29.01.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 10 / Tagesordnungspunkt 1

Claudia RothDIE GRÜNEN - Wirtschaftliche Zusammenarbeit

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! C’est le ton qui fait la musique. Das stimmt! Die Musik und der Sound von Gerd Müller waren heute tatsächlich anders als das, was wir in den letzten vier Jahren gehört haben, und das ist wirklich gut. Ich komme ja von der Musik und kenne mich dort ein bisschen aus. Sie müssen diesem Sound jetzt natürlich auch gerecht werden und entsprechend liefern; denn die Entwicklungspolitik braucht tatsächlich einen neuen, einen einbindenden Politikstil – anders als in den letzten vier Jahren.

Wir stehen in der Tat vor riesig großen Herausforderungen: Hunger, Kriege, Klimawandel, Naturkatastrophen, Armut und Ungerechtigkeiten, gegen die wir angehen müssen. Aber eine ganz zentrale Herausforderung liegt bei uns selbst. Wir müssen uns selbst, unsere Lebensweise, unsere Politik und unser Wirtschaften hinterfragen: ob sie dem Ganzen dienen oder doch nur egoistischen Partikularinteressen und ob sie mehr sind als der schöne Sonntagssprech.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Aufgabe der Entwicklungspolitik ist ganzheitlich, mit dem Ziel, den Weg zu globaler Gerechtigkeit einzuschlagen. Humanitäre Hilfe und Entwicklungskooperation – mein Vorredner hat es auch gesagt – sind menschliche Pflicht. Sie sind aber immer auch Ausdruck politischer Rationalität; denn es hilft dem Frieden und der Entwicklung in der ganzen Welt, wenn wir Krisen und menschliche Not vor Ort bekämpfen und nicht zu Flächenbränden werden lassen.

Es droht ein gigantischer Flächenbrand; Gerd Müller hat es gesagt. Ich war acht Tage im Libanon, in Jordanien, im Irak und in Kurdistan-Irak und habe einen Eindruck von der humanitären Katastrophe dort bekommen, die droht, eine politische Katastrophe für die gesamte Region zu werden und die ganze Region in einen Kollaps zu führen. Deswegen nehme ich Sie, Gerd Müller, und Herrn Fuchtel beim Wort, dass in Deutschland, aber eben auch auf europäischer Ebene wirklich alle Anstrengungen unternommen werden, um diesen Flächenbrand zu verhindern; denn es gibt noch viel zu tun.

Wir erleben derzeit eine unerträgliche Ungleichheit durch Ungleichzeitigkeit:

Auf der einen Seite gibt es Wohlstand in Europa und in den USA, der immer neue Höhepunkte erreicht, und auf der anderen Seite erleben wir Hungerkatastrophen und humanitäre Katastrophen in der Sahelzone, auf den Philippinen und im Kongo. Auch dort eskaliert die Situation.

Ungleichheit durch Ungleichzeitigkeit erleben wir auch dadurch, dass die Demokratie in vielen Staaten Westafrikas, zum Beispiel in Liberia oder in der Elfenbeinküste, außerordentliche Fortschritte macht, während die Bürgerrechte in manchen Staaten Osteuropas brutal abgebaut und systematisch mit Füßen getreten werden; oder dass sich bei uns endlich ein Fußballnationalspieler outet und offen zu seiner sexuellen Identität bekennt, während auf der anderen Seite ein katastrophaler homophober Rollback in Staaten wie Uganda, Nigeria und auch Russland Realität ist.

Neben den großen Krisen hat ganz sicher auch der Klimawandel eine ganz besondere Bedeutung; er ist eine große Bedrohung. Ich danke Gerd Müller dafür, dass er ihn benannt und auch heute Morgen im Ausschuss in das Zentrum gestellt hat, aber Klimaschutz fängt natürlich zu Hause und mit der Energiewende bei uns an, und ich glaube, hier gibt es auch für Sie als Minister ganz schön viel zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])

Es braucht eine deutsche Entwicklungspolitik, die sich nicht selbst marginalisiert, sondern die die Herausforderungen annimmt und eben nicht nur aus einem nationalen Interesse heraus agiert; auch das hat ein Vorredner gesagt. Es kann ja nicht darum gehen, dass man deutsche Entwicklungshelfer quasi als Makler für eine Marktöffnung oder als Rohstofflieferanten einsetzt.

Das Entwicklungsministerium ist heute ein Kooperationsministerium, das gemeinsam mit den Partnern auf Augenhöhe die sozial-ökologische Transformation nach vorne bringt, in der Welt organisiert und das auch in Deutschland und vor allem im eigenen Kabinett für Kohärenz sorgt. Da wünsche ich Ihnen viel Durchsetzungskraft gegenüber Ihren Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE])

Wir sind aufgefordert, im Ausschuss mit unserer Vorsitzenden Daggi Wöhrl gut zusammenzuarbeiten, uns aber auch über diese Ausschussgrenze hinweg in die anderen Bereiche einzumischen: in die Landwirtschaftspolitik, in die Rüstungspolitik, in die Handelspolitik, in die Menschenrechtspolitik. So verstehe ich zukunftsfähige Entwicklungspolitik. Natürlich sind wir alle zusammen auch aufgefordert, Cheflobbyistinnen und -lobbyisten zu sein, um mit der Zivilgesellschaft dafür zu sorgen, dass das Bewusstsein für globale Verantwortung wächst und gestärkt wird.

Die letzten Jahre haben, glaube ich, sehr viele Gräben in der Entwicklungspolitik aufgerissen. Wir sind dabei – darauf können Sie sich verlassen –, wenn der richtige Weg eingeschlagen wird. Wir helfen dabei, dass Brücken gebaut werden, Brücken zur Veränderung der globalen Strukturen, die zu Ungleichheit und Ungerechtigkeit führen.

Wir nehmen Ihre Einladung sehr ernst, uns bei den Vorbereitungen zum G-8-Gipfel einzubringen, nicht nur, weil er in Bayern stattfindet, sondern weil es um die Millenniumsziele geht, weil es um den Klimaschutz geht und weil er in Bayern stattfindet.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als Nächste hat die Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3084268
Wahlperiode 18
Sitzung 10
Tagesordnungspunkt Wirtschaftliche Zusammenarbeit
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