30.01.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 11 / Tagesordnungspunkt 1

Peter SteinCDU/CSU - Wirtschaft und Energie

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß gar nicht, ob es eine undankbare Aufgabe ist, nach Herrn Professor Riesenhuber hier stehen zu müssen. Humoristisch kann ich mit ihm sicherlich nicht mithalten.

Ich möchte Sie alle in unsere Kindheit und Schulzeit entführen. Vielleicht können sich alle daran erinnern, dass uns ungefähr in der 5. Klasse etwas übergeben wurde, das uns meistens bis zum Abitur nicht mehr genommen wurde. Das war der Schulweltatlas. Ich kann mich daran erinnern, dass etwa in der 8. oder 9. Klasse das Thema Ruhrgebiet für mich ein sehr spannendes Thema war. Das Ruhrgebiet war dargestellt als rotbrauner Klumpen, umgeben von etwas Grün. Auf der Karte waren Piktogramme zur Energiewirtschaft, Industrie, Braunkohle, Steinkohle, Stahl, Maschinenbau usw.

Ich wohnte etwas weiter südlich im ländlichen Raum, im Bergischen Land. Das war grün bis dunkelgrün dargestellt, was signalisierte, dass dort überwiegend Forst- und Landwirtschaft vorhanden war. Das war deutlich, und wir haben das alles verstanden. Eines wurde auch deutlich: Die Energieerzeugung und die Industrie sowie auch das Vorkommen vieler Rohstoffe waren von der geografischen Lage her deckungsgleich. Das prägte die Industriegeschichte Deutschlands.

Als ich dann mein Studium in Dortmund begann, habe ich zum ersten Mal gesehen, wie eine Stadt und ihre Menschen offensichtlich für den deutschen Aufbau den Buckel hingehalten haben. Es waren dreckige Städte im Ruhrgebiet mit Menschen, die hart gearbeitet haben. Mitte der 80er-Jahre machte das Wort „Pseudokrupp“ die Runde. Ich habe erlebt, wie im Ruhrgebiet ein Strukturwandel einsetzte, den ich – glücklicherweise schon während des Studiums – begleiten konnte.

Ich will als Beispiel die nationale Kohlereserve nennen, die LEP-VI-Fläche in Dortmund. Diese Kohlereserve wurde aufgegeben, und Dortmund wollte einen Technologiepark entwickeln, angegliedert an die Universität. Den Menschen war schwer zu vermitteln, dass die Kohlehalde weg sollte und stattdessen Golfplätze entstehen sollten, um Manager aus der ganzen Welt überzeugen zu können, sich im Technologiepark anzusiedeln. Vornehmlich Japaner wurden gesucht, und die wollten nun einmal Golf spielen. Das war für mich der Einstieg in die Beschäftigung mit dem Strukturwandel. Dieser Strukturwandel ist heute noch nicht abgeschlossen.

Nach der deutschen Wiedervereinigung hatte ich das Glück, in die östlichen Bundesländer gehen zu dürfen, wo ich heute noch lebe. Ich lebe heute in Rostock, war aber unter anderem auch in Bitterfeld-Wolfen. Auch dort habe ich Menschen, Städte und Landschaften gesehen, die ihren Buckel für das hingehalten haben, was in der DDR wirtschaftlicher Wohlstand bedeutet hat.

Wenn ich heute den Blick in den Schulatlas meiner Kinder werfe, dann sehe ich, dass sich einiges verändert hat. Es sind Piktogramme, die ich noch kannte, verschwunden, und es sind andere hinzugekommen, auch an anderen Standorten.

Ich nenne beispielsweise alles, was mit IT zu tun hat. Das gab es in den 70er- und 80er-Jahren so noch nicht. Ich nenne die Standorte zur Erzeugung erneuerbarer Energien, die neu hinzugekommen sind, und natürlich die Trassen, die damit verbunden sind. Das zeigt deutlich den Wandel, den wir auf gesamtdeutscher Ebene zu bewältigen haben, und die neu verteilten Rollen. Dabei sollen und müssen natürlich die bestehenden industriellen Standorte, die Kerne, die wir haben, bestehen bleiben. Es dürfen auch gerne neue hinzukommen.

In Zeiten der Krise, die wir hoffentlich langsam überwunden haben, reden auch andere davon, dass wir ein neues deutsches Wirtschaftswunder hätten. Dafür sind – das ist schon gesagt worden – vor allen Dingen der deutsche Mittelstand und unsere Wirtschaftsstruktur maßgeblich verantwortlich. Die Standorte, auf die ich bereits eingegangen bin und die sich im Wandel befinden, sind bei uns in Mecklenburg-Vorpommern und im Norden generell Standorte für On- und Offshorewindparks. Im Wandel befinden sich aber auch unsere Häfen; denn Kohle und andere Rohstoffe werden vornehmlich über unsere Häfen zu unseren Industriestandorten geliefert. Auch dadurch verändert sich im Laufe der Zeit die wirtschaftliche Struktur unseres Landes. Dafür, dass die Verteilung der Lasten, die mit der Entwicklung einhergehen, auf die Schultern, die diesen wirtschaftlichen Fortschritt zu tragen haben, auch fair erfolgt, sind wir hier verantwortlich. Das ist eine Herausforderung.

Die begonnene Energiewende ist gesellschaftlicher Konsens. Sie ist richtig, notwendig und gut. Deutschland ist mit seiner Energiepolitik sicherlich so etwas wie ein Vorreiter.

Hier ist aber nicht nur Symbolpolitik zu betreiben; vielmehr muss sich das Ganze auch rechnen. Irgendwann wird es sich auch rechnen, nämlich spätestens dann, wenn die restliche Welt auf diesen Weg einschwenken muss. Bis dahin haben wir eine Aufgabe – davon bin ich überzeugt –: Wir haben für uns das Know-how zu entwickeln. Wir müssen die Technologieführerschaft innehaben und verstetigen. Vor allem haben wir diese Technologien im eigenen Land völlig unideologisch anzuwenden.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich stimme an diesem Punkt vielem zu, was der Kollege Hubertus Heil schon vorgetragen hat. Der bisherige Weg in diese Energiewende war richtig. Das alte EEG, wenn ich es so bezeichnen darf – wir wollen ja eine Novellierung zustande bringen –, begreift man vielleicht am besten als Kickstart für die Technologien, um die es heute im Wesentlichen geht.

Wo wir stehen, das wissen wir, glaube ich, noch gar nicht: Haben wir schon die Hälfte der Strecke zurückgelegt? An welchem Punkt sind wir angekommen? Es ist nur eines sicher: Zurück können und wollen und dürfen wir nicht gehen. Wir müssen diesen Weg weitergehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat gestern festgestellt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien mittlerweile bei nahezu 25 Prozent liegt. Insofern fristen die erneuerbaren Energien kein Nischendasein mehr. Auch da knüpfe ich an etwas an, was bereits gesagt worden ist: Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien in absehbarer Zeit am freien Markt bestehen können.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)

Nur so ist die Energiewende eine echte, vernünftige und nachhaltige Wende. Der Begriff „nachhaltig“ ist nicht von mir erfunden worden. Er ist mir mittlerweile schon fast über, aber in diesen Zusammenhang passt er einfach hinein. Auch deshalb verwende ich ihn gern. Der Minister Sigmar Gabriel hat im Ausschuss die EEG-Novelle, die er maßgeblich anschieben muss und will, einen „Zwischenschritt“ genannt. Er liegt damit sicherlich nicht verkehrt, wenn wir den Prozess betrachten, der insgesamt noch vor uns liegt.

Wir haben uns im Koalitionsvertrag zur Energiewende bekannt und werden diesen Weg erfolgreich gehen müssen, wenn wir die nötige Akzeptanz dafür erhalten wollen. Die Bundeskanzlerin und übrigens auch unser Fraktionsvorsitzender haben zuletzt gestern in der Aussprache zu Recht deutlich gemacht: Das machen wir alle gemeinsam. – „ Gemeinsam“ heißt nicht nur hier im Hohen Haus, die Regierung und die Koalition, sondern auch Einbeziehung des Bundesrates. Ich verweise auch auf die Planungsregionen in den Ländern, die dafür Verantwortung tragen.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, der vor uns liegende Vorschlag zur EEG-Novellierung geht dabei sicherlich in die richtige Richtung. Der Ausbau erneuerbarer Energien wird auf die kostengünstigsten und effizientesten Technologien zurechtgeschnitten. Die Versorgungssicherheit spielt eine ganz herausragende und wichtige Rolle bei der Novellierung.

Überförderungen sollen wegfallen; das ist heute schon mehrfach von allen Seiten vorgetragen und begrüßt worden. Onshorewindkraft, Photovoltaik und auch Offshorewinderzeugung sind die Energien für die Zukunft, was wir übrigens schon heute erleben. Wir wissen, wie das System funktioniert und was auf uns zukommt. Wir können da schon eine gewisse Substanz feststellen. Das ist ein großer Vorteil gegenüber vielen anderen Staaten und Nationen auf der Welt.

In allen drei Bereichen rechnet sich das für uns auf jeden Fall doppelt: zum einen für uns als Stromerzeuger vor Ort, zum anderen als technologisches Exportgut, als Produkt, als Know-how für die Zukunft. Wir müssen unsere Technologieführerschaft im eigenen Lande wirklich unideologisch zulassen und auch fördern.

Lassen Sie mich an dieser Stelle die immense Bedeutung unserer Hochschulen herausstreichen, die einen wesentlichen Beitrag zu Forschung und Entwicklung leisten. Überhaupt sind Forschung und Entwicklung am Standort Deutschland wesentliche Gründe für den Erfolg Deutschlands. Unsere Hochschulen sind dabei ein wichtiger Bestandteil, und dies in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Die meisten Technologien in diesem Bereich werden privatwirtschaftlich finanziert und entwickelt. Die Unternehmen, die das tragen, die das finanzieren, die das wollen, brauchen eine Sache viel mehr als Subventionen, nämlich Planungssicherheit. Bürokratieaufwuchs ist zu verhindern, damit Planungssicherheit im Hinblick auf unsere neuen, zukünftigen Energieformen und unser Wirtschaften generell gewährleistet wird.

Die entscheidenden Punkte dabei sind – auch die Kanzlerin hat das in ihrer Rede gestern betont – die vorgesehenen Ausbaukorridore und das Marktdesign. Auch dazu ist heute schon einiges gesagt worden. Deshalb kann ich mich hier kurzfassen. Auf diese Art und Weise wird Planungssicherheit erzielt; das System wird berechenbar – und das nicht nur für die Investitionen in erneuerbare Energien, sondern auch für die in den Ausbau der Netze.

Lassen Sie mich zum Beginn meiner Rede zurückkommen. Der wirtschaftliche Wohlstand muss alle in der Gesellschaft erreichen, und die Belastungen sollten idealerweise von allen geschultert werden. Aber wie beispielsweise das Ruhrgebiet und seine Menschen, überhaupt die Montanregionen in früheren Zeiten ihren Beitrag leisteten, so werden heute einzelne andere Regionen und Menschen die Belastungen schultern müssen. Das müssen wir ihnen erklären. Wir müssen sie in einem Dialog mitnehmen.

Ich sehe, meine Redezeit geht dem Ende entgegen. Deshalb will ich auch zum Schluss kommen. Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt noch als Abgeordneter des Landes Mecklenburg-Vorpommern etwas dazu sagen.

Wir sind wie viele andere norddeutsche Regionen mit Onshore- und Offshoregebieten gesegnet – mit allen Vorteilen und Problemen, die das mit sich bringt. Wir sind bereit und willens, uns für die Energiewende ins Zeug zu legen. Wir haben Häfen, wir haben die Windindustrie, wir haben speziell in Greifswald – mein Kollege Lietz kennt das ganz genau – den ITER, den Forschungsreaktor, und nicht zuletzt haben wir dort mit den Energiewerken Nord auch ein Unternehmen, das in dieser Republik sicherlich die höchste Expertise im Rückbau von atomaren Anlagen hat. Mecklenburg-Vorpommern kann und wird also seinen Beitrag leisten. Meine Kollegin Karin Strenz und meine Kollegen stehen mit mir dazu.

Ich bedanke mich zum Schluss dafür, dass Sie mir so fair zugehört haben. Überhaupt hat mich in diesem Hohen Hause in den paar Wochen, die ich jetzt hier bin, der faire und professionelle Umgang miteinander sehr beeindruckt. Wie gesagt: Ganz herzlichen Dank dafür!

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das war auch eine sehr gute Rede!)

Kollege Stein, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Auch Ihnen wünschen wir alles Gute für Ihre Arbeit hier im Hohen Hause.

Ihre letzte Bemerkung veranlasst mich dazu, mir zu wünschen, dass wir hier die gesamte Legislaturperiode in einem solchen Klima, wie Sie es gerade beschrieben haben, miteinander umgehen, sicherlich hart in der Sache debattieren, aber fair miteinander umgehen.

Dazu gehört auch der Hinweis: Es ist ein verbreiteter Irrtum, Kollege Stein, dem auch langjährige Kollegen aufsitzen, dass auf der Anzeige das Minuszeichen vor der Redezeit die noch verbleibende Redezeit anzeigt. Es macht aber ganz deutlich, wie weit Sie Ihre Redezeit schon überschritten haben.

(Heiterkeit – Zurufe von der CDU/CSU: Ach so!)

– Wenn das heute auch langjährigen Kollegen klar geworden ist, haben wir vielleicht noch einen Beitrag dazu geleistet, dass unsere Debatten in der vereinbarten Zeit geführt werden.

Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich liegen mir nicht vor.

Wir kommen nun zum Themenbereich Finanzen und Haushalt. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3086689
Wahlperiode 18
Sitzung 11
Tagesordnungspunkt Wirtschaft und Energie
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