Detlef SeifCDU/CSU - Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wirtschaftlichen Eckdaten belegen – manche sprechen vom zarten Pflänzchen –, dass es in Europa wieder aufwärtsgeht. Die teils harten Strukturmaßnahmen in den einzelnen Ländern waren erforderlich. In diesem Zusammenhang, Herr Ulrich und Herr Hunko, möchte ich Ihnen sagen: Ich kann es nicht mehr hören. Sie verwechseln Ursache und Wirkung.
(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann hören Sie doch weg! Dann sind Sie das Problem los!)
Die Probleme in Griechenland sind die Folge der Finanzkrise, des ständigen Konsums und einer Staatsschuldenkrise.
(Zurufe des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
Man konnte sich auf dem Kapitalmarkt nicht mehr refinanzieren.
Deshalb haben wir Europäer solidarisch Unterstützung geleistet. Das konnten wir aufgrund unserer Verantwortung gegenüber anderen Ländern und unseren Finanzen und auch, weil wir wollen, dass es tatsächlich vorwärtsgeht, nicht dadurch tun, dass wir sagen: „Hier ist ein Sack mit Geld, den wir euch zur Verfügung stellen“, sondern das muss streng konditionalisiert geschehen. Hier sind wir auf dem richtigen Weg.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)
Aber eines ist klar – das ist uns allen auch bewusst –: Sparmaßnahmen, eine makroökonomische Steuerung und eine gute Haushaltspolitik reichen nicht, um Arbeitsplätze zu generieren. Die Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit stellt die EU vor eine besonders große Herausforderung. Circa 27 Millionen Menschen in der EU sind arbeitslos; rund 6 Millionen davon sind unter 25 Jahre alt.
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit – Herr Sarrazin, Sie haben das verdeutlicht – bringt uns alle in Europa in große Gefahr. Die Demokratie ist gefährdet. Wenn hochmotivierte junge Menschen keine Anstellung finden, dann sind sie eher zugänglich für radikale Kräfte. Deshalb ist es richtig, dass die EU-Kommission in ihrem Arbeitsprogramm 2014 den Schwerpunkt tatsächlich auf die Überwindung der Arbeitslosigkeit und auf Beschäftigung legt.
(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Unverbindlich!)
Herr Kollege Seif, darf der Kollege Dehm Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja, wenn sie sachlich ist, gerne.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das wissen wir, sobald wir die Frage gehört haben. – Bitte schön, Herr Kollege Dehm.
Davon können Sie doch bei mir immer ausgehen. – Da Sie das, was der Kollege Hunko und der Kollege Ulrich gesagt haben, offenbar nicht mehr hören können – Sie sagen, der Konsum in Griechenland sei schuld –, möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass im Staatsapparat in Griechenland die Selbstbediener in Ihrer Bruderpartei unter Karamanlis in Koalition mit den Sozialdemokraten einen großen Anteil an diesem Konsum hatten? Sind Sie bereit, den Anteil am Konsum dieser staatlichen Selbstbediener, der Reeder, die steuerlich freigestellt wurden, und derjenigen, die 200 Milliarden Euro in die Schweiz, Luxemburg und in andere Steuerparadiese gebracht haben, anzuerkennen?
Herr Dehm, auch hier verwechseln Sie Ursache und Wirkung.
(Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
In Griechenland hat man wenig investiert. Man hat Griechenland aufgrund des Solidarverbundes in Europa billiges Geld zur Verfügung gestellt. Diese Gelder sind in Griechenland leider überwiegend in den Konsum und nicht in Investitionen geflossen. Das ist das Problem.
(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und wer hat regiert? Wer war an der Macht?)
Die Kommission macht sich zu Recht intensive Gedanken. Sie hat die sogenannte Jugendgarantie auf den Weg gebracht. Das heißt, Menschen unter 25 Jahren soll binnen vier Monaten ein Ausbildungsplatz oder ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden. Sie sollen ein Praktikum machen können. Die Zusammenarbeit der Arbeitsämter muss verbessert werden, um freie Stellen tatsächlich an die arbeitslosen Jugendlichen zu vermitteln. Wir müssen die Jugendlichen auch dazu bringen, mobiler zu sein. Wir müssen in Bildung investieren. All das ist gut und richtig. Aber reichen diese Maßnahmen wirklich aus, um neue Arbeitsplätze zu generieren? Reichen sie aus, um 6 Millionen junge Menschen in Lohn und Brot zu bringen? Wo werden denn Arbeitsplätze generiert, außer in der öffentlichen Verwaltung und in den Verbänden? Doch wohl in Unternehmen, in Betrieben. Deshalb ist eine ganz wesentliche Frage: Haben wir in Europa für expandierende und neu gegründete Unternehmen die richtigen Bedingungen?
Die Industrie hat in Europa in den letzten Jahren Arbeitsplätze abgebaut. Die Wettbewerbsfähigkeit – das kommt in dem Programm der EU-Kommission klar zum Ausdruck – ist zumindest in eine Schieflage geraten; sie ist gefährdet. Kleine und mittlere Unternehmen, gerade auch in den Programmländern, haben erhebliche Probleme, Kredite für dringend erforderliche Investitionen zu erhalten. Die Arbeit der Europäischen Investitionsbank in allen Ehren, aber die anfallenden Risikozuschläge und die fehlende Kreditvergabe wegen mangelnder Sicherheiten sind doch gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen ein ganz großes Problem.
Die Kommission ist hier mit dem sogenannten REFIT-Programm auf dem richtigen Weg. Damit sollen Vorschriften daraufhin überprüft werden, ob sie eine Überregulierung für Industrie und Betriebe darstellen. Der Ansatz ist richtig. Aber wenn Sie in die Anlagen des Arbeitsprogramms schauen, weil Sie sich fragen, wo die Initiativen sind, mit denen diese Idee engagiert und konkret umgesetzt wird, dann stellen Sie fest: Da ist nicht viel zu finden. Lediglich im Anhang II unter Punkt 23 findet sich eine neue Initiative. Da heißt es: Möglicherweise ist eine Anpassung oder Änderung der Rahmenbedingungen und eine Regulierung der Finanzmärkte erforderlich, um dieses Ziel sicherzustellen. – Mit „möglicherweise“ kommen wir nicht weiter. Hier hätte man einen konkreten Vorschlag aufnehmen müssen. Wie können wir erreichen, dass Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen schneller und einfacher vergeben werden?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
– Ja, Sie dürfen klatschen, Herr Dehm, gerne.
Fehlende Sicherheiten haben zumindest Risikozuschläge zur Folge; häufig erfolgt eine Kreditvergabe gar nicht. Hier muss die Kommission ansetzen. Hierzu erwarte ich einen Regelungsvorschlag. Das ist ein dringendes Problem in den Programmländern; das muss angegangen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nun komme ich zu einem anderen Punkt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die Vertreter von Bündnis 90/ Die Grünen etwas dazu sagen möchten. Die Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz und die Belastungen aus der Energiewende können für die Unternehmen in Europa existenzbedrohend werden. Die Abwanderung von Betrieben in Regionen, die geringere Anforderungen stellen und vor allen Dingen schlechtere Umweltstandards haben, ist die Folge. Gerade die Schwerindustrie in Europa ist gefährdet. Im Koalitionsvertrag wird zu Recht betont, dass die Erreichung ambitionierter Klimaschutzziele nicht zum Nachteil für energieintensive Betriebe und vor allen Dingen für Betriebe führen darf, die – der Kollege Krichbaum hat das schon angedeutet – im globalen Wettbewerb mit anderen Unternehmen in dieser Welt stehen.
Was für Deutschland gilt, muss aber auch für die EU gelten. Es gibt jedoch ein Problem bei der Klimapolitik – ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben –: Wir haben leider keine ambitionierte internationale Regelung gefunden. Das heißt, dass wir das 2-Grad-Ziel nicht mehr erreichen können. Es gibt weltweit Volkswirtschaften wie Indien und China, die mehr emittieren, als wir je gedacht hätten. Das heißt, der Klimawandel, der von Menschenhand mitverursacht ist, wird nicht mehr vermeidbar sein.
Warum sage ich das? Bei jeder industriepolitischen Entscheidung in Europa muss man zukünftig darüber nachdenken, ob wir es uns leisten können, mit der Behauptung, dass wir etwas für den Klimaschutz tun, Unternehmen aus Europa in Regionen zu verdrängen, in denen überhaupt kein Umweltschutz betrieben wird oder nur ein geringer Standard gilt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Bitte schön.
Frau Kollegin Baerbock, Sie haben die Möglichkeit einer Zwischenbemerkung.
Vielen Dank. – Herr Seif, Sie haben gesagt, wir hätten leider keine internationale Vereinbarung zu Klimazielen gefunden. Ist Ihre Schlussfolgerung, dass, weil wir international noch nicht auf dem Weg sind – selbst wenn wir uns für 2015 noch vorbereiten –, die EU selber keine ambitionierten Klimaziele mehr aufrechterhalten soll?
Ich danke Ihnen. Sie haben im Prinzip den Punkt vorweggegriffen, den ich hier noch vorgesehen habe. – Das bedeutet nicht, dass wir als Deutschland und als Europa keine Vorreiterrolle im Bereich Umwelt- und Klimaschutz einnehmen sollten. Das dient den Menschen; das dient der Umwelt, und vor allen Dingen dient das auch der Ressourcenschonung. Wenn irgendwo Klimaschutz draufsteht, dann heißt das aber nicht automatisch, dass das gut ist. Ich erwarte – auch von Bündnis 90/Die Grünen –, dass wir bei jeder Frage und insbesondere bei den Fragen, die die Wettbewerbsfähigkeit in Europa angehen, eine vernünftige Abwägung vornehmen. Dabei haben Umweltschutz und Klimaschutz eine große Bedeutung. Aber es sind nicht die einzigen Punkte, die Bedeutung haben. Wir müssen abwägen, ob wir in Europa Beschäftigung wünschen, und unter Umständen auch einmal die eine oder andere Entscheidung zugunsten der Industrie und der wirtschaftlichen Entwicklung treffen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich bringe den Gedanken noch zu Ende: Die EU- Kommission hat recht, wenn sie sich in dem Punkt dezent zurückhält. Denn genau das ist zurzeit der Gewissenskonflikt; das sagt man als Kommissar natürlich nicht. Man will Beschäftigung und Wachstum generieren, aber doch nicht dadurch, dass man sagt: Wir setzen Ziele im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien und im Klimaschutz, egal, welche Auswirkungen sie haben.
Wenn ein Denkprozess in Europa einsetzt, gilt: Der Klimaschutz spielt eine wichtige Rolle, aber er ist nicht der einzige Punkt. Das müssen wir im Zusammenhang sehen.
Meine Damen und Herren, das Thema „mehrjähriger Finanzrahmen von 2014 bis 2020“ und die Förderprogramme streift das Arbeitsprogramm nur am Rande. Das ist auch verständlich, weil es dazu bereits seit Dezember Verordnungen gibt – sechs an der Zahl –, die die zukünftige Förderung in Europa festlegen. Die bisherigen europäischen Struktur- und Investitionsfonds wurden zusammengefasst. Sie sollen konsequenter auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung ausgerichtet werden.
Vieles wurde vereinfacht; aber die Rechtsvorschriften sind nach wie vor sehr komplex. Sie sind sogar undurchsichtiger und komplizierter als das deutsche Steuerrecht. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Die Bemühungen der EU-Kommission in Bezug auf den Bürokratieabbau und die Vereinfachung von Vorschriften in allen Ehren; aber wir sind erst am Anfang des Weges. Hier müssen wir deutlich nachbessern.
Bei der Bewertung, Annahme und Änderung von Projekten sollen in transparenten Verfahren die Mittelvergabe und die Mittelverwendung überwacht werden. Wenn, wie im letzten Jahr, eine zweckwidrige Mittelverwendung erst im Rahmen einer Prüfung des Europäischen Rechnungshofs auffällt – bei Stichproben naturgemäß nur in Einzelfällen –, dann ist das zu spät.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Fehlerquote hat in den vergangenen Jahren zugenommen und lag nach Schätzungen des Europäischen Rechnungshofs 2012 bei 4,6 Prozent; das entspricht 6,5 Milliarden Euro.
Der Anspruch auf Förderung aus dem Strukturfonds setzt neben einem Antrag des jeweiligen Mitgliedstaats auch stets eine Selbstbeteiligung voraus. Man muss sich im Rahmen einer Kofinanzierung einbringen. Aber was machen wir mit den Ländern, die am Boden liegen, die noch nicht einmal die Kofinanzierung aufbringen können? Was machen wir mit Ländern, denen die Verwaltungsstrukturen fehlen, um überhaupt Anträge stellen zu können? Das war in der Vergangenheit ein großes Problem. Hier müssen wir, hier muss die EU-Kommission deutlich nachbessern, damit diejenigen, die die Mittel dringend benötigen, diese auch erhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wichtig wird auch sein, dass wir dafür sorgen, dass die Kommission einen vernünftigen Zuschnitt erhält. Es gibt immer noch 28 Kommissare. Eigentlich war eine Reduzierung um ein Drittel vorgesehen. Die ist erst einmal vom Tisch. Man erkennt auch am Arbeitsprogramm, dass zu viele Köche den Brei verderben. Es gibt zu viele Kompetenzen. Die Zahl der Kommissare ließe sich deutlich verschlanken, und zwar auf rund 15.
Herr Präsident, ich weiß, dass die Uhr läuft. Ich komme daher zum Schluss. – Die EU-Kommission erhebt in ihrem Arbeitsprogramm das Jahr 2014 zu einem Jahr der Entscheidung und Umsetzung. Klingt toll! Das angekündigte Programm wird diesem Anspruch aber nicht gerecht und kann, wie Herr Schäfer in der ersten Rede angedeutet hat, diesem auch gar nicht gerecht werden. Die Europawahl steht an. Es gibt weniger Initiativen und auch nicht mehr so viele qualitativ hochwertige Programme.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie wollen doch nicht die Redezeit auf die der Regierung ausdehnen?)
Herr Kollege!
Ich bin eigentlich fertig. Nur noch zwei Sätze, Herr Präsident.
Das Programm ist in den wichtigen Bereichen Wachstum und Beschäftigung leider nicht ambitioniert genug. Ein inhaltlicher Erfolg wird davon abhängen, ob die Kommission teilweise umsteuert und die richtigen Impulse setzt. Ich denke, ich spreche in Ihrem Sinne: Wir werden die Kommission hierbei tatkräftig unterstützen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nun hat das Wort die Kollegin Annalena Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 9 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission |