Gunther KrichbaumCDU/CSU - Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Europäische Kommission hat sich in ihrem Arbeitsprogramm viel vorgenommen. Dazu gehört im Wesentlichen die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Man plant Initiativen zur Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Die Klima- und Energiepolitik und die Weiterentwicklung digitaler Technologien stehen auf ihrer Agenda. Auch der Bereich der Sicherheitspolitik und der Justizpolitik wird nicht ausgespart. Man hat sich das Thema der Europäischen Staatsanwaltschaft auf die Agenda gesetzt, genauso die Entwicklung der Außenwirtschafts- und der Außenpolitik.
Wenn Sie jetzt fragen, wie das die Kommission eigentlich alles schaffen möchte – denn das waren nur die Überschriften –, dann besteht diese Frage ohne jeden Zweifel zu Recht. Denn bei Lichte besehen wird dieses Arbeitsprogramm 2014 nur bis Mai halten; denn dann finden – Kollege Axel Schäfer hat es schon angesprochen – die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Auch wenn die Amtszeit der Europäischen Kommission bis Oktober dauert, wird dann in Brüssel sicherlich nicht mehr unbedingt der Zustand herrschen, dass der Kommission die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Deswegen muss man auch von deutscher Seite darauf schauen, wie die Dinge umgesetzt werden. Auffällig ist in jedem Fall, dass die Europäische Union, dass die Europäische Kommission weg von der Krisenbewältigungspolitik und hin zu einer stärkeren Zukunftspolitik möchte, und dieser Schritt ist richtig.
Lieber Kollege Ulrich, es ist geradezu das Markenzeichen der Europäischen Union, dass wir durch Wettbewerbsfähigkeit die Arbeitsplätze von morgen schaffen müssen, mit einem Mehr an Forschung und Technologie. Denn wie wollen wir angesichts der Globalisierung, dem Thema des 21. Jahrhunderts, im Wettbewerb bestehen, wenn es uns nicht gelingt, diese Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])
Mit Blick auf die Staatsschuldenkrise einiger EU- Länder, die tatsächlich die gesamte europäische Währungsunion, ja, auch unsere Wirtschaft, in eine Schieflage gebracht haben, fällt doch auf, dass wir mehr als nur vorangekommen sind. Denn noch vor zwei oder drei Jahren mussten wir tatsächlich noch ganz andere Themen diskutieren: Es wurde offen darüber diskutiert, ob die Euro-Zone eventuell auseinanderbrechen könnte, ob die ganze Europäische Union auseinanderbrechen könnte. Und nein, diese Europäische Union hat zusammengehalten, hat sich gegenüber jenen Staaten als solidarisch erwiesen, die sich in Schieflage befanden. Aber es war eben auch richtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel damals sagte: Nein, diese Hilfen und Unterstützungen werden nicht bedingungslos ausgereicht; wir fordern von diesen Staaten eigene Bemühungen, eigene Anstrengungen ein. Diese haben sich, wie man sieht, gelohnt. Deswegen diskutieren wir heute ganz andere Themen.
Heute freuen wir uns darüber, dass Irland als erstes Land den Rettungsschirm hat verlassen können, dass sich Spanien auf einem guten Weg befindet, dass die Arbeitslosigkeit sinkt und die Hilfsprogramme der Europäischen Union nicht mehr in Anspruch genommen werden müssen. All diese Länder befinden sich auf einem sehr guten Weg, einschließlich Griechenland. In Griechenland gibt es einen sogenannten Primärüberschuss. Das heißt, dass in diesem Land nach Abzug der Zinsen mittlerweile ein Haushaltsüberschuss besteht. Das ist eine ganz wichtige volkswirtschaftliche Kerngröße, um erkennen zu können, ob sich dieses Land auf dem richtigen Weg befindet. Ja, es tut es.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deswegen wäre es richtiger, Herr Kollege Ulrich, die Anstrengungen dieser Länder insgesamt anzuerkennen. Wir unterstützen sie weiter auf diesem Weg, wir erweisen uns hier als solidarisch, aber es wird ohne diese schmerzvollen Anpassungsprozesse natürlich nicht funktionieren.
Ein Weiteres. Ja, es ist wahr: Natürlich hätten viele dieser Maßnahmen bereits in den Vertrag von Maastricht eingefügt werden müssen. Aber damals, vor über 20 Jahren, ist niemand davon ausgegangen, dass all diese Entwicklungen die Währungsunion schier auseinanderreißen könnten. Deswegen ist es umso anerkennenswerter, dass es gelungen ist, an einem bestehenden Haus eine Kernsanierung durchzuführen, nachträglich Stahlträger einzuziehen, sodass wir jetzt in Europa eine Finanzarchitektur haben, die sich als stabil erweist. Der Euro ist, weltweit betrachtet, die Leitwährung neben dem US- Dollar. Das Vertrauen kehrt zurück. Daran müssen wir weiter arbeiten, und wir müssen alles dafür tun, dass sich dieser Weg fortsetzt, und da bin ich sehr zuversichtlich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte ein weiteres Thema anschneiden, das die Europäische Kommission auf ihre Agenda gesetzt hat – es geht um das Justizwesen, das früher als dritte Säule bezeichnet wurde –: die Europäische Staatsanwaltschaft. Bei Licht betrachtet müssen wir als Bundestag kritisch feststellen, dass wir erst jetzt, Ende Januar 2014, über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission diskutieren, obwohl es bereits seit Oktober 2013 auf dem Tisch liegt. Während in der Zwischenzeit viele nationale Parlamente die sogenannte Subsidiaritätsrüge erhoben haben – übersetzt gesprochen heißt das, dass sie darauf hingewiesen haben, dass die nationalen Mitgliedstaaten dieses Problem besser lösen können als die Europäische Union –, hat sich der Deutsche Bundestag als sprachlos erwiesen.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten ja keine Sitzungen!)
Ja, national betrachtet können wir sicherlich bei manchen nationalen Gesetzesprojekten die Uhr anhalten; auf internationaler Ebene, vor allem in europapolitischer Hinsicht funktioniert das aber nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir konnten nicht voraussehen, dass die Regierungsbildung so viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Es ist richtig, dass dabei Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht; aber wir müssen aus dieser Erfahrung die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen. Der Hauptausschuss, den wir eingesetzt haben, war in dieser Zeit sicherlich hilfreich, aber er darf nicht als Blaupause für die Zukunft dienen. In der Phase zwischen der Bundestagswahl und der Neukonstituierung der Ausschüsse, insbesondere des Europaausschusses, müssen wir weiter Europapolitik betreiben. Unsere Verfassung bietet uns die Möglichkeit dazu. Der Europaausschuss kann schon heute plenarersetzend tagen, aber er macht es nicht. Deswegen müssen wir in dieser Legislaturperiode kritisch reflektieren, ob und inwieweit das hilfreich war. Wir müssen für die Zukunft andere Möglichkeiten finden, damit wir in der Europapolitik parlamentarisch handlungsfähig bleiben. Aufgrund des Vertrages von Lissabon und der sogenannten Begleitgesetze, die uns als Bundestag mehr Rechte gegeben haben, ist der Deutsche Bundestag, ist der Europaausschuss in der Verantwortung. Er muss diese Rechte ausüben. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten das von uns.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zurück zur Europäischen Staatsanwaltschaft. Ich persönlich unterstütze die Bundesregierung ganz klar in ihrem Bemühen, die Europäische Kommission dazu zu bewegen, die vorgetragenen Bedenken der Parlamente zu berücksichtigen. Nach meinem Kenntnisstand haben immerhin 19 Parlamente gerügt. Man muss hinzufügen – damit das richtig verstanden wird –: Nicht nur Parlamente wie der Deutsche Bundestag, sondern auch die sogenannten zweiten Kammern sind rügeberechtigt. Die Agenda, die von den anderen Parlamenten auf den Tisch gelegt wurde, muss umgesetzt werden.
Last but not least möchte ich auf die Erweiterungspolitik, die sich nicht explizit unter den genannten vier Punkten befindet, zu sprechen kommen. Auch an diesem Thema müssen wir dranbleiben. In dieser Legislaturperiode wird es aller Voraussicht nach keinen weiteren Beitritt eines neuen Mitgliedslandes geben – eine Ausnahme ist vielleicht Island; aber wir kennen die Voraussetzungen. Das heißt aber nicht, dass wir an diesem Thema nicht dranbleiben müssen. Gerade der sogenannte westliche Balkan ist nach wie vor eine sehr vielschichtige und schwierige Region. In 2014, 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs – wir wissen ganz genau, wie schwierig die Bedingungen in dieser Region des Balkans damals waren –, ist es aller Ehren wert, ein Auge darauf zu werfen. Das heißt, wir brauchen weiterhin regionale Strategien, die Vertrauen zwischen den Staaten untereinander schaffen. Die Donauraumstrategie ist und kann weiterhin ein ganz wichtiger Ansatzpunkt dafür sein, dass die Staaten grenzüberschreitend enger miteinander kooperieren. Und es gilt, weiter die Hand zu reichen in der Strategie der Östlichen Partnerschaft. Diese – das hatte ich in meiner letzten Rede schon dargestellt – ist natürlich von der Zwischenbilanz her zunächst einmal etwas ernüchternd.
Aber es gibt auch positive Beispiele – trotz aller Pressemäkelei. Ich nenne als ein Beispiel die Republik Moldau,
(Beifall der Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] und Petra Ernstberger [SPD])
die ganz schwierigen Voraussetzungen gegenübersteht. Wir thematisieren zwar ständig den Druck Russlands auf die Ukraine, übersehen dabei aber völlig, welch enormer Druck auch auf die Republik Moldau ausgeübt wird. Sie kann beispielsweise ihren Wein, eines der wichtigen Agrargüter dieses Landes, nicht mehr nach Russland exportieren. Hier haben wir als EU reagiert. Wir haben die Grenzen Europas dafür geöffnet. Das ist ein wichtiges Signal. Man schaut aus diesem Land heraus sehr stark auf uns – Kollege Manfred Grund weiß davon zu berichten –, und zwar nicht nur auf uns als Europäische Union, sondern insbesondere auch auf Deutschland. Dieses Land hat weiterhin unsere Unterstützung verdient, wie auch alle anderen Länder, die sich aufmachen, die Standards der Europäischen Union mehr und mehr umzusetzen.
Deswegen noch eine letzte Anmerkung zur Ukraine und ein kurzer Satz zu Mazedonien. Gerade die Ukraine sollte weiter auf unserer Agenda bleiben. Die dortigen demokratischen Kräfte, die ein anderes Land in unserem Sinne schaffen wollen, haben alle Unterstützung verdient,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und sie sehen sich dabei schwierigen Voraussetzungen gegenüber, vor allem die NGOs und die Bürgerbewegungen.
Last but not least Mazedonien: bei Lichte besehen leider ein Trauerspiel. Wir könnten mit Mazedonien schon längst Beitrittsverhandlungen führen, tun es aber nicht, weil Griechenland diesen möglichen Fortschritt mit einem bizarren, absurden Namensstreit blockiert. Nein, es muss Schluss damit sein, dass aus zwischenstaatlichen Streitigkeiten ein Faustpfand erhoben wird, dass andere Länder geradezu erpresst werden. Deswegen wünsche ich mir, dass es auch hier endlich vorangeht und dass wir ein deutliches Signal setzen auch gegenüber einem Land, das gegenwärtig die Ratspräsidentschaft innehat.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich erteile das Wort dem Kollegen Manuel Sarrazin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3047892 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 9 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission |