Lars CastellucciSPD - Innen
Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in der Großen Koalition noch etwas vorgenommen, und zwar eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Sehr geehrter Herr Minister de Maizière, das ist für Sie anscheinend so selbstverständlich, dass Sie es gar nicht mehr erwähnen. Das ist gut.
(Beifall bei der SPD)
Bereits Rot-Grün hat das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. Das war schon damals eine längst überfällige Maßnahme. Es ist gesünder, sich nicht an jedes Detail aus dieser Debatte zu erinnern.
(Rüdiger Veit [SPD]: Das stimmt!)
Klar ist: Die SPD steht für das moderne Deutschland, und sie steht damit auch für ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, so auch heute.
(Beifall bei der SPD)
Wir zwingen junge Menschen, die neben der deutschen eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, dazu, sich bis zu ihrem 23. Lebensjahr für eine zu entscheiden. Das fällt ihnen schwer. Man kann in den Medien einige theoretische Einlassungen wahrnehmen, zum Beispiel von Hannes Wader inspiriert: „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort“. Es wird darüber berichtet, was alles passieren kann, wenn Menschen mehrere Staatsangehörigkeiten haben.
Ich glaube, es wäre gut, wenn wir einmal die betroffenen Menschen zu Wort kommen lassen würden. Das will ich hier tun. Einer hat mir vorgestern geschrieben – ich zitiere –: Kurz vor der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages saß ich im bosnischen Konsulat und habe die Abtretungsurkunde der bosnischen Staatsangehörigkeit unterschrieben. Das hat wehgetan. Die Familie in Bosnien versteht das nur sehr schwer; denn für sie lasse ich ein Land im Stich, das Heimat für meine Großeltern war und ist. Warum muss ich das? Ich bedrohe niemanden, wenn ich zwei Staatsangehörigkeiten habe.
Es fällt den Betroffenen schwer, und es betrifft eine ganze Reihe von Menschen. Ab 2018 – das wird prognostiziert – werden 40 000 Jugendliche unter die Optionspflicht fallen. Gleichzeitig akzeptieren wir schon heute bei einer Mehrheit der Einbürgerungen Mehrstaatlichkeit: weil es nicht anders geht, weil es sich um andere EU-Bürger handelt. Kinder aus internationalen Ehen haben ohnehin keine Schwierigkeit, einen Doppelpass zu haben. Meine Damen und Herren, es ist ein bisschen wie bei der Wehrpflicht: Irgendwann haben wir mehr Ausnahmen als Regeln, und dann funktioniert es nicht mehr. Das ist dann ungerecht, und es treibt einen Keil in den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das kann nicht so bleiben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Im Dezember war ich bei einem Empfang des Verbands der Migrantenwirtschaft in Berlin. Dort meldete sich jemand zu Wort, der Folgendes sagte: Wir leben hier, wir arbeiten hier, wir zahlen hier Steuern, wir gründen hier unsere Familien, wir schaffen Arbeitsplätze. Können wir nicht einfach alle Deutsche sein, statt Ausländer oder ausländische Mitbürger oder Deutsche mit Migrationshintergrund oder Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte? – Diese Begrifflichkeiten zeigen nur eines, nämlich dass wir an dieser Stelle ein Problem haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als die Frage „Können wir nicht einfach Deutsche sein?“ gestellt worden war, kam Rita Süssmuth zu Wort. Sie sagte: Vergessen Sie Ihre Wurzeln nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen das aus meiner eigenen Familie erzählen. Mein Vater hat schon in den 70er-Jahren die italienische Staatsbürgerschaft abgegeben und die deutsche angenommen. Immer, wenn ein Acker in der alten Heimat zu vererben war, hat er seinen Geschwistern gesagt: Macht es unter euch aus. Ich habe damit nichts mehr zu tun. – Er ist vor einigen Jahren in Rente gegangen, und dann waren die Fragen wieder da: Wo gehöre ich hin? Wo will ich leben? Vielleicht hier und dort? – Frau Süssmuth hat recht: Die Wurzeln sind tief im Inneren da. Die neue Staatsangehörigkeit möchte blühen und Früchte tragen, aber ohne seine Wurzeln ist der Mensch nicht ganz.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deshalb wollen wir als SPD-Fraktion – ich bin Aydan dankbar, dass sie es auch so ausspricht – die Optionspflicht abschaffen, gänzlich und ohne Einschränkung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb haben wir in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, dass wir nun bei den Kindern beginnen. Der Optionszwang entfällt. Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Das ist ein Anfang. Manche werden sagen: Nur ein Anfang. Ich sage: Es ist ein guter Anfang.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Johannes Rau hat einmal gesagt:
In diesem Sinne, meine Damen und Herren: Zwingen wir die Menschen nicht länger, die eigenen Wurzeln abzuschneiden! Unterstützen Sie uns alle dabei, den nächsten Schritt bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu gehen! Lassen wir die Menschen ganz!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Castellucci, das war auch Ihre erste Rede hier im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu und wünsche auch Ihnen viele weitere Reden im Hohen Hause.
(Beifall)
Ich erteile jetzt dem Kollegen Clemens Binninger das Wort, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3087166 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 11 |
Tagesordnungspunkt | Innen |