Egon JüttnerCDU/CSU - Flüchtlingspolitik der Europäischen Union
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Mittelmeerraum haben sich in den vergangenen Jahren zu Lande und zu Wasser schreckliche Szenen abgespielt. Insbesondere vor der Küste Italiens und auf Lampedusa sowie im griechischen Flüchtlingslager Amigdalesa herrschen menschenunwürdige Zustände. Die Überbelegung von Flüchtlingslagern, in denen oft drei- bis viermal mehr Flüchtlinge untergebracht sind als vorgesehen, darf nicht länger hingenommen werden. Es ist inakzeptabel, dass Hunderte von Menschen auf überfüllten Booten in europäischen Gewässern den Tod finden. Was hier geschehen ist, das waren eindeutige Menschenrechtsverletzungen, die durch nichts zu rechtfertigen sind. In vielen Flüchtlingslagern, nicht nur auf Lampedusa, kam es zu Zwischenfällen, die die gesamte Europäische Union mit Scham erfüllen sollten.
Unser Mitgefühl gehört den vielen umgekommenen und verletzten Flüchtlingen. Wir bedauern das Schicksal dieser Menschen zutiefst. Sie haben ihre häufig von kriegerischen Auseinandersetzungen und Armut betroffenen Herkunftsländer verlassen, um in Europa eine bessere Zukunft zu finden. Ihre Flucht aber endete oft in einem qualvollen Tod. Der Respekt vor dem Schicksal dieser Menschen sollte Vorrang haben vor politischen Auseinandersetzungen und Schuldzuweisungen.
Die Verantwortung für die Flüchtlingsströme und die daraus resultierenden Probleme liegt nicht bei den EU- Mitgliedstaaten, sondern eindeutig bei den Herkunftsländern. Leider ist die politische Situation in vielen Staaten besorgniserregend. In Mali, in Nigeria, in der Zentralafrikanischen Republik, aber auch im Südsudan sind teilweise staatliche Strukturen zusammengebrochen. Außerdem finden oft Willkür und Unterdrückung statt. Häufig wird nicht einmal das Existenzminimum der Menschen gewährleistet. Auch militante islamistische Gruppen machen ein dauerhaft friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Volksgruppen unmöglich.
Da ist es nicht verwunderlich, dass Menschen ihre Heimat verlassen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Deutschland ist deshalb gemeinsam mit anderen Staaten der Europäischen Union, ebenso wie zivile und kirchliche Organisationen, ständig bemüht, den oft brüchigen Frieden in diesen Staaten wiederherzustellen und die Grundbedürfnisse der dort lebenden Menschen zu decken. Die Träger der Entwicklungszusammenarbeit unternehmen alles, um im Dialog mit den politisch Verantwortlichen friedenstiftende Maßnahmen zu fördern. Geschähe dies nicht, würden noch mehr Menschen ihre Heimatländer verlassen und wären den Gefahren einer Flucht ausgesetzt.
Meine Damen und Herren, wir sind uns einig, dass die südeuropäischen Staaten mit der Flüchtlingsproblematik nicht alleingelassen werden dürfen. Wir sind als Europäer und als Europäische Union gemeinsam verpflichtet, Asylsuchenden eine menschenwürdige Behandlung zu gewähren. Die EU ist deshalb ernsthaft bemüht, das europäische Asylsystem den sich verändernden Realitäten anzupassen. Dabei stehen zwei Gesichtspunkte im Vordergrund der Bemühungen: zum einen die Behandlung der sich auf der Flucht befindenden bzw. bereits in Europa angekommenen Menschen und zum anderen die Ursachenbekämpfung in den Herkunftsländern.
Was Ersteres betrifft, so sind durch die Fortentwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems im vergangenen Jahr die Grundlagen für ein gerechtes und realisierbares Regelwerk geschaffen worden.
Die Rangfolge der in der Dublin-Verordnung festgelegten Kriterien trägt der Tatsache Rechnung, dass wir es mit schutzbedürftigen Menschen zu tun haben. Wir sind verpflichtet, deren persönliche Situation zu berücksichtigen.
Erster Grundsatz ist die Einheit der Familie. Handelt es sich etwa bei einem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat für die Prüfung seines Antrags zuständig, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält. Ist ein Asylsuchender volljährig und befindet sich ein Familienmitglied bereits in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, so hat er die Wahl, ebenfalls in diesem Mitgliedstaat einen Asylantrag zu stellen. Dies gilt selbst dann, wenn über den Asylantrag des Familienmitglieds noch nicht entschieden ist.
Ferner regelt die Dublin-Verordnung, welcher Mitgliedstaat im Einzelfall für den Asylantrag eines Asylsuchenden zuständig ist. Der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat darf diesen Antrag nicht ablehnen und den Asylbewerber etwa in ein anderes Land schicken. Vielmehr ist er verpflichtet, den Asylbewerber aufzunehmen und den Antrag zu bearbeiten.
Die neuen Regelungen zeigen eindeutig, dass die Europäische Union der Menschenwürde der Asylsuchenden einen hohen Stellenwert beimisst. Die familiäre Zusammenführung hat Vorrang vor allen anderen Kriterien. Es ist den Einzelstaaten verboten, Asylsuchende wie Spielbälle von einem Land ins andere zu schicken.
Des Weiteren haben im Oktober 2013 die Mitgliedstaaten der Europäischen Union kurzfristige Maßnahmen zur verbesserten Seenotrettung eingeleitet. Ein effektives Seenotrettungssystem bedeutet jedoch nicht, dass die Überquerung des Mittelmeers mit völlig ungeeigneten und erheblich überladenen Booten sicher wird. Es kann nur dazu dienen, das Risiko für die Migranten auf dem Seeweg zu reduzieren.
Die zunächst zuständigen nationalen Behörden der südeuropäischen Staaten haben die Möglichkeit, über die EU-Grenzschutzagentur Frontex Unterstützung durch andere EU-Mitgliedstaaten anzufordern. So konnten in den beiden vergangenen Jahren durch von Frontex koordinierte Aktionen – das wurde schon gesagt – über 40 000 Menschen aus Seenot gerettet werden. Europa zeigt sich also in dieser Hinsicht mit seinen südlichen Mitgliedstaaten solidarisch.
Unser Ziel muss es sein, Tragödien, wie sie in der Vergangenheit passiert sind, in Zukunft zu verhindern. Mit der Fortentwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems wurden im vergangenen Jahr die Weichen dafür gestellt. Nun müssen wir die Effektivität der beschlossenen Maßnahmen genau analysieren. Dabei müssen wir offen sein für weitere Reformen zugunsten der betroffenen Flüchtlinge. Deshalb steht die Asylpolitik auch beim EU-Gipfel im Juni wieder auf der Tagesordnung. Dort wird Bilanz gezogen über die im Herbst beschlossenen Maßnahmen und Änderungen.
Es ist falsch, die Asylpolitik der Europäischen Union pauschal und undifferenziert zu verurteilen und den deutschen Bundesregierungen der letzten 20 Jahre eine, wie es im Antrag heißt – ich zitiere – „große Mitschuld“ an „Menschenrechtsverletzungen und Verdrängung von Verantwortlichkeit auf EU-Ebene“ zu unterstellen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielmehr müssen wir den eingeschlagenen Weg zur Verbesserung der Situation fortsetzen. Dem Antrag der Fraktion Die Linke können wir deshalb nicht zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3050472 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 9 |
Tagesordnungspunkt | Flüchtlingspolitik der Europäischen Union |