17.01.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 9 / Tagesordnungspunkt 15

Jürgen HardtCDU/CSU - Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schweinchen-Schlau-Zitate von Manuel Sarrazin geben mir Gelegenheit, hier mitzuteilen, dass er in den letzten Jahren offensichtlich nicht nur Comics gelesen, Kinderfernsehen geschaut und Politik gemacht, sondern auch studiert hat. Er hat sein Geschichtsstudium erfolgreich abgeschlossen, und dazu gratulieren wir alle herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hatte nie einen Zweifel daran, dass das gelingen würde; schließlich hat er mir letztes Jahr einen profunden Vortrag über die deutsch-polnische Geschichte gehalten, den man hätte drucken können. Aber der eine oder andere hatte halt doch Sorge, ob es etwas mit dem Studiumabschluss wird. Insofern sind wir alle sehr froh.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich nett!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Jahr 2014 ist natürlich nicht nur für die Europäische Kommission wichtig, sondern auch wegen der Europawahl und der daraufhin zu erfolgenden Bildung der neuen EU-Kommission. Aber es ist auch ein Jahr, in dem wir nach fünf Jahren der Rezession und vier Jahren der Euro-Krise eine Chance nutzen können. Wir durften erleben, dass wir sowohl bei den Wachstumszahlen als auch bei der Euro-Rettung gut vorankommen. Es besteht die Hoffnung, dass wir im Jahr 2014 die Stimmung in der europäischen Öffentlichkeit zum Thema Europa ein Stück weit zum Guten wenden. Es wäre, glaube ich, des Schweißes aller Fraktionen hier im Hause wert, wenn es uns im Rahmen der Kampagne zur Europawahl und im Rahmen der Diskussion über Europa gelingen könnte, die Wahlbeteiligung bei der Europawahl gegenüber die mageren 43 Prozent im Jahr 2009 – Deutschland lag da im Ürigen nur knapp über dem europäischen Durchschnitt –, zu steigern.

(Beifall des Abg. Michael Stübgen [CDU/ CSU])

Es ist in jedem Fall wahr, was Angela Merkel immer sagt: Wenn wir als Europäer 7 Prozent der Weltbevölkerung stellen, 25 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts erwirtschaften und 50 Prozent der weltweiten Sozialausgaben leisten, dann brauchen wir als Deutsche nicht zu glauben, dass wir uns ohne einen engeren und festeren europäischen Zusammenschluss in der Welt behaupten könnten. Wir als Deutsche brauchen Europa, damit auch im 21. Jahrhundert unser Lebensstil, unser Wohlstand und unsere Freiheit entsprechend bewahrt werden können.

Ich finde, wir sollten das Jahr 2014 nutzen, mit dem Europa-Bashing aufzuhören, insbesondere dort, wo es ungerechtfertigt ist. Dabei denke ich zum Beispiel an die aktuelle Diskussion um die Einführung von SEPA. Sie erinnern sich, wir haben vor zwei Jahren hier im Hause eine Entschließung gefasst, wie wir uns die SEPA-Umstellung vorstellen. Wir haben die Voraussetzungen geschaffen, damit die SEPA-Umstellung sowohl für die Verbraucher als auch für Schatzmeister von Vereinen oder Parteien, für die Gewerbetreibenden, also alle diejenigen, die viele Lastschriften einzuholen haben, ordentlich abläuft. Aber die Informationskampagne, die wir uns von den deutschen Banken zu diesem Thema erhofft haben, ist viel zu spät erfolgt.

Wir haben heute den 17. Januar 2014. Ich habe immer noch eine EC-Karte in meinem Portemonnaie, die ich im Übrigen vor drei Monaten bekommen habe, auf der meine IBAN-Nummer nicht steht. Ich finde, das ist einfach ein Skandal. Jeder kann ja einmal nachschauen. Die Sparkasse Rostock hat die IBAN-Nummer schon seit Jahren auf ihren Karten, eine Großbank, die Deutsche Bank, bei der ich mein Konto habe, nicht. Ich finde es vor allem schade, dass jetzt an den Schaltern gesagt wird: Das ist wieder so ein Projekt, das sich die in Brüssel ausgedacht haben. – Die Brüsseler und die deutsche Bundesregierung haben es so konstruiert, dass es eigentlich reibungslos laufen könnte. Aber leider wird es in der Praxis nicht richtig umgesetzt.

Ich möchte uns von den positiven Effekten in der Europäischen Union den Effekt der Euro-Rettung noch einmal kurz vor Augen führen. Wir haben uns in Talkshows von berufenen und selbsternannten Wissenschaftlern anhören müssen, die Rettungsschirme – erst der EFSF, dann der ESM – wären alle viel zu klein, sie würden in kürzester Zeit aus dem Ruder laufen, es wäre Unsinn, diesen Weg zu beschreiten.

Wir sind heute in der Situation, dass von dem insgesamt rund 700 Milliarden Euro umfassenden Haftungsrahmen, zu dem sich die Europäische Union bereit erklärt hat, lediglich 30 Prozent in Anspruch genommen worden sind. Wir wissen, dass die Iren und die Spanier ihre Bürgschaften zurückgeben werden. Wir dürfen also feststellen, dass wir mit unserer Vorstellung recht behalten, dass dieser Weg der Euro-Rettung sinnvoll ist und dass es aller Mühen wert war, diesen Weg zu gehen.

Ich würde jetzt erwarten, dass der eine oder andere Wissenschaftler, der nun vielleicht eingestehen muss, dass seine Theorie den Praxistest nicht bestanden hat, dies auch offen zugibt. Ich habe in Heidelberg studiert. Max Weber hat gesagt: Eine Theorie ist dann wissenschaftlich, wenn sie im Prinzip widerlegbar ist. Ich finde, wenn wissenschaftliche Theorien in der Praxis widerlegt werden, sollten die Wissenschaftler das auch eingestehen und ihre Theorie gegebenenfalls modifizieren. Wenn man in die Gesichter des einen oder anderen Professors schaut, hat man fast das Gefühl, er sei ein bisschen sauer darüber, dass die Wirklichkeit sich anders entwickelt hat. Ich würde mir wünschen, dass man sich einfach darüber freut, dass es offensichtlich doch gelingen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir den Euro-Rettungskurs nicht beschritten hätten, dann wäre nichts gewesen mit Wirtschaftswachstum und Abbau von Arbeitslosigkeit in Deutschland, dann wäre nichts gewesen mit der Konsolidierung der Haushalte in den Krisenstaaten, die ja überall auf dem Weg ist. Es wäre vor allem so, dass die ganze Welt über Europa lachen würde und ganz Europa Deutschland dafür verfluchen würde, dass wir in der Zeit der Not, als unsere Solidarität gefragt war, nicht solidarisch zu Europa gestanden haben. Deswegen war es gut, dass wir im Deutschen Bundestag eine breite Parlamentsmehrheit für alle Euro-Rettungsprojekte gefunden haben. Ich glaube, sie lag immer in der Größenordnung von 80 Prozent. Ich bin mir sicher, dass wir das auch so fortsetzen können.

Zum Arbeitsprogramm der Kommission haben meine Vorrednerinnen und Vorredner schon viel Richtiges und Wichtiges gesagt. Ich finde das Projekt der Bankenunion enorm wichtig. Es ist von seiner konkreten Auswirkung auf Europa her vergleichbar mit der Schaffung des Binnenmarkts 1992 und der Einführung des Euro 1999 bzw. 2002. Es ist eine ganz wesentliche Säule der Europäischen Union. Ich kann die Bundesregierung nur beglückwünschen, dass sie dazu einen so wichtigen und substanziellen Beitrag leisten konnte. Ich glaube, dass das ein Projekt ist, das ganz oben steht.

Das Projekt der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist meines Erachtens das zweite zentrale Projekt für 2014. Kollege Seif und viele andere haben darauf hingewiesen, was es bedeutet, wenn junge Menschen nach der Schule keine Chance haben, das Erlernte entsprechend umzusetzen. Wir haben einen Finanztopf zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgemacht. Ich würde mir wünschen, dass wir, bevor wir darüber reden, wie wir die einzelnen EU-Programme innerhalb des neuen Finanzrahmens ausgestalten, diese Mittel jetzt pragmatisch und zügig bewilligen, damit da nicht noch Wochen und Monate ins Land gehen, sondern sofort Wirkung erzielt wird. Die jungen Menschen, insbesondere in Südeuropa, haben es wirklich verdient, dass Europa ihnen jetzt solidarisch zur Seite steht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es gibt natürlich auch jenseits der Arbeit der Kommission Dinge, die das Wachstum in Südeuropa hemmen. Die Kreditvergabepraxis der Banken zum Beispiel in Griechenland erfüllt mich schon mit Sorge. Zum Beispiel bekommt ein junger Kfz-Mechaniker, der dort 20 000 Euro für eine Hebebühne braucht, um dann drei oder vier Leute in seinem Betrieb zu beschäftigen, dieses Geld schlicht nicht, obwohl wir alle das eigentlich wollen und wissen, dass er damit klug umgehen wird. Ich glaube, dass wir im Jahr 2014 auch hier noch eine ganze Reihe von Feinsteuerungen vornehmen müssen.

Überhaupt ist Wachstum natürlich der Schlüssel zur Lösung der Finanzprobleme; denn es kann nicht so viel gespart werden, wie durch gutes Wachstum letztlich eingenommen werden kann.

Ich finde auch das Programm REFIT wichtig. Das klingt zwar ein bisschen wie eine Zappelbudenkette, ist aber in Wirklichkeit das Entbürokratisierungsprogramm der Europäischen Union. Ich würde mir halt nur wünschen, dass REFIT nicht nur als Etikett im Wahljahr dasteht: „Die Europäische Union bemüht sich um eine effizientere Gesetzgebung, um weniger Bürokratie“, sondern dass wir auch im Europawahljahr den einen oder anderen Erfolgspunkt setzen können.

Wichtig ist weiter, dass wir in der Außenhandelspolitik der Europäischen Union vorankommen; ich nenne vor allem das Abkommen mit den USA. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Nordamerika ein wichtiger zentraler Markt für uns ist, aber andere Teile der Welt als Handelsregionen für uns genauso wichtig sind. Der Fokus darf nicht einseitig auf Nordamerika liegen. Wir als Europäer müssen weltweit Freihandel anstreben.

Ich möchte schließen mit einer kleinen Mahnung an alle, die in Europa politisch Verantwortung tragen, natürlich insbesondere an die Kommission. Das Jahr 2014 erfordert so viele schnelle, effiziente Entscheidungen, dass wir es uns nicht leisten können, dass sich das Parlament oder einzelne Kommissare vor der Zeit aus der politischen Arbeit in der Europäischen Union abmelden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es hat 2008/2009 eine solche Entwicklung gegeben. Es gibt Anzeichen dafür, dass auch jetzt der eine oder andere Kommissar sich auf nationale Aufgaben konzentrieren will. Ich halte das für falsch. Die Kommission ist bis Oktober im Amt.

(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Genau!)

Sie wird bis zur letzten Minute arbeiten müssen. Ich würde mir auch wünschen, dass zwischen dem Europäischen Parlament und den Staats- und Regierungschefs dann auch rasch eine Einigung über die Zusammensetzung der neuen Kommission zustandekommt, dass wir nicht erleben, dass die zweite Hälfte des Jahres 2014 eine Phase der Lähmung und des Stillstands in Europa wird. Vielleicht könnte das Jahr 2014, in dem ganz komplizierte Dinge zu klären sind, beispielgebend auch für zukünftige Wahljahre sein.

Das Kommissionsprogramm ist ein guter Treibstoff für das komplizierte europäische Getriebe im Jahr 2014. Wir sollten die Bundesregierung unterstützen, wenn sie ihrerseits die Kommission unterstützt, das Programm umzusetzen.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3048034
Wahlperiode 18
Sitzung 9
Tagesordnungspunkt Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission
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