– Das erkläre ich Ihnen auch noch. Sie müssen nur Geduld haben.

Voraussetzung für den seit dem Jahr 2000 geltenden Jus-Soli-Erwerb war und ist, dass mindestens ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewünschten Aufenthalt im Inland hat und über ein befristetes Aufenthaltsrecht verfügt.

(Rüdiger Veit [SPD]: Oder!)

Diese Kinder müssen sich nach Vollendung des 18. Lebensjahres bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden, also entweder bei der deutschen verbleiben oder die Staatsbürgerschaft, die sie durch einen der beiden Elternteile erworben haben, beibehalten. Seit 2000 waren davon immerhin 450 000 Kinder betroffen und sind auf diesem Wege deutsche Staatsangehörige geworden. Das ist eine beachtliche Zahl. Für die ersten dieser Kinder, die im Jahre 2008 18 Jahre alt wurden, ist die Optionsphase im vergangenen Jahr abgelaufen. Jetzt ist es interessant, zu sehen, wie sie sich entschieden haben. Weil sich die meisten, nämlich 98 Prozent, für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben, muss ich den Vorwurf des Unsinns zurückweisen.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt! Es ist großer Unsinn!)

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Für mich ist das ein Beweis dafür, dass diese Optionspflicht, die damals eingeführt worden ist, durchaus Sinn gemacht hat und nach meiner persönlichen Auffassung auch heute noch macht. Denn die Entscheidung für eine der beiden Staatsbürgerschaften als klares Bekenntnis zu einem Land halte ich nach wie vor für einen Menschen, der schon 18 bis 23 Jahre lang hier gelebt hat, für durchaus zumutbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber es gibt noch weitere gute Gründe für diese Optionspflicht.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Optionsmodell nicht verstanden!)

– Dass Sie dieser Meinung sind, glaube ich Ihnen gerne. Aber wir können ja noch darüber diskutieren, wer was richtig versteht.

Es gibt auch ein gutes Beispiel dafür, weshalb es für die Betroffenen durchaus überlegenswert ist, die zweite Staatsbürgerschaft abzulegen. Sie wissen alle: Wir haben in der letzten Legislaturperiode die Wehrpflicht ausgesetzt – nicht abgeschafft, aber ausgesetzt. Das bedeutet jetzt für türkische Staatsangehörige, dass sie sich in der Türkei freikaufen müssen, wenn sie es denn können.

Bei der Strafverfolgung besteht durchaus die Gefahr, dass sich jemand der Strafverfolgung entzieht, indem er in sein zweites Heimatland geht, das ihn nicht ausliefert, weil es kein Auslieferungsabkommen gibt. Es gibt sowohl im Familien- wie auch im Erbrecht Probleme – die können Sie nicht verleugnen –, die durch diese Regelung, die wir bislang hatten, einfacher zu lösen waren.

Nicht zuletzt – jetzt komme ich auf den Hauptpunkt – gibt es einen Loyalitätskonflikt, insbesondere dann, wenn in dem Heimatland – wir reden ja nicht nur über die Türkei, aber auch – ganz andere Vorstellungen von Demokratie und vor allen Dingen Religionsfreiheit bestehen.

Herr Kollege Brandt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu?

Ja, gern.

Eine ganz konkrete Frage, Herr Kollege. Sie haben gerade die Punkte Loyalitätskonflikt und Strafverfolgung angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass Deutschland mit 53 verschiedenen Ländern dieser Erde bereits sogenannte Doppelstaatsbürgerschaftsabkommen geschlossen hat? Dabei gibt es keines der Probleme, von denen Sie hier reden. Es gibt niemanden, der sich in einem Loyalitätskonflikt befindet oder der sich der Strafverfolgung entzieht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist durchaus zutreffend, aber es gibt darüber hinaus mehr als 100 weitere Länder, mit denen solch ein Abkommen nicht besteht. Von denen habe ich gerade gesprochen.

Ich komme zurück zum Loyalitätskonflikt. Ich will einmal, weil die Menschen mit türkischstämmigem Hintergrund hier eine besondere Bedeutung haben, auf die Regierung Erdogan zu sprechen kommen. Sie hat ja bekanntlich eine Behörde ins Leben gerufen, die sich speziell an im Ausland lebende Türken wendet und das Ziel verfolgt, diese im Ausland lebenden Türken für ihre Interessen zu gewinnen. Ich meine, dass dies zumindest ein starkes Indiz dafür ist, dass Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft für Ziele vereinnahmt werden, die in unserem Land keine Rolle spielen, sondern nur in der Türkei. Wenn Ministerpräsident Erdogan sagt: „Geschichte und Schicksal mögen uns in unterschiedliche Länder versetzt haben, aber unsere Herzen schlagen immer zusammen“, dann spricht doch diese Aussage für sich.

(Rüdiger Veit [SPD]: Das ist seine Aussage und nicht die der jungen Leute hier!)

– Das ist seine Aussage; das ist vollkommen richtig. Aber er übt Einfluss auf die aus, die hier in Deutschland leben.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie sich doch Erdogan nicht zu eigen, auch wenn es Ihre Schwesterpartei ist!)

Deshalb gibt es gute Gründe, Herr Beck, die Sie bei Ihren Ausführungen natürlich alle verschwiegen haben, das Optionsmodell nicht als Unsinn zu bezeichnen. Ich muss im Übrigen auch Ihre Einschätzung zurückweisen, Herr Beck, dass heute über alle politischen Lager hinaus Einigkeit darin besteht, dass sich die Optionspflicht nicht bewährt hat. Das ist nicht richtig. Ich hatte das eben ausgeführt.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich verwirrt!)

Richtig ist, dass CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Optionspflicht abzuschaffen bzw. es dem betroffenen Personenkreis leichter zu ermöglichen, die doppelte Staatsbürgerschaft zu behalten.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Aha!)

Die Entscheidung zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der des Herkunftslandes der Eltern oder eines Elternteils ist für junge Migranten, die hier geboren sind und hier leben wollen, natürlich ein Problem. Das sehen wir auch. Aber für uns ist nach wie vor von großer Bedeutung, dass wir die Integration dieser Gruppe im Blick behalten.

Unser Vorhaben gehört sicherlich zur Willkommenskultur, die wir in unserem Land weiterhin fördern wollen. Wir wollen, dass sich die jungen Menschen, die sich seit ihrer Geburt in Deutschland aufhalten, auf Dauer in unserem Land wohlfühlen und dem Land verbunden bleiben. Deshalb ist die Ermöglichung von gleichen Chancen auf ein gutes Aufwachsen im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Das halten wir für wichtig, damit es bei der Umsetzung des Vertrages nicht zweierlei Meinungen gibt.

Frau Künast ist heute leider nicht hier.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin ganz Ohr!)

– Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen. Ich begrüße Sie sehr herzlich.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wahrscheinlich erinnern Sie sich an Ihren Zwischenruf, den sie im letzten Jahr während der Debatte gemacht haben. Sie haben gesagt, die seien doch alle integriert. Aber das ist leider nicht wahr. Wir müssen immer noch feststellen, dass eine große Zahl derjenigen, die hier in Deutschland leben – selbst wenn sie seit ihrer Geburt hier leben –, leider nicht die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie Kinder, die aus deutschen Familien stammen.

Es ist einfach eine Tatsache, dass in dieser Gruppe ein hoher Prozentsatz – doppelt so hoch wie der Durchschnitt – keinen Schulabschluss macht und später auch keine Berufsausbildung aufnimmt. All das halten wir für nicht akzeptabel. Herr Beck, Sie können es drehen, wie Sie wollen: Wir halten den Druck, den wir ausüben wollen, damit sich die Menschen in Deutschland wirklich integrieren und sich den Möglichkeiten öffnen, die unser Staat bietet, für wichtig. Unser Modell „Integration geht vor Staatsangehörigkeit“ halte ich nach wie vor für richtig.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn das jetzt für die Reform?)

Lassen Sie mich in dieser Debatte einen weiteren Punkt ansprechen. Seit 2005 haben wir, also die CDU/ CSU-geführte Regierung, die Integration in den Fokus gerückt. Wir haben in dieser Zeit beispielsweise Integrationskurse eingeführt.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Integrationskurse haben wir eingeführt! In dem Zuwanderungsgesetz!)

Seit 2005 haben wir 1 Milliarde Euro für Integration und Sprachkurse ausgegeben. Man sieht, dass es unser hauptsächliches Bemühen ist, die Menschen fit zu machen, um in Deutschland Erfolg zu haben. Das ist und bleibt unser Ziel.

Warten wir den Regierungsentwurf ab. Diskutieren wir dann im Innenausschuss, in den Sie jetzt von Ihrer Fraktion entsandt worden sind, über den Inhalt dessen, was wir nach der Vorlage des Regierungsentwurfs tatsächlich umsetzen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Brandt, gestatten Sie noch eine abschließende Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Ja.

Herr Brandt, ich bin aus Ihrer Rede nicht so ganz schlau geworden.

(Beifall des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie haben begründet, warum der Optionszwang eine wunderschöne Sache war. Heißt das, der Satz, wie er im Koalitionsvertrag steht, wird von Ihnen teilweise in Zweifel gezogen? Wollen Sie noch Bedingungen an die Aufgabe des Optionszwanges stellen?

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Frieser [CDU/CSU]: Wie durchsichtig!)

Sie haben ja gesagt: Jetzt warten wir einmal ab, was da kommt. – Es kann eigentlich nur das kommen, was wir aufgeschrieben haben; vielleicht mit einem anderen Wording. Wollen Sie davon in der Substanz abweichen, und, wenn ja, an welcher Stelle?

Wir halten uns strikt an das, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, und werden das auch umsetzen. Ich weiß jetzt nicht, was Sie mit Wording meinen, aber jedenfalls geht es nicht um den Wortlaut, den Sie in Ihren Anträgen benutzt haben. Warten Sie unsere Vorlage ab, und dann diskutieren wir darüber!

Vielen Dank, Herr Kollege Brandt. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3047224
Wahlperiode 18
Sitzung 8
Tagesordnungspunkt Staatsangehörigkeitsrecht
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