Norbert Lammert - Wirtschaft und Energie
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Große Koalition hat vier Jahre vor sich, und wir wollen diese vier Jahre nutzen, um für gesundes und nachhaltiges Wachstum in Deutschland zu sorgen. Wir wollen für mehr Arbeitsplätze, für gute Arbeit sorgen. Schließlich geht es darum, die Lebensqualität aller in Deutschland lebenden Menschen zu verbessern, egal wo sie herkommen, wie gebildet sie sind und was sie verdienen.
Diese Ziele sind für uns handlungsleitend, und wir wollen sie in den nächsten vier Jahren umsetzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dabei setzen wir auf die Unternehmen. Ebenso wie wir auf die Belegschaft, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, setzen, setzen wir auf die Unternehmer. Wir werden ganz dicht an ihnen dran sein. Die Türen stehen offen, und ich lade alle draußen im Lande ein, mit uns gemeinsam dafür zu sorgen, dass Deutschland vorankommt.
Wenn ich mit Unternehmern und Belegschaften rede, dann tauchen immer wieder sechs wichtige Problemkreise auf, die wir in Zukunft im Blick behalten müssen. Als Erstes wird genannt: Sorgt dafür, dass wir in Europa verlässliche und stabile Bedingungen haben. Das Zweite ist: Löst das Problem der Demografie, des Fachkräftebedarfs und der Nachfolge in den Unternehmen. Das Dritte: Kümmert euch um die Energie, um die Stabilität der Preise. Als Viertes wird oft genannt: Wir brauchen eine bessere Infrastruktur – Herr Janecek hat es angesprochen –, womit nicht nur die Infrastruktur in Bezug auf Straßen, Abwasser und Wasser gemeint ist, sondern auch die digitale Infrastruktur. Als fünftes Thema wird genannt: Wir brauchen mehr Innovationsschub. Wir brauchen eine neue Gründerzeit. Schließlich: Wir haben immer noch eine überbordende Bürokratie, das Steuersystem ist undurchschaubar. – Diese sechs Punkte werden wir in den nächsten Jahren gleichermaßen im Blick behalten, auch wenn momentan die Energiewende im Vordergrund steht. Wir wollen auf allen diesen Sektoren erfolgreich sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ein überwölbendes Thema spielt oft eine Rolle, weshalb ich es unbedingt ansprechen möchte: Wir brauchen in Deutschland eine neue Haltung gegenüber Unternehmen, Unternehmern, und wir brauchen eine neue Haltung von Unternehmern gegenüber den Zulieferern aus aller Welt.
Zum Ersten. Es ist ganz schön, wenn man während seiner Schulzeit so nebenbei das Tanzen lernt oder, wie ich, das Cellospielen – das macht Spaß –, aber wir brauchen auch Education for Enterprise. Wir brauchen eine Erziehung zum Unternehmertum, die es ermöglicht, dass wir tatsächlich einen Schub bei den Unternehmensgründungen bekommen: Wertschöpfung, neue Produkte, neue Märkte. Das wollen wir in der Zukunft angehen, nicht zuletzt durch unseren High-Tech Gründerfonds, den wir üppig ausgestattet haben. Wir werden noch viele weitere Maßnahmen einleiten.
Das Zweite ist aber mindestens genauso wichtig – Herr Fuchs, aufgrund der Koalitionsgespräche darf ich Sie direkt ansprechen –: Wir müssen in Bezug auf Corporate Social Responsibility, auf die Verantwortung in den Wertschöpfungsketten, dafür sorgen, dass Deutschland nicht nur auf die eigenen Schuhspitzen schaut. Wir müssen uns dafür interessieren, wo die Produkte herkommen und ob sie tatsächlich auf Basis der ILO-Normen, aber auch der OECD-Standards zu Werke gebracht wurden. Wir werden uns für mehr Verbindlichkeit einsetzen müssen. Es muss uns interessieren, wie es dem Arbeitnehmer geht, und zwar nicht nur in Deutschland.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Janecek, Sie haben gesagt, dass wir unzulässigerweise von einer Deindustrialisierung sprechen. Wir stehen – das ist meine erste Bemerkung dazu – mit Blick auf Europa vor enormen Herausforderungen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, dass der Anteil Europas an der Industrieproduktion in der Welt in den letzten 13 Jahren von 27 auf 25 bzw. aktuell 23 Prozent gesunken ist, während der gesamte asiatische Raum – dazu zählen insbesondere Indien und China – um 18 Prozent auf 27 Prozent zugelegt hat.
(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das lag aber nicht an Deutschland!)
Wir brauchen industrielle Stärke, und zwar nicht nur Deutschland, sondern in ganz Europa. Deutschland hat einen Anteil von 15,3 Prozent an der industriellen Wertschöpfung in Europa, bezogen auf das BIP. Das ist zu wenig. Da müssen wir mehr tun, auch mit Blick auf Ost-, Südost- und Südeuropa.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dazu bedarf es großer Anstrengungen, auch aus Deutschland heraus.
Herr Kollege Tiefensee, darf die Kollegin Hajduk Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Ja. – Sehr gerne, Frau Hajduk.
Sehr geehrter Herr Kollege Tiefensee, Sie haben über die Notwendigkeit und die Entwicklung der Industrialisierung in Europa im Verhältnis zur globalen Wirtschaft gesprochen. Ist Ihnen bewusst – davon ausgehend, dass die Zahlen so sind, wie Sie sie vorgetragen haben –, dass der industrielle Sektor in Europa, insbesondere bezogen auf die deutsche Wirtschaft, einen enormen Zuwachs durch das Potenzial der Energiewende verzeichnen konnte? Darauf ist der Kollege Janecek eingegangen. Ist Ihnen die Bedeutung der Energiewende für den industriellen Fortschritt im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaft bewusst? Würden Sie zustimmen, dass das deswegen die richtige Richtung für die deutsche Industriepolitik ist?
Frau Hajduk, zunächst möchte ich Ihnen sagen, dass ich mich auf die Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft beziehe. Das ist ein sehr arbeitgebernahes Institut. Sie können diese Zahlen sicherlich nachlesen.
Zum Zweiten. Ich stimme Ihnen zu, dass wir auf ganz unterschiedlichen Feldern dafür sorgen müssen, dass Deutschland seinen industriellen Sektor ausbaut, zumindest erhält; das Stichwort „energieintensive Unternehmen“ ist genannt worden. Wir dürfen den Fokus aber nicht allein auf diese Unternehmen richten, sondern wir müssen zum Beispiel auch die Rohstoffsituation im Fokus haben.
Mein Petitum ist, dass wir stärker auf Europa schauen. Deutschland hat einen Anteil von ungefähr 23, 24 Prozent – dieser Anteil ist stabil – an der industriellen Wertschöpfung, bezogen auf das Gesamt-BIP, während der Anteil Großbritanniens auf 12 Prozent und der Anteil Frankreichs auf 11 Prozent gesunken ist. Wir könnten uns stolz zurücklehnen und sagen: Das reicht, unser industrielles Rückgrat ist gut. Ich werbe dafür, dass wir den europäischen Raum in Relation zu Asien und den USA im Blick behalten. In unseren Schulstuben hängen Landkarten, auf denen Europa in der Mitte zu sehen ist. So betrachtet sind Asien und die USA ein Appendix. Ich plädiere dafür, dass wir diese Karten wegräumen und vielleicht einmal Asien in den Mittelpunkt stellen. Dann ist Europa ein Appendix. Wir können auch die USA in den Mittelpunkt stellen.
Eine Möglichkeit, die Industrie zu unterstützen, eine Möglichkeit, neue Technologien, neue Produkte und damit neue Märkte und Arbeitsplätze zu gewinnen, ist, die Energiewende zum Erfolg zu führen. Da kann Deutschland Vorreiter sein. Aber es wird nicht reichen, wenn nur Deutschland es tut. Wir müssen mit unseren Nachbarn darüber reden, wie sie die Energiewende gestalten und gleichzeitig die Industrieproduktion aufrechterhalten können. Das ist die riesige Herausforderung. Wenn Deutschland hier Vorreiter ist und Europa mitnimmt, wenn Deutschland nicht auf Europa herabblickt, nicht den Faden abreißen lässt, wenn wir die anderen europäischen Länder weiter im Blick behalten, dann sollte es gelingen, dass wir die industrielle Wertschöpfung in Europa insgesamt heben. Da sind wir einer Meinung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Jetzt läuft meine Redezeit schon wieder? Das ist gemein. – Ich wollte noch ganz kurz ansprechen, dass wir uns um die Fachkräfte kümmern müssen. In diesem Zusammenhang geht es um fünf Sektoren: Erstens müssen wir den Bereich „Familie und Frauen“ im Auge haben. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass mehr Jugendliche einen Schulabschluss erreichen. Drittens müssen wir die Arbeitslosen wieder in Arbeit bringen. Viertens brauchen wir diejenigen, die älter sind, länger am Arbeitsmarkt. Fünftens brauchen wir eine gezielte Zuwanderung. Die Bluecard ist ein Flop: 17 000 wurden angemeldet, 7 000 wurden ausgereicht, führten also tatsächlich zu Arbeitsplätzen, davon 4 000 an Menschen, die ohnehin schon in Deutschland waren. Eine Diskussion, die die Zuwanderung diskreditiert, mit der man auf dem Rücken von Rumänen, Bulgaren und anderen Politik machen will, ist zurückzuweisen. Wir brauchen diese Fachkräfte, damit es in Deutschland vorangeht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich lade die Unternehmerinnen und Unternehmer sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein, mit uns gemeinsam für mehr Wachstum, Arbeitsplätze und damit für mehr Lebensqualität in Deutschland, in Europa und auch darüber hinaus zu sorgen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Schlecht für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3084937 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 11 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaft und Energie |