Antje TillmannCDU/CSU - Finanzen und Haushalt
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt gute Nachrichten über Deutschland. Die Opposition mag es nicht hören, aber über Deutschland wird gut berichtet. Die Steuereinnahmen sind auf einem Rekordhoch. Ich nutze heute sehr gerne die Gelegenheit, all denjenigen Unternehmerinnen und Unternehmern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dafür zu danken, dass sie morgens aufstehen und dass sie einen Teil ihres Verdienstes als Steuern für diesen Staat abführen, um den Sozialstaat aufrechtzuerhalten. Kurzfassung: Ihnen, liebe Steuerzahlerinnen und liebe Steuerzahler, danke ich für Ihr Engagement und Ihr Mitwirken in diesem Staat.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich gebe das Protokoll dieser Debatte gerne jedem, der gesagt hat: Na ja, all das, was die Parteien im Wahlkampf in Bezug auf Steuererhöhungen behauptet haben, wird ja so nicht kommen. – Die heutige Debatte hat wieder ganz klar gezeigt: Es gibt ein Rekordhoch bei den Steuereinnahmen, aber die anderen Fraktionen können immer noch nicht genug kriegen. Wir sind die Einzigen, die den Bürgern sagen: Mit dem, was wir Ihnen, den Steuerzahlern, abnehmen, müssen wir auskommen. Darauf können Sie sich verlassen. – Wir werden dank dieser Steuereinnahmen zusätzlich die Schuldenbremse einhalten, Investitionen in Bildung und Forschung tätigen und ab 2015 keine neuen Schulden mehr aufnehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst mal abwarten!)
Was die Opposition noch sehr viel mehr ärgert als die harten Fakten, dass wir hohe Steuereinnahmen haben und den Haushalt konsolidieren, ist, dass immer mehr Menschen in Deutschland optimistisch in die Zukunft schauen. Es scheint sie so richtig zu ärgern, dass Menschen sagen: Mit Deutschland geht es gut voran; wir sind auf dem richtigen Weg. – Wir, die Koalition, insbesondere die CDU/CSU-Fraktion, werden in den nächsten vier Jahren dafür sorgen, dass es so bleibt und die Menschen im Nachhinein sagen: Das war ein guter Weg; wir sind ein Stück weitergekommen.
Ich will Ihnen im Folgenden einen kurzen Überblick darüber geben, wie wir das tun wollen. Wir bleiben, wie auch schon in den letzten vier Jahren, bei einer stabilen, verlässlichen Steuerpolitik. Ein kurzer Rückblick: Wir haben den Grundfreibetrag erhöht und die Menschen hierdurch um 2,6 Milliarden Euro entlastet. Wir haben die Wirtschaft um Bürokratie entlastet, indem wir eine elektronische Rechnungsstellung bei der Umsatzsteuer möglich gemacht und das Reisekostenrecht vereinfacht haben. Wir haben mehrfach das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöht und damit Familien in Deutschland unterstützt. Die weitere Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrags steht auf der Tagesordnung. Auch da werden wir die Familien in Deutschland im Auge haben; sie können sich auf uns verlassen.
Auch in dieser Legislaturperiode werden wir das Steuerrecht fortentwickeln. Und nein, es wird keine Steuererklärung geben, die auf einen Bierdeckel passt, weil einfach auch Lebenssachverhalte nicht auf einen Bierdeckel passen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Aber wir werden das Steuerrecht noch gerechter machen.
Wir haben in den letzten vier Jahren viele Steuergestaltungsmöglichkeiten in Deutschland eingeschränkt. Ich erinnere an die „Goldfinger“-Debatte. Das, was wir in Deutschland verhindern konnten, haben wir verhindert. In den nächsten vier Jahren setzen wir unsere Bemühungen fort, auch international zu Verbesserungen zu kommen. Steuervermeidungen – sie tragen den tollen Namen BEPS – werden wir international einschränken. Wir werden sicherstellen, dass auch im Internet und in der digitalen Wirtschaft Steuern gezahlt werden. Wir werden verhindern, dass Menschen keine Steuern zahlen, weil sie in unangemessener Weise Vorteile aus Doppelbesteuerungsabkommen, DBA, in Anspruch nehmen. Wir werden Steuerverkürzungen international dadurch verhindern, dass ein Informationsaustausch durchgeführt wird. Ich bin sehr froh, dass wir auch in dieser Legislaturperiode diese Politik zusammen mit unserem Finanzminister gestalten, denn er ist hier seit Jahren Vorreiter auf internationaler Ebene.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir werden auch die Finanzmärkte regulieren. Die Bürgerinnen und Bürger rechnen zu Recht damit, dass wir verhindern, dass Steuerzahler Banken retten müssen. Lieber Kollege Schneider, es ist schön, dass wir uns heute einig sind. Aber dass für die Haftungskaskade gilt, dass der Bürger zuletzt haftet, kann nicht direkt auf Sie zurückgehen; denn es gab sie schon, bevor Sie in die Regierung eingetreten sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Johannes Kahrs [SPD])
Auch da geht ein herzliches Dankeschön an unseren Finanzminister, der das auf europäischer Ebene durchgesetzt hat.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Frau Kollegin Tillmann, es gibt eine Zwischenfrage aus der Fraktion der Grünen. Gestatten Sie diese?
Gerne.
Bitte, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage erlauben. – Frau Tillmann, Sie haben von mehr Steuergerechtigkeit gesprochen. Ich habe absichtlich gewartet, bis Sie zum nächsten Thema kamen. Sie haben ein Thema ausgelassen, das die schwarz-gelbe Koalition anpacken wollte, aber nicht angepackt hat – das haben wir und gerade auch die Kollegen von der SPD oft beklagt –, nämlich das Thema Mehrwertsteuer.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ein uraltes Thema!)
Finden Sie es gerecht, dass Sie bei einem Bratwurstbräter unabhängig davon, ob Sie die Bratwurst mitnehmen oder dort verzehren, den gleichen Preis bezahlen, aber in dem einen Fall der verminderte Mehrwertsteuersatz und in dem anderen Fall der volle Mehrwertsteuersatz berechnet wird?
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Heute ist Veggieday! Heute ist Donnerstag! – Gegenruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Einfach mal zuhören!)
Um es in unserer Sprache zu sagen: Für Außer-Haus- Umsätze gilt der verminderte Mehrwertsteuersatz. – Ich könnte jetzt die ganzen weiteren Beispiele aufzählen, die Sie genauso gut kennen wie ich.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wohl keine Redezeit bekommen!)
Wir waren uns mit den Kollegen von der SPD einig, dass wir das Thema angehen müssen. Wir waren uns mit der CDU, allerdings nicht mit der CSU, beim Thema Hotelsteuer einig. Können Sie mir bitte sagen, warum Sie nicht den Mut haben, dieses zentrale Projekt zur Schaffung von Steuergerechtigkeit – auch wenn Herr Schäuble sagt, dass 60 Prozent der Bevölkerung dagegen sind, was sicher richtig ist – endlich anzugehen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Lieber Herr Kollege Gambke, ich beschäftige mich mit dem Thema Mehrwertsteuer wahrscheinlich schon länger, als Sie im Deutschen Bundestag sind. Ich gebe Ihnen recht: Es gibt in diesem Bereich Verwerfungen. Das Beispiel Babywindeln haben Sie jetzt nicht genannt, auch das ist ein uraltes Thema. Ein Teil der Problematik ist im Zuge der europäischen Umsatzsteuerrichtlinie entstanden; dadurch ist es innerhalb Deutschlands nicht ohne Weiteres möglich, die bestehende Regelung zu ändern.
Ich bin gerne bereit, mit Ihnen in den nächsten vier Jahren an Lösungen zu arbeiten. Das Thema ist nicht Bestandteil des Koalitionsvertrags, dafür haben wir 61 andere Projekte, die jetzt anstehen. Wir werden das Thema Mehrwertsteuer aber immer wieder auf die Tagesordnung setzen, zum Beispiel, wenn die Umsatzsteuer-Systemrichtlinie neu gefasst wird. Das bietet die Gelegenheit, das Thema intensiv zu diskutieren. Ich freue mich sehr, wenn Sie dabei sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Neben der Regulierung der Banken, insbesondere auch der Schattenbanken – Dr. Schäuble hat heute Morgen schon darauf hingewiesen –, werden wir uns intensiv mit dem Verbraucherschutz auf dem Finanzmarkt beschäftigen. Was für die Banken im Großen gilt, gilt für die Anleger im Kleinen: Wer ein Risiko eingeht, der muss auch den Schaden tragen. Aber natürlich fühlen wir uns bei Kleinanlegern aufgrund unserer Fürsorgepflicht mehr gefordert. Bereits in der Vergangenheit wurden Regulierungen in diesem Bereich vorgenommen. Für Anlageberater gelten strengere Informations- und Beratungspflichten. Es gibt sogar Sanktionsverfahren und Bußgelder. Es gibt sogenannte Kundeninformationsblätter für die Anleger und Anlegerinnen, was zu einer größeren Transparenz geführt hat, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Trotzdem gilt natürlich nach wie vor der Leitspruch: hohe Zinsen, hohes Risiko – niedrige Zinsen, niedriges Risiko. Ich kann von dieser Stelle aus an die Verbraucherinnen und Verbraucher, die sogenannten Kleinanleger, nur appellieren, dass sie die entsprechenden Informationen zur Kenntnis nehmen. Bei einem Zinssatz von 8 Prozent lohnt es sich, eine Stunde lang Informationsblätter zu lesen oder sich Rat einzuholen. 8 Prozent Zinsen bedeuten ein hohes Risiko. Wir können den Verbraucher nicht in jedem Einzelfall davor schützen, dass er Fehler bei der Anlage seines Geldes macht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])
Das nächste große Thema, insbesondere für die neuen, aber auch für die alten Bundesländer, ist die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Eben wurde von dem Kollegen der Grünen gefragt, ob wir uns als Bundestag da einschalten. Nun muss man zunächst festhalten, dass die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs natürlich Sache der Länder ist. Wenn sich die Länder einigen würden, ohne auf den Bund zurückzugreifen, dann hätten wir wenig Probleme, die Vorschläge der Länder nachzuvollziehen. Ich befürchte, das wird so nicht kommen. Also werden wir uns selbstverständlich in diese Verhandlungen einbringen.
Wir werden einen gerechten Ausgleich zwischen Leistungsanreizen und Solidarität finden. Es muss dabei insbesondere unser Interesse sein, sicherzustellen, dass die Schuldenbremse nicht nur einmalig eingehalten wird – der Bund und einige Länder sind hier vorbildlich –, sondern dass das Thema Schuldenbegrenzung gerade vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit in Deutschland in Bund, Ländern und Kommunen dauerhaft aktuell bleibt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Damit die Kommunen das tun können, haben wir das größte Entlastungsprogramm für die Kommunen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verabredet. Frau Andreae ist gerade leider nicht da. Dass sie sich hinstellt und sich traut, zu behaupten, die rot-grünen Landesregierungen hätten das in den Koalitionsvertrag und in den Vermittlungsausschuss hineinberaten,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt ja auch!)
ist sehr tapfer. Dabei hat doch gerade Rot-Grün den Kommunen mit den Kosten für die Unterkunft das größte Sozialprogramm aufgedrückt, sie dann aber hinsichtlich der Finanzierung im Regen stehen gelassen. Ich glaube daher, dass ein bisschen Demut schon angemessen wäre.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich wundere mich immer wieder, dass ausgerechnet die, die nicht im Vermittlungsausschuss sind, genau wissen, was dort passiert ist. Es war unser Finanzminister, der in der kommunalen Finanzkommission das 10-Milliarden-Euro-Entlastungsprogramm ins Gespräch gebracht hat. Rot-Grün ist dann auf diesen Zug aufgesprungen, was im Sinne der Kommunen ist. Aber tatsächlich lag die Initiative ganz klar bei uns.
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Frau Tillmann, so läuft das nicht in der Koalition!)
Die Kommunen werden sich auch weiterhin auf uns verlassen können. Das Programm zum Ausbau der Kinderbetreuung ist gut angelaufen. Wir wissen sehr wohl, dass auch in dieser Legislaturperiode zusätzliche Kindergartenplätze nötig sind. Lieber Herr Kahrs, auch hier war es wieder unsere Familienministerin, die die Bundesmittel ausgereicht hat, bevor manche SPD-regierten Länder überhaupt auf die Idee gekommen sind, dass Kindergärten zu bezahlen sind.
(Johannes Kahrs [SPD]: Wir wollen doch jetzt nicht unfreundlich werden! – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht auch gar keiner!)
– Nein, das will ich nicht. Aber die Retourkutsche dafür, dass Sie gesagt haben, die CDU müsste überzeugt werden, müssen Sie jetzt schon hinnehmen.
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie war das denn mit dem Betreuungsgeld?)
Ich bin sicher, dass die Koalition auch in diesen Punkten zu guten Ergebnissen kommt. Wenn wir in vier Jahren die Menschen noch einmal befragen, werden sie sagen: Das waren vier gute, optimistische Jahre.
Wir haben uns auf den Weg gemacht. Wir freuen uns, wenn Sie mitmachen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Lothar Binding, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwei Bemerkungen einer Kollegin und eines Kollegen der Linken haben mich mehr erschreckt als geärgert: Gesine Lötzsch hat von Wahlbetrug, Kollege Ernst von Lüge gesprochen. Ich glaube, wenn wir auf dem Niveau des betrunkenen Stammtischbesuchers angekommen sind, gemäß dem alle Politiker Lügner sind, dann haben wir etwas falsch gemacht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie müssen uns nicht erklären, wie ein Kompromiss funktioniert. Ein Wahlversprechen ist immer so gemeint, dass es das enthält, was man tun will, wenn man allein regiert. Wenn man nicht allein regiert, dann kann man nicht alles einhalten, was man versprochen hat. Das gilt für die einen, für uns, wie für die anderen, die CDU/ CSU-Fraktion.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aber wer gar nicht regiert, der kann gar nichts einhalten! – Gegenruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD]: Genau!)
Das hätte auch gegolten, wenn die Linke mit der CDU/ CSU koaliert hätte. Auch dann hätte das gegolten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Um das zu verstehen, bedarf es allerdings der Bereitschaft, mehr Verantwortung für das Ganze wahrzunehmen, als Sie bisher an den Tag gelegt haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dietmar Bartsch hat das geschickter gemacht. Er hat gesagt, was ihn an unserem Verhandlungsergebnis stört: Wir haben keine Einkommensteuererhöhung, keine höhere Abgeltungsteuer, keine Vermögensteuer. Das will ich gar nicht bestreiten; das stimmt. Die andere Hälfte haben Sie aber vergessen zu erwähnen: Wir haben den Mindestlohn, wir haben verbesserte Arbeitnehmerrechte, wir haben Beschäftigungsförderung, die Leih- und Zeitarbeit wollen wir verbessern, wir wollen die Rente und die Pflege verbessern. Das ist die andere Hälfte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber gar nichts bei den Finanzen!)
Ein Kollege von der CDU/CSU könnte das ganz ähnlich vortragen.
Kerstin Andreae hat sich in ihrer Rede implizit widersprochen; dieser Widerspruch war ein wenig versteckt. Sie hat gesagt: Ihr wollt 23 Milliarden Euro mehr ausgeben; das ist richtig schlimm.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Moment!)
Dann hat sie gesagt: Bei den Kommunen und in den Bereichen Verkehr, Schule, Kita, Forschung usw. fehlt Geld. Genau dafür wollen wir die 23 Milliarden Euro aber ausgeben. Und dann sagt sie noch: Das ist zu wenig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ihr habt sie nicht finanziert! Das ist das Problem!)
Das ist irgendwie unlogisch. Das ist ein Widerspruch.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es ist nicht finanziert! Das ist der Punkt!)
– Ja, das ist ein versteckter Widerspruch. Ich verstehe das sehr gut. Sie können das rechtfertigen. Aber die Erklärung ist falsch.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Insofern ist das eine komplizierte Angelegenheit.
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber Lothar Binding, so nicht!)
Ich will eine kleine Zäsur machen. Kollege Schäuble hat gesagt, dass in Europa viel zu tun bleibt. Ich will daran einen Gedanken anknüpfen: Ich glaube, wir müssen interkulturelle Kompetenz als Stärke akzeptieren und weiterentwickeln. Das muss unsere Basis sein. Von diesem Grundverständnis sind wir aber noch ein ganzes Stück weg. Heute betrachten sich die Länder gegenseitig noch so, als würden sie sich gar nicht kennen. Mein Lieblingsbeispiel dafür lautet: Wenn ich morgen Minister werde und meinen Bruder einstelle, sagt hier jeder: Günstlingswirtschaft! Sauerei! Der Binding muss gehen! – Wenn ich in Griechenland meinen Bruder nicht einstelle, sagen alle: In der Familie stimmt etwas nicht. Der muss gehen!
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Genau diese Diskrepanz zu verstehen, ist aber eine kulturelle Stärke. Ich will das nicht nach moralischen Maßstäben beurteilen; denn das steht uns gar nicht zu. Diesbezüglich machen wir es uns immer viel zu einfach. Ich glaube, diese Dimension müssen wir noch erschließen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich denke, wir dürfen es uns vielleicht auch nicht so einfach machen, wie es sich Herr Brinkhaus und Herr Barthle gemacht haben. Wir haben offensichtliche Probleme – das ist klar –, aber wir haben auch ein paar Probleme, die man nicht sofort bemerkt. Schuldenabbau – prima, das machen wir. Keine Steuererhöhungen – darauf haben wir uns jetzt eingelassen; dazu ist schon viel gesagt worden. Mehr Ausgaben – das machen wir alle gerne. Wir haben Wachstumsannahmen. Wenn sie stimmen, ist es gut, wenn sie nicht stimmen, wird es schwierig. Auch das Zinsniveau und die niedrige Inflationsrate sind dabei sehr hilfreich. Man muss aber genau hinschauen: Was passiert mit den Sozialabgaben? Was ist mit dem Substanzverzehr? Das ist etwas, was keiner merkt, es sei denn, er gerät während einer Zugfahrt in eine Langsamfahrstelle, von denen wir einige Hundert haben, oder er fährt in ein Schlagloch. Da denkt man dann: Vielleicht wäre es doch gut, da etwas mehr Steuergelder zu investieren. Wir haben auch die Lage der Kommunen in den Blick zu nehmen.
Wenn wir all diese versteckten Themen hinzunehmen, dann wird deutlich, dass sich vielleicht eine größere Vorsicht im Umgang mit dem Finanzierungsvorbehalt anbietet. Vielleicht verbreitet sich diese Erkenntnis ja in den nächsten drei, vier Jahren. Dann haben wir bessere Chancen, die Einnahmeseite zu verstärken, um die gewünschten Dinge tun zu können.
Ich will noch ein paar ganz konkrete Punkte ansprechen, sonst sagen Sie noch: Der ist zwar Finanzer, redet aber so wenig über Finanzen. Ich nenne das Stichwort BEPS, Base Erosion and Profit Shifting. Dabei geht es darum, die Basis der Steuereinnahmen durch Gewinnverlagerung zu zerstören. Auf diesem Gebiet haben wir sehr viel vor. Wir wollen Zinstricks abschaffen. Wir wollen gegen Lizenzboxen vorgehen. Wir wollen die Hinzurechnungsbesteuerung überdenken. Wir wollen die hybriden Strukturen angehen, mit denen doppelte Nichtbesteuerung erreicht werden soll. Wir wollen Amazon, Google und Ikea motivieren, ihre Steuern in Deutschland fair zu zahlen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Motivieren?)
Mit diesem Programm haben wir eine Chance, auch unsere Einnahmeseite so zu verstärken, dass daraus ein Schuh wird. Ich glaube, in dreieinhalb Jahren können wir dann zufrieden sein.
(Zuruf des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU])
– Hans Michelbach stimmt mir gerade zu. Vielen Dank.
Indem ich dieser Hoffnung Ausdruck verleihe, wünsche ich Ihnen alles Gute.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Als letztem Redner zu diesem Themenbereich erteile ich nun dem Kollegen Bartholomäus Kalb, CDU/CSU- Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3086773 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 11 |
Tagesordnungspunkt | Finanzen und Haushalt |