30.01.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 11 / Tagesordnungspunkt 1

Michael FuchsCDU/CSU - Wirtschaft und Energie

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An allererster Stelle sollte man einmal sagen, dass es Deutschland gutgeht. Wenn man den europäischen Kontext betrachtet, dann ist eine solche Aussage absolut berechtigt. Gestern habe ich in einer Statistik gelesen, dass die Jugendarbeitslosigkeitsquote bei uns noch nicht einmal ein Drittel der unseres direkten Nachbarn Frankreichs beträgt. Bei uns sind weniger als 8 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Das sind immer noch 8 Prozent zu viel. Wir werden uns dafür einsetzen, diese Zahl noch zu senken. Aber immerhin: noch nicht einmal ein Drittel der französischen Jugendarbeitslosigkeitsquote! Von Griechenland, Spanien und Italien will ich jetzt gar nicht reden. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass die alte schwarz-gelbe Regierung auf dem richtigen Weg war. Wir werden in der neuen Regierung diesen Weg konsequent fortsetzen. Dafür setzen wir uns ein.

Unsere Aufgabe ist es – die Kanzlerin hat das gestern in ihrer Rede sehr deutlich gemacht –, die soziale Marktwirtschaft so zu gestalten, dass die Wirtschaft die soziale Marktwirtschaft auch finanzieren kann. Das funktioniert nicht so, wie mein Vorredner das gerade beschrieben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben keine Zeit, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Es ist erfreulich, dass wir mehr als 42 Millionen Erwerbstätige haben. Das ist, nebenbei gesagt, ein Allzeithoch, das es in Deutschland vorher nie gegeben hat. Wir haben trotzdem noch 3 Millionen Arbeitsuchende, allerdings auch 1,3 Millionen Menschen, die sofort einen Job haben könnten, weil es in Deutschland 1,3 Millionen offene Stellen gibt. Wir müssen darüber noch mit der Arbeitsagentur sprechen – das wird eine Aufgabe der Arbeitsministerin sein –, warum es dort solch einen Mismatch gibt. Das dürfte eigentlich nicht der Fall sein. Wir müssten es besser schaffen, diese Leute möglichst schnell in die freien Stellen auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren.

Meine Damen und Herren, wir haben auch eine Reihe von dicken Problemen vor uns. Das fängt beim Fachkräftemangel an und geht mit der Überalterung der Bevölkerung weiter. Es wird zunehmender Wettbewerb durch Länder auf uns zukommen, mit denen wir bis jetzt noch nicht so intensiv im Wettbewerb stehen. Das wird aber passieren. Es gibt auch eine Reihe von Punkten, bei denen uns die Weltwirtschaft in der nächsten Zeit erhebliche Probleme macht. Das fängt in den USA an. Die Amerikaner haben Schiefergas- und Schieferölvorkommen als Wettbewerbsinstrument entdeckt, um ihr Land zu reindustrialisieren. Der Minister hat eben vollkommen zu Recht davon gesprochen, dass es nicht sein kann, dass wir unser Land aufgrund zu hoher Energiepreise deindustrialisieren. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lieber Herr Gabriel, ich hätte ja nicht gedacht, dass ich einmal hier stehe und Sie verteidige.

(Heiterkeit bei der SPD)

Das war für mich nicht wirklich vorstellbar. Aber gut, so ändern sich die Zeiten, so ändert sich das Leben.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Täter- Opfer-Ausgleich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Man wächst mit seinen Aufgaben!)

Ich helfe jetzt mit. Ich verteidige Sie selbstverständlich auch gegen die Angriffe Ihrer Ministerpräsidenten in den Ländern.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Seehofer zum Beispiel!)

Ich kann den Kollegen Albig nicht wirklich verstehen. Schleswig-Holstein verfügt mittlerweile über eine installierte Leistung von 12 Gigawatt Windenergie. Das Land selbst verbraucht nicht einmal 3 Gigawatt. Das ist die Spitzenlast in diesem Land.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war zu Atomzeiten auch so!)

Das ist ein Unverhältnis. Es muss eine Struktur geschaffen werden, um diese zusätzlichen 9 Gigawatt irgendwo anders hinleiten zu können. Hier gibt es ein großes Problem, weil der Netzausbau mit der Geschwindigkeit, mit der die Windenergie in den nördlichen Bundesländern ausgebaut wird, nicht Schritt halten kann. Insofern haben Sie vollkommen recht mit den Maßnahmen, die Sie ergriffen haben. Ich werde das auch in Rheinland-Pfalz verteidigen; denn in Rheinland-Pfalz haben wir ja auch eine Ministerpräsidentin Ihrer Couleur, die Sie ebenfalls in der gleichen Weise angegriffen hat. Ich halte das nicht für richtig.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vergessen Sie den Seehofer nicht!)

– Lieber Kollege Heil, ich bin selbstverständlich auch da beim Herrn Minister und werde meinen bayerischen Freunden sagen, dass die Maßnahme, den Ausbau der Biomasseproduktion jährlich nur noch um 100 Megawatt zu steigern, schon die richtige ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])

Es muss Schluss sein mit der Übermaisung unseres Landes. Die einzigen, die daran Spaß haben, sind die Wildschweine, weil die sich in diesen riesigen Maisanlagen wunderbar wohlfühlen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die denn gemacht? Ist doch das Ergebnis Ihrer Politik!)

Aber es ist, glaube ich, nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestages, dafür zu sorgen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, ich begrüße ausdrücklich die Vorschläge des Ministers und der Bundesregierung zur Dämpfung der EEG-Kosten. Sie knüpfen an Maßnahmen an, die Peter Altmaier im letzten Jahr eingeleitet hat, aber leider nicht umsetzen konnte, weil der eine oder andere damals gedanklich noch nicht so weit war wie heute. Ich bin Peter Altmaier in diesem Zusammenhang nach wie vor dankbar.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir geben in diesem Jahr nur für das EEG 24 Milliarden Euro aus. Das ist ein gewaltiger Kaufkraftverlust, zum Beispiel für Familien.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer investiert denn da?)

Auf eine vierköpfige Familie beispielsweise kommen durch das EEG in diesem Jahr Kosten von 500 Euro zu. Herr Krischer, rechnen Sie das mal durch! Das stört Sie nicht, aber die Familien stört es ganz gewaltig; sie werden es Ihnen nicht danken. Im nächsten Jahr wird das Ganze noch einmal 1,5 bis 2 Milliarden Euro teurer,

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie weitermachen, dann wird das so!)

weil wieder heftig gebaut wurde, allein im letzten Jahr 3,3 Gigawatt Photovoltaik und rund 2,5 Gigawatt Windenergie.

Wenn wir die 26 Milliarden Euro, die im nächsten Jahr für das EEG ausgegeben werden, einmal mit anderen Etats vergleichen, stellen wir fest: Das ist fast so viel wie der Etat von Verkehrsminister Dobrindt. Eine Summe fast in Höhe des Verkehrsetats wird nur für das EEG ausgegeben. Das zeigt doch ganz deutlich, dass wir jetzt langsam, aber sicher einen Strich ziehen müssen. So können wir nicht weitermachen. Deswegen sind die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, richtig, und deswegen wird die Bundesregierung das auch – dafür bin ich ausgesprochen dankbar – sehr konsequent fortsetzen.

Man muss sogar darüber nachdenken, ob die 3,3 Gigawatt Photovoltaik bzw. die 2,5 Gigawatt Windenergie nicht eventuell zu viel sind auf dem Ausbaupfad, gemäß dem wir bis 2025 einen Anteil zwischen 40 und 45 Prozent für die erneuerbaren Energien erreichen wollen. Es kann durchaus sein, dass der Ausbau viel schneller vorangeht, als wir es erwartet haben; es gab nämlich eine erhebliche Kostendegression bei den Anlagen, sowohl auf der Seite von Photovoltaikanlagen als auch auf der Seite der Windanlagen. Deswegen werden wir das sehr genau beobachten und vergleichen müssen.

In einem Punkt bin ich mit Ihnen nicht einer Meinung. Im Koalitionsvertrag steht klar, dass Vertrauensschutz gilt. Vertrauensschutz muss in meinen Augen aber nicht nur für Photovoltaik und Windenergie, sondern bitte auch für alle KWK-Anlagen und Eigenstromerzeugungsanlagen der Industrie gelten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da muss der gleiche Vertrauensschutz gelten. Wir haben die Industrie ja bewusst in die Richtung getrieben, dezentral Eigenstrom zu erzeugen. Dafür darf man sie jetzt nicht nachträglich bestrafen. Wenn wir etwas ändern, dann müssen alle gleich behandelt werden,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

dann muss das auch die Photovoltaik und die Windenergie treffen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die Kohlekraftwerke?)

– Die haben keinerlei EEG-Maßnahmen ergriffen, die sind ja nicht berechtigt; das wissen Sie doch selber.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum müssen die Kohlekraftwerke und der Tagebau keine EEG-Umlage zahlen?)

Vertrauensschutz muss für alle gelten; das müssen wir durch entsprechende Maßnahmen sicherstellen. Ich hoffe, dass wir bei den Verhandlungen über das EEG eine vernünftige gemeinsame Lösung finden. Ich bin da ganz optimistisch.

Meine Damen und Herren, eines macht mir massive Sorgen: Das ist das Verfahren, das die EU wegen der Beihilfen eröffnet hat. Das ist höchst gefährlich. Machen wir uns bitte nichts vor: Die Befreiung, die wir den energieintensiven Unternehmen bis jetzt eingeräumt haben, macht 1,35 Cent pro Kilowattstunde aus. Das heißt, die EEG-Umlage fiele, wenn es keine Befreiungstatbestände gäbe, 1,35 Cent niedriger aus. Wir haben aber energieintensive Unternehmen in Deutschland, die enorm viel Strom brauchen, um produzieren zu können. Man kann Kupfer nicht ohne Strom herstellen; dazu braucht man nun einmal ein Paar Elektroden. Dieser Prozess lässt sich technisch nicht verändern, weil er auf physikalisch- chemischen Gesetzmäßigkeiten beruht.

Wenn es uns nicht gelingt, diese besondere Ausgleichsregelung in Brüssel zu retten – die, nebenbei gesagt, von Rot-Grün eingeführt wurde –,

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann exorbitant ausgeweitet wurde!)

dann werden wir wesentliche Industriezweige verlieren. Wenn Wertschöpfungsketten einmal unterbrochen sind, dann kommen sie nie mehr wieder. Meine Damen und Herren, es muss Ziel dieser Bundesregierung sein – und es ist Ziel dieser Bundesregierung –, den Industriestandort Deutschland zu stärken und gemeinsam dafür zu sorgen, dass industrielle Arbeitsplätze als Kern unserer Wirtschaft in Deutschland bestehen bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen müssen wir alles daransetzen, dass EU-Kommissar Almunia möglichst schnell mit uns zu einer Regelung kommt; denn ich sehe eine weitere Gefahr: Wenn uns das nicht kurzfristig gelingt, werden die Unternehmen von den Wirtschaftsprüfern gezwungen werden, in ihrer Bilanz Drohverlustrückstellungen vorzusehen. Was das für das eine oder andere Unternehmen bedeutet, das kann sich jeder vorstellen. Man darf das hier nicht zu laut sagen, weil es schon fast in Richtung einer Gewinnwarnung geht, die man damit ausspricht.

Wenn das passiert, dann wird das Folgewirkungen haben, die ganz schnell zu einer Deindustrialisierung führen. Ich will dazu nur eine Zahl nennen. Der VDMA hat in Zusammenarbeit mit dem DIW eine Statistik aufgestellt, die aufzeigt, dass die großen energieintensiven Unternehmen in Deutschland in den letzten acht Jahren nur noch in einer Größenordnung von 86 Prozent ihrer Abschreibungen reinvestiert haben. Was bedeutet das? – Ganz einfach: Die Unternehmen haben sich nicht aus dem Markt verabschiedet, sondern haben dort, wo günstigere Energiebedingungen waren, investiert.

(Zuruf von der LINKEN: Wo denn?)

Dass sie Investitionen woanders tätigen, melden sie nicht. Die Industrieunternehmen melden sich nicht beim Einwohnermeldeamt ab, sie gehen einfach woandershin; stillschweigend sind sie weg. Wenn die Arbeitsplätze einmal weg sind, dann kommen sie nicht wieder. Ich möchte keine Situation wie in England, dass wir also analog zur City of London 27 Prozent unseres Bruttosozialproduktes in der City of Frankfurt erwirtschaften müssten. Das ist nicht mein Ziel. Das darf nicht sein. Dass das nicht passiert, daran werden wir arbeiten.

Lassen Sie mich zum Schluss – –

Lieber Kollege Fuchs, darf denn kurz vor Schluss die Kollegin Bulling-Schröter noch eine Zwischenfrage stellen?

Selbstverständlich. Das gibt mir mehr Zeit.

Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Fuchs, Sie haben davon gesprochen, dass Industrieunternehmen ins Ausland verlagert werden, weil dort die Energiepreise wesentlich niedriger seien als bei uns. Mir ist allerdings bekannt, dass zum Beispiel in Holland gerade ein Alu-Werk schließt, weil in Deutschland die Strompreise für die Industrie so billig sind. Mich würde interessieren: In welches Land könnte denn verlagert werden? Wo sind denn die Energiepreise ganz konkret wesentlich niedriger als in Deutschland?

Dieses Beispiel ist schlichtweg falsch. Die Hintergründe, warum dieses Aluminiumwerk geschlossen hat, sind ganz andere gewesen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Insolvenzverwalter sagt etwas anderes!)

Die Energiepreise für die Industrie liegen in Deutschland am höchsten in Europa. Es gibt nur ein einziges Land, das noch ein bisschen teurer ist, nämlich Dänemark. Aber dort gibt es keine Industrie, insofern ist das für Dänemark nicht wesentlich. Prüfen Sie einmal nach,

(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ich habe das nachgeprüft!)

was in den USA, beispielsweise in North Dakota, Energie bei den Gaskraftwerken kostet. Eine Kilowattstunde kostet dort 2 US-Cent. Das ist ein Fünftel dessen, was energieintensive Unternehmen in Deutschland bezahlen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)

Das zeigt sehr gut auf, dass die Situation für die deutsche Wirtschaft dramatisch und gefährlich ist. Das müssen wir berücksichtigen. Ich bin dankbar, dass der Bundesminister das vorhat.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss einen Satz zum Transatlantischen Freihandelsabkommen sagen, weil auch Herr Ernst auf dieses Thema eingegangen ist. Die größten Profiteure eines solchen Freihandelsabkommens sind wir. Wir haben die exportstärkste Industrie in Europa. Dieses Abkommen wird ganz Europa helfen, aber an allererster Stelle natürlich uns. Deswegen werden wir alles daransetzen, dass die Verhandlungen zu diesem Freihandelsabkommen so schnell wie möglich vorankommen. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister dafür dankbar, dass er entsprechende Maßnahmen in Brüssel ergriffen hat. Das ist der richtige Weg. Den müssen wir gemeinsam gehen. Das wird Europa stärken. Das wird in Europa für mehr Wettbewerb sorgen, gleichzeitig aber auch für bessere Exportbedingungen für alle in Europa. Dadurch wird das europäische, aber auch das deutsche Bruttoinlandsprodukt gesteigert. Dafür zu sorgen ist unsere Aufgabe als Politiker. Das werden wir machen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Oliver Krischer das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3084842
Wahlperiode 18
Sitzung 11
Tagesordnungspunkt Wirtschaft und Energie
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