17.01.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 9 / Tagesordnungspunkt 15

Dagmar SchmidtSPD - Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich als Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales freue mich besonders, zu einem europapolitischen Tagesordnungspunkt reden zu dürfen; denn das zeigt zum einen, dass Europapolitik in diesem Hause nicht nur Politik eines einzigen Fachausschusses ist, und zum anderen, dass gerade für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das soziale Europa eine wichtige Aufgabe ist.

(Beifall bei der SPD)

Das ist es nicht nur in Zeiten wie diesen; aber aktuell sind die Fragen, die den europäischen Arbeitsmarkt, die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenrechte, den sozialen Zusammenhalt und die gesellschaftliche Teilhabe betreffen, von ganz besonderer Bedeutung.

Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat ihre Spuren hinterlassen. Sowohl im Arbeitsprogramm als auch in unserem Koalitionsvertrag sind zwei große Aufgaben beschrieben. Die eine – das steht leider oft im Mittelpunkt, auch wenn andere Fragen vielleicht von noch größerer Bedeutung sind – sind natürlich die Reformen zur Haushaltssanierung. Die andere aber sind die klugen Investitionen, die wir brauchen, die klugen Investitionen in soziale Sicherheit und Nachhaltigkeit sowie eine Wachstumsstrategie, die die sozialen Folgen der europäischen Krise bewältigen.

Europa wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Menschen in Europa die Europäische Union positiv wahrnehmen. Die europäische Wirtschaft wird nur erfolgreich sein, wenn sie das Versprechen eines gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolgs erfüllt, an dem alle teilhaben, und Nationalstaaten nicht gegeneinander, sondern miteinander agieren.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt konkret: Auch eine gerechte Lastenverteilung ist grenzüberschreitend. Reiche Griechen und reiche Deutsche müssen mehr zur Krisenbewältigung beitragen als der Athener Taxifahrer oder die deutsche Krankenschwester.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt auch, dass gerechte Löhne, Arbeitnehmerrechte und Sozialleistungen weder einem Dumpingwettbewerb ausgesetzt noch auf dem Altar der europäischen Finanzmarktkrise geopfert werden dürfen. Der gemeinsame wirtschaftliche Erfolg in Europa bleibt das wichtige Ziel.

Von diesem notwendigen gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg möchte ich eine Brücke zu einem Thema schlagen, das direkt mit diesem zu tun hat und das in der heutigen Debatte schon angesprochen wurde, das Thema „Freizügigkeit in der Europäischen Union“. Auch ich bin Herrn Staatsminister Roth für die deutlichen Worte, die er gesprochen hat, dankbar.

Im Jahr der Europawahl haben wir als Politikerinnen und Politiker eine besondere Verantwortung, nämlich die Verantwortung, das gesteigerte Interesse an Europa zur Aufklärung über Europa und zum Werben für die europäische Idee zu nutzen. Vorneweg: Probleme müssen benannt werden, und die Zusammenballung von sozialen Problemen in einigen deutschen Städten hat den Anlass für eine Debatte über das Recht auf Freizügigkeit geboten. Uns ist klar: Kommunen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten dürfen bei der Bewältigung der Probleme nicht alleingelassen werden.

(Beifall bei der SPD)

Aber genau darum hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen nicht nur auf eine finanzielle Entlastung der Kommunen insgesamt gedrängt, sondern konkret die deutliche Aufstockung des Programms „Soziale Stadt“ durchgesetzt. Wir werden die Kommunen bei der Bewältigung ihrer sozialen Probleme nicht alleinlassen.

(Beifall bei der SPD)

Ebenfalls vorneweg: Wer Gesetze bricht – das gilt für Sozialhilfebetrug genauso wie für Diebstahl und für Steuerhinterziehung –, der muss verfolgt und bestraft werden. Das ist im Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das falsche Bild vom angeblichen rumänischen und bulgarischen Sozialtourismus muss allerdings der Menschen und der Fakten wegen berichtigt werden.

(Beifall bei der SPD)

Geringqualifizierte, Besserverdienende und Akademikerinnen und Akademiker aus Rumänien und Bulgarien nehmen zu Recht von sich an, dass sie unter besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit ihren Fähigkeiten ein besseres Einkommen und eine bessere Lebensqualität erreichen können. Das ist ihr Recht in Europa, und diese Mobilität ist gewollt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein Zusammenhang zwischen hohen Leistungen für Arbeitslose und Wanderungsbewegungen hingegen lässt sich empirisch nicht nachweisen. Im Vergleich zur ausländischen Bevölkerung insgesamt nehmen Rumänen und Bulgaren nur in geringem Umfang Sozialleistungen in Anspruch. Selbst wenn sie dies tun, so hat das keineswegs zwingend etwas mit dem mangelnden Willen, Arbeit aufzunehmen, zu tun. Im Gegenteil, das Problem besteht eher andersherum: Viele Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Rumänien und Bulgarien sind in besonderer Weise von Ausbeutung betroffen, arbeiten für miserable Löhne, werden von deutschen Tochterunternehmen in ihren Herkunftsländern eingestellt und arbeiten dann in Deutschland, aber zu rumänischen und bulgarischen Löhnen, werden in die Scheinselbstständigkeit gedrängt usw.

Die Freizügigkeit in Europa, die Freiheit, entscheiden zu können, in welchem Land man arbeiten und leben möchte, ist eine der tragenden Säulen der europäischen Einigung und des europäischen Binnenmarkts.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Sie sorgt dafür, dass Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften zur Deckung gebracht werden können. Gerade Deutschland ist darauf angewiesen, für Einwanderer und Einwanderinnen attraktiv zu sein. Auch deshalb hat sich die deutsche Wirtschaft sehr kritisch zu den Parolen und undifferenzierten Behauptungen in Bezug auf die Einwanderung von Rumänen und Bulgaren geäußert. Vorurteile und Ängste zu schüren, schadet auch dem deutschen Wirtschaftsstandort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber richtig ist auch: Freizügigkeit braucht soziale Rahmenbedingungen in den Herkunftsländern. Sozialstandards und Arbeitsrecht in den Herkunftsländern müssen gewährleisten, dass Auswanderung eben nicht der einzige Ausweg aus Armut ist, sondern dass es eine freie Entscheidung ist, sein Land zu verlassen und das Glück woanders zu suchen.

Wir tragen in Deutschland eine besondere Verantwortung für Europa. Als gute Europäerinnen und Europäer sollten wir im Wahljahr mit gutem Beispiel vorangehen. Die Freiheit, sich in Europa frei zu bewegen und persönlich und wirtschaftlich zu entfalten, die Gerechtigkeit, die sozialen Folgen der Krise den Verursachern in Rechnung zu stellen und die kleinen Leute zu schützen, und die Solidarität mit denen, die Hilfe brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen – wenn all das gewährleistet ist, dann ist mir um die Zukunft der großartigen Idee von einem starken und einigen Europa nicht bange.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Kollegin Schmidt, ich gratuliere herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer parlamentarischen Arbeit.

(Beifall)

Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3048012
Wahlperiode 18
Sitzung 9
Tagesordnungspunkt Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission
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