Sabine ZimmermannDIE LINKE - Arbeit und Soziales
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich bitte für einen Moment Folgendes vor: Sie sind 55 Jahre alt und seit 15 Jahren arbeitslos. Sie haben 20 Jahre lang in der Textilindustrie hart gearbeitet und waren gut qualifiziert. In den 15 Jahren Arbeitslosigkeit hatten Sie eine ABM, einen 1-Euro- Job, eine Bürgerarbeit und einen sechswöchigen Crashkurs Bewerbertraining. Was Sie in dieser Situation an Rente erwarten dürfen oder auch nicht zu erwarten haben, brauche ich Ihnen, glaube ich, nicht zu erklären. Von dieser Rente kann man hier nicht leben.
Das sind keine Einzelfälle; das ist bittere Realität – und nicht nur bei uns im Osten und auch nicht nur in meinem Wahlkreis.
Ich frage Sie: Welche Perspektive haben Sie denn mit 55 Jahren? Für Qualifizierung und für Arbeit sind sie zu alt und für die Rente zu jung. Es bleibt Ihnen nur noch Hartz IV übrig. Damit müssen Sie sich dann bis zu Ihrer Rente, die überhaupt nicht üppig sein wird, durchwurschteln. So kann es hier einfach nicht weitergehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Seit Jahren wird der Begriff des „robusten deutschen Arbeitsmarktes“ gebetsmühlenartig wiederholt. Das Einzige, was in den letzten Jahren wirklich robust und anhaltend schlecht gewesen ist, waren aber die Jobchancen der Menschen mit dem größten Problem am Arbeitsmarkt. Damit meine ich die Langzeiterwerbslosen – von diesen haben Sie, Frau Ministerin Nahles, nämlich fast gar nicht gesprochen –, die Menschen mit Behinderung und die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; denn die Jobchancen für diese Menschen werden immer schlechter, und deren Zahl erhöht sich immer mehr. Schon jetzt sind über 1 Million Menschen langzeitarbeitslos. Auch die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen stieg auf 186 000 weiter an. Einen deutlichen Anstieg auf 619 000 gibt es aber gerade bei den über 55-Jährigen.
Hier zeigen sich natürlich auch die ersten Auswirkungen der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Herr Schiewerling, ich sage Ihnen: Das hat nichts mit Solidarität zu tun, sondern das ist einfach nur ein Rentenkürzungsprogramm. Das können wir so nicht hinnehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Selbstverständlich sorgt die Rente erst ab 67 nicht dafür, dass mehr ältere Arbeitslose einen Job bekommen. Diese vergessenen Menschen erwarten Antworten von der Bundesregierung darauf, wie auch sie wieder am Arbeitsmarkt teilhaben können. Oder sollen die Jobcenter nur noch Statistikverwahrstationen sein? Ich frage Sie, ob das so weitergehen soll.
Fast die Hälfte der arbeitslosen Menschen verfügt mittlerweile über keine abgeschlossene Berufsausbildung mehr. Gleichzeitig wird Abertausenden Betroffenen der Zugang zur Weiterbildung verwehrt. Diese Arbeitsmarktpolitik ist eine Geisterfahrt sondergleichen und muss endlich gestoppt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Dazu gehört die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Weiterbildung. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Das ist notwendig, und deswegen brauchen wir einen Kurswechsel in der Arbeitsmarktpolitik.
(Beifall bei der LINKEN)
Dazu gehört auch ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor, der anständig entlohnt und Perspektiven für die Betroffenen bietet. Im Wahlprogramm, Frau Ministerin Nahles, war der soziale Arbeitsmarkt noch eine Forderung von Ihnen. Leider ist er irgendwo verschüttgegangen. Sich nur auf leicht vermittelbare Erwerbslose zu konzentrieren und den Rest seinem Schicksal zu überlassen, ist aus unserer Sicht gleichermaßen unchristlich wie unsozial.
Liebe Frau Nahles, tun Sie mir einen Gefallen: Treten Sie nicht in die Fußstapfen der ehemaligen Arbeitsministerin von der Leyen. Lassen Sie die Chance, es besser zu machen, nicht verstreichen.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)
Vielen Dank. – Ich darf die nachfolgenden Rednerinnen und Redner noch einmal daran erinnern, bitte die vorgegebene Redezeit einzuhalten. – Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin Sabine Weiss.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3086893 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 11 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit und Soziales |