30.01.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 11 / Tagesordnungspunkt 1

Katja KeulDIE GRÜNEN - Recht und Verbraucherschutz

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Maas, zunächst möchte ich Ihnen von dieser Stelle aus zu Ihrem neuen Amt ganz herzlich gratulieren. Die Justiz ist nicht einfach nur eines von 14 Ministerien dieser Regierung. Neben der Gesetzgebung und der Regierung ist sie als dritte Gewalt die tragende Säule unseres demokratischen Rechtsstaates. Wenn hier alles glattläuft, dann halten das die Bürgerinnen und Bürger schnell für selbstverständlich. Aber wehe, das Vertrauen in den Rechtsstaat kommt ins Wanken. Dann ist die Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens schnell in Gefahr.

In den Krisenregionen von Libyen über Somalia bis nach Afghanistan wissen die Menschen oft besser als wir: Gerechtigkeit und Frieden gehören zusammen und bedingen einander. Ich freue mich daher, im Koalitionsvertrag zu lesen, dass Sie die Initiative „Law – Made in Germany“ stärken und weiterentwickeln wollen. Dabei können Sie mit unserer grünen Unterstützung rechnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber auch hier bei uns gilt es, das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat immer wieder neu zu gewinnen. Dabei ist vor allem der Zugang zum Recht eine Schlüsselvoraussetzung. Zum 1. Januar 2014 trat das neue Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferecht in Kraft, mit dem die Voraussetzungen der staatlichen Kostenhilfe verschärft werden. Damit soll angeblicher Missbrauch bekämpft werden, obwohl die staatliche Kostenhilfe gerade einmal 5 Prozent der Gesamtkosten der Justiz ausmacht und Deutschland im europäischen Vergleich weit unter den durchschnittlichen Pro-Kopf-Kosten liegt. Das von Ihrem Ministerium vorgelegte Formular ist nun länger und komplizierter. Gerade Hartz-IV-Empfänger sollen ihre Bedürftigkeit nicht mehr allein durch die Vorlage des Leistungsbescheides nachweisen können. Warum eigentlich? Ist ihre Bedürftigkeit nicht bereits ausreichend geprüft worden? Bitte denken Sie bei der weiteren Ausgestaltung der Verfahren daran, wie wichtig es für uns alle ist, dass auch die Ärmeren unter uns ihre Anliegen der staatlichen Gerichtsbarkeit anvertrauen und nicht aus Frust dazu übergehen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen; denn das wäre am Ende immer die teuerste Alternative – für alle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dann gibt es da noch eine Berufsgruppe, die für den Zugang zum Recht von besonderer Bedeutung ist: die Anwältinnen und Anwälte vor Ort in den kleinen Kanzleien, sozusagen die Hausärzte des Rechtssystems. Trotz der unveränderten Haftungsrisiken verdienen die Einzelanwälte durchschnittlich gerade noch 1 500 Euro netto. Das werden auch die Idealisten unter ihnen nicht mehr lange durchhalten. Wir können aber die Rechtsuchenden auf dem Lande langfristig nicht auf die großen Wirtschaftskanzleien in der nächsten Metropole verweisen. Auch das würde den Zugang zum Recht und damit das Vertrauen in den Rechtsstaat erheblich erschüttern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber auch bei der Frage der Gerichtsbarkeit sehe ich eine Gefahr auf unseren Rechtsstaat zukommen. In Ihrem Koalitionsvertrag steht:

Das ist gut. Wie wollen Sie aber damit in Einklang bringen, dass künftig im Rahmen des Transatlantischen Freihandelsabkommens internationale Konzerne vor einem internationalen Schiedsgericht gegen unsere Gesetze klagen und den deutschen Gesetzgeber aushebeln können?

(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hier sind Sie als Bundesjustizminister gefordert. Verhindern Sie, dass Streitigkeiten mit internationalen Konzernen demnächst nicht mehr vor deutschen Gerichten ausgetragen werden! Verhindern Sie, dass wenige ausgewählte Wirtschaftsanwälte als Richter von Schlichtungskammern den sogenannten Investorenrechten Vorrang vor unserer Gesetzgebung einräumen, ohne dass es dagegen eine Berufungsmöglichkeit gibt!

Wir Grünen halten außerdem die Aussetzung der Verhandlungen zu diesem Abkommen für unabdingbar, solange uns nicht einmal ein Mindestmaß an Datenschutz von der anderen Seite des Atlantiks garantiert wird. Freihandel und Wirtschaftsspionage passen nicht zusammen.

Es tut sogar der Opposition weh, zu sehen, wie hilflos die Bundesregierung auf diese Rechtsverstöße reagiert. Ärgerlich wird es, wenn der einzige Deutsche, der konkrete Ermittlungen einleiten könnte, sich das seit Monaten nicht traut. Der Generalbundesanwalt unterliegt Ihrer Weisung. Wenn er jetzt nicht bald in Gang kommt, fällt das irgendwann auf Sie zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist bitter, erkennen zu müssen, dass niemand in Europa der NSA technologisch Paroli bieten kann. Solange sich daran nichts ändert, sollten wir möglicherweise noch einmal neu über die zwingende, das heißt ausschließlich elektronische Gerichtspost ab 2022 nachdenken. Wir sollten ehrlich sein: Keine Anwaltskanzlei und kein deutsches Gericht kann den Rechtsuchenden bei digitalen Schriftsätzen derzeit den erforderlichen Vertrauensschutz vollständig garantieren.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Diesem Vertrauensschutz droht weiteres Ungemach. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 2. März 2010 entschieden, dass Telekommunikationsdaten von zu Verschwiegenheit verpflichteten Berufsgruppen keinesfalls im Rahmen einer Vorratsdatenspeicherung übermittelt werden dürfen. Das ist ein verfassungsrechtliches Gebot.

Unabhängig davon, wie das Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung ausgeht, ist eine Übermittlung und Nutzung gespeicherter Daten schon aus verfassungsrechtlichen Gründen immer unter Richtervorbehalt zu stellen. So wie man nicht auf Vorrat übermitteln und nutzen darf, so darf man auch nicht auf Vorrat speichern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Begriff Vorrat passt nicht zu einem Rechtsstaat. Er übermittelt nicht auf Vorrat, hört nicht auf Vorrat ab und sammelt auch nicht auf Vorrat. Unser Rechtsstaat braucht keine Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sie haben aber noch viel nettere Projekte, die Sie schnell und unkompliziert werden angehen können, zum Beispiel im Aktienrecht. Sie haben es angesprochen. Die Frauenquote für die Aufsichtsräte ist überfällig und sollte nicht länger auf sich warten lassen. Die Mieterinnen und Mieter in den Ballungsräumen warten darauf, dass Sie endlich die Mietpreisbremse bei Neuvermietung einführen.

Bei der Prostitution müssen wir nicht nur im Gewerberecht nachsteuern, sondern auch Opfern von Menschenhandel besseren Schutz gewähren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Noch eine gute Idee: Wie ist es denn mit der Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder? Nachdem zunächst einige meinten, man bräuchte dazu keine gesetzliche Regelung, hat sich zum Glück doch noch der juristische Sachverstand durchgesetzt.

Zu alledem sind Sie jetzt auch federführend für den Verbraucherschutz zuständig. Das finden wir richtig. Der mündige Bürger des BGB und der schutzbedürfte Verbraucher sind eben doch ein und dieselbe Person. Haben Sie in den letzten Jahren schon mal ernsthaft den Versuch unternommen, Ihre Telefonrechnung nachzuvollziehen? Da kann man auch als mündiger Bürger wütend werden. Nicht umsonst spielen die Telekommunikationsverträge bei Verbraucherinsolvenzen eine erschreckende Rolle, und das, obwohl Telefonieren in den letzten 20 Jahren doch eigentlich billiger geworden ist.

Da ist es in der Tat eine staatliche Aufgabe, den marktbeherrschenden Konzernen die roten Linien aufzuzeigen. Dazu gibt Ihr Koalitionsvertrag leider nicht viel her: keine Ausweitung der Verbraucherinformationsrechte und keine Einführung der Gruppenklage. Egal ob im Finanzmarkt, beim Onlinehandel, bei Bewertungen durch den ADAC oder die Schufa – überall dort würden diese Instrumente weiterhelfen.

Sie sind sich mit Ihrem Kabinettskollegen noch nicht einmal einig, dass das Verbraucherinformationsgesetz in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Die Auskunftsrechte der Verbraucher sind eine zentrale Säule des Verbraucherschutzes und sollten sich gerade nicht auf Lebensmittel beschränken. Lassen Sie sich hier also nicht vom Landwirtschaftsminister die Butter vom Brot nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und lassen Sie sich von einem schwachen Koalitionsvertrag nicht abhalten, trotzdem sinnvolle Gesetze auf den Weg zu bringen. Wenn Sie eine gute Idee brauchen, können Sie gerne die Opposition fragen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Keul, auch für die präzise und disziplinierte Einhaltung der Redezeit. – Ich darf jetzt die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß, SPD, bitten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3087217
Wahlperiode 18
Sitzung 11
Tagesordnungspunkt Recht und Verbraucherschutz
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