Michael HartmannSPD - Innen
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wer andere mit der Formulierung kritisiert, es würden nur Neujahrsansprachen gehalten, der muss selbst aber auch etwas anderes bringen als die alten Schallplatten, die wir schon ewig von der Linken hören.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt gute Neujahrsansprachen!)
– Tut mir leid, das hat angesichts dieser Eingangskritik nicht bestanden.
Wie in allen übrigen Politikbereichen, so ist die Große Koalition auch im Bereich der Innenpolitik gefordert. Sie ist in der Pflicht, dieses Land zu regieren. Wir werden uns dieser gemeinsamen Pflicht stellen. Das stelle ich deshalb an den Anfang meiner Ausführungen, weil ich uns allen sagen will: Jetzt dürfen nicht mehr die jeweils eigenen puren Interessen dominieren, sondern jeder muss in der Lage und bereit sein, den gemeinsam gefundenen Kompromiss mitzutragen. Das gilt für die SPD, die sich dem auch da stellt, wo es ihr im Detail vielleicht gar nicht so gut gefällt, und das muss auch für die CDU/CSU gelten. Deshalb bin ich froh, wenn, ob Wildbad Kreuth droht oder nicht, Sätze wie „Wer betrügt, fliegt“ nur noch an die eigene Adresse gerichtet werden statt an die Adresse der Regierung oder gar des Koalitionspartners.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich kann allerdings auch allen übrigen Neugierigen versichern: Jetzt wird Innenpolitik gemacht werden. Es werden nicht mehr Blockade und wechselseitiges Sichaufhalten dominieren, sondern jetzt wird das Entscheiden angesagt sein: in dieser Großen Koalition
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje!)
und bei allen Themenblöcken, die anstehen. Das bedeutet im Übrigen, dass Handwerk an die Stelle von Ideologie treten wird, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben im Bereich der klassischen Sicherheitsfragen drei große Themen, die ich heute Abend erwähnen möchte.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorratsdatenspeicherung, Vorratsdatenspeicherung, Vorratsdatenspeicherung!)
Erstens. Die Aufarbeitung des historisch großen Skandals um den NSU ist noch nicht beendet, sondern erst an ihrem Anfang. Wir wollen, dass der begonnene Umbau unserer Sicherheitsbehörden weitergeht. Das bedeutet für uns: Natürlich muss einiges anders werden, lieber Kollege Binninger, liebe Kollegin Eva Högl. Beide sind intensiv mit den Fragen befasst. Wir müssen bei der Führung der V-Leute besser werden und anders vorgehen.
Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden ganz anders und neu definieren. Das ist nicht nur an die Adresse der Behörden des Bundes gerichtet.
Wir müssen unbedingt kultursensibler werden, wenn ermittelt wird. Last, not least müssen wir auch auf die Zivilgesellschaft, die in den Fragen der Bekämpfung des Rechtsextremismus ein Gewinn sein kann, ganz anders zugehen. Das bedeutet auch, dass man beim Verfassungsschutz und anderswo nicht mehr beliebig irgendwelche Dokumente auswertet, sondern die Gewaltbereitschaft bestimmter Gruppen der Rechten in den Fokus nimmt und da hart und entschlossen agiert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zweitens. Sicherheitsgesetze sind kein Selbstzweck. Sie müssen maßvoll und mit geeigneten Methoden umgesetzt und eingesetzt werden. Dies vorausgeschickt, füge ich hinzu: Das bedeutet, dass jedes Sicherheitsgesetz, das in die Persönlichkeitsrechte der Menschen eingreift, permanent einer Quasi-Evaluierung und Befristung unterliegen muss. Da darf nichts in Stein gemeißelt und auf Dauer sein, schon gar nicht in Zeiten der NSA.
Das bedeutet zugleich aber auch, dass nun endlich einmal der ewige Glaubenskrieg um die Mindestspeicherfristen beendet werden muss. Sie ist weder das Instrument der Totalausspähung, das unsere Bürgerrechte völlig negiert und in der Auswirkung quasi der Hölle gleich ist, noch das Allheilmittel polizeilicher Arbeit.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist sie unverhältnismäßig! Das ist es halt!)
Eine Polizei wäre arm dran, wenn sie ohne die Vorratsdatenspeicherung nicht mehr ermitteln könnte. Ziel und Maß sind bei diesem Thema dringend geboten, und zwar auf beiden Seiten, denen ich dabei Abrüstung empfehle.
(Beifall bei der SPD)
Wir werden deshalb sehr genau nach Europa schauen, wo ein wegweisendes Urteil bevorsteht, und dann auch vorlegen, und zwar werden sich der Justizminister und der Innenminister – im Unterschied zur Vergangenheit, da bin ich mir sehr sicher – gemeinsam zusammenraufen. Es kann nur vorgelegt werden, was grundrechtschonend ist, einem Richtervorbehalt unterliegt und zeitlich sehr begrenzt wirkt. Das bedeutet, dass eine Überprüfbarkeit ermöglicht werden muss und dass die Daten unserer Bürger vor dem unberechtigten Zugriff durch Dritte geschützt sein müssen. Das sind die Parameter, innerhalb derer wir weiter diskutieren und die wir bei dem, was uns auf europäischer Ebene vorgegeben wird und Karlsruhe bereits vorgegeben hat, beachten werden.
Herr Minister, ich bin Ihnen zum Dritten sehr dankbar, dass Sie das Thema organisierte Kriminalität stärker in den Mittelpunkt rücken. Natürlich haben wir den NSA-Skandal weiter aufzuarbeiten. Natürlich haben wir Konsequenzen aus dem NSU-Skandal zu ziehen. Natürlich ist die Terrorbedrohung andauernd und muss ebenfalls bekämpft werden. Auch die Gewalt- und Alltagskriminalität bleiben große Themen. Aber wir sollten es nicht länger zulassen, dass die organisierte Kriminalität in Deutschland fröhliche Urstände feiert. Damit meine ich das Rockerunwesen und – die entsprechenden Daten müssen uns bedrücken – die klassische Mafia wie ’Ndrangheta und Camorra. Ich meine damit aber auch das, was uns aus Osteuropa droht: Drogenschmuggel und Drogenkriminalität, Menschenhandel und Zwangsprostitution, Glücksspiel und Ausbeutung von Menschen, Schutzgelderpressung und Ähnliches mehr. Der Staat würde versagen, würde er in diesen Bereichen weiterhin die Augen verschließen und nicht konsequent vorgehen. Das gilt auch für die Weiße-Kragen-Kriminalität.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird sich die Union ja bedanken! Sie regiert ja seit acht Jahren!)
Dabei gilt: Wir müssen wissen, worüber wir reden. Deshalb brauchen wir bessere und aussagefähigere Statistiken. Wir müssen die Präventionsarbeit stärken. Wir brauchen die nötige Technik und – last, but not least – gute Behörden, da das Internet immer auch Instrument der Tatvorbereitung oder der Tatdurchführung ist. Wir brauchen zudem eine entsprechende Debatte. Das Internet ist sicherlich ein Raum der Freiheit, aber nicht der Libertinage. Es muss auch ein Raum der Sicherheit und des Rechts sein. Da wird viel Arbeit auf uns zukommen.
Am wichtigsten ist, Herr Minister, dass wir gutes und motiviertes Personal haben. Deshalb sollten wir alle gelegentlich etwas sorgsamer bei unserer Wortwahl gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Sicherheitsbehörden sein. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert sind und es sein können. Das verlangt eine anständige Bezahlung – sie wird in Tarifverhandlungen ausgefochten – und auch, dass wir den Beamtinnen und Beamten im mittleren Dienst des großen Personalkörpers der Bundespolizei mit über 40 000 Beschäftigten wieder eine Perspektive bieten und ihnen ihre Identität zurückgeben. In diesem Zusammenhang sollten wir uns auch der Aufgabe betreffend die Ausrüstung stellen.
Herr Kollege Hartmann, denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich bin quasi beim letzten Absatz. Aber es ist nett, dass Sie mich erinnern.
(Heiterkeit)
Das werde ich weiterhin tun.
Gut. Ich bin nicht beim letzten Absatz meiner fünfbändigen Memoiren, sondern dieser meiner Rede, keine Sorge.
Wenn wir in diesem Rahmen weiter agieren, dann ist die SPD als eine Partei dabei, die soziale Sicherheit als Voraussetzung für innere Sicherheit sieht. Wir wollen, dass alle die Regeln einhalten, sowohl jene, die abhängig beschäftigt sind, als auch jene, die die Arbeit bestimmen. Wenn das Gefühl entsteht, dass man die Großen laufen lässt und die Kleinen henkt, ist es um die innere Sicherheit schlecht bestellt. Wir sollten hier gemeinsam zusammenstehen und in diesem Sinne in den kommenden vier Jahren agieren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Als Nächster spricht der Kollege Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.
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Electoral Period | 18 |
Session | 11 |
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