12.02.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 13 / Zusatzpunkt 1

Klaus ErnstDIE LINKE - Aktuelle Stunde zur Steuerhinterziehung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht uns um die Frage, wie wir die strafbefreiende Selbstanzeige künftig regeln wollen. Wollen wir als Staat solche Straftaten nicht mehr ahnden? Damit entsteht sogar der Eindruck, als würde der Staat alles tun, um insbesondere Vermögende vor einer Strafverfolgung zu schützen. Das ist jedenfalls der Eindruck, der draußen im Land entsteht.

Wie sonst ist es erklärbar, dass man bei vorsätzlicher Steuerhinterziehung, Beispiele Alice Schwarzer und Hoeneß, durch Selbstanzeige einer eindeutigen Straftat – zu der man sich selbst auch noch bekannt hat – einer Strafe entgehen kann? Wie sonst ist es erklärbar, dass eine Strafverfolgung unterbleibt, selbst dann, wenn der hinterzogene Betrag 50 000 Euro übersteigt und damit nach dem Gesetz eigentlich eine Straffreiheit ausgeschlossen wäre – wenn der Betrüger nach § 398 a der Abgabenordnung doch noch seine Steuern zahlt plus, sagen wir, 5 Prozent Freikaufgebühr? Bei den Bürgern muss doch der Eindruck entstehen: Aha, wer Kohle hat, der kann sich irgendwie freikaufen.

Stellen Sie sich vor: Jemand knackt einen Geldautomaten und holt sich 10 000 Euro raus. Auf dem Nachhauseweg fällt ihm ein: Hoppla, ich könnte vielleicht gefilmt worden sein. – Nun bringt er die 10 000 Euro zurück und sagt: Das war zwar eine Straftat; ich zahle aber 500 Euro. – Bleibt er dann auch straffrei? Wo ist eigentlich der Unterschied zwischen demjenigen, der sich Geld aus einem manipulierten Geldautomaten holt, und demjenigen, der Steuern hinterzogen hat? Ich kann keinen erkennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum ist Ladendiebstahl eine Straftat und hat gegebenenfalls gravierende Folgen, während ein Steuerhinterzieher oft nicht einmal vorbestraft ist, obwohl er zigtausend Euro hinterzogen hat?

Meine Damen und Herren, die Argumente des Finanzministers sind mir bekannt. Herr Schäuble, Sie sagen: Durch die Selbstanzeige wird dem Staat letztendlich die Möglichkeit gegeben, Millionen in seine Kassen zu bekommen, die er sonst nicht erhalten würde. – Aber, Herr Schäuble, ist es wirklich die Möglichkeit der Selbstanzeige, die zu Steuerehrlichkeit führt, oder ist es nicht vielmehr die Angst desjenigen, der die Steuern hinterzogen hat, entdeckt zu werden, weil der Staat inzwischen, jedenfalls einige Länder, Gott sei Dank und richtigerweise Steuer-CDs kauft?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann Ihr Argument nicht ernst nehmen, weil Sie auf der einen Seite sagen, dass der Staat Geld einnehmen soll, sich auf der anderen Seite aber immer vehement dagegen gewehrt haben, dass der Staat Steuer-CDs aufkauft. Herr Schäuble, Sie müssen sich entscheiden, was Sie wollen: Wenn Sie die Kohle wollen, dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass die Kohle reinkommen kann. Mit dem Ankauf von Steuer-CDs erreichen wir bei weitem mehr als durch die strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, die Sie gegenwärtig verteidigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ähnlich ist es mit dem Steuerabkommen mit der Schweiz; Herr Schäuble, auch das muss ich sagen. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass Sie wirklich an das Geld herankommen wollten. Bei dem Steuerabkommen mit der Schweiz ging es aber um nichts anderes als darum, die Anonymität der Straftäter zu wahren. Wir unterscheiden offensichtlich Straftäter im Steuersystem mit entsprechenden Einkommen von allen anderen Straftätern. Das ist nicht akzeptabel, Herr Schäuble.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb möchte ich hier noch einmal eindeutig sagen: Die strafbefreiende Selbstanzeige gehört abgeschafft. Gleichzeitig muss geregelt werden, dass Bagatelldelikte – die gibt es ja auch; die sind jetzt auch in dieser Regelung enthalten – ausgenommen bleiben, sodass wir nicht den Kleinen erwischen, sondern die Großen, die von der strafbefreienden Selbstanzeige Gebrauch machen.

Der Bundesrepublik gehen nach Angaben der Deutschen Steuer-Gewerkschaft jährlich circa 50 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung verloren. Das ist ein Sechstel des Bundeshaushalts. Eine Klimaveränderung ist notwendig: Es muss klar sein, dass Steuerhinterziehung kein Bagatelldelikt ist. Das wird insbesondere dadurch erreicht, dass man den Straftatbestand der Steuerhinterziehung als solchen wertet und die Steuerbetrüger nicht mit allen möglichen Tricks letztendlich straffrei stellt. Das kann nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Steuergerechtigkeit ist notwendig: Wer betrügt, wird bestraft. Auch wenn dieser Grundsatz gilt, sieht das Strafrecht die Möglichkeit zur Unterscheidung vor. Ein Richter kann natürlich unterscheiden: Ist der Täter geständig? Macht er freiwillig Angaben? Das kann der Richter beim Strafmaß berücksichtigen. Aber rechtlich festzulegen, dass ein solcher Täter prinzipiell straffrei bleibt, obwohl er den Straftatbestand erfüllt hat, das geht meines Erachtens überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Was wir brauchen, sind mehr Steuerfahnder, Herr Schäuble. Wir wissen, dass jeder Steuerfahnder ungefähr das Zwanzigfache von dem hereinbringt, was er kostet. Wo bleibt die Initiative dieser Bundesregierung, damit wir durch mehr Steuerfahnder ein wenig von den 50 Milliarden Euro hereinholen, die uns jährlich verloren gehen?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Kein Steuerflüchtling soll sich sicher fühlen. Deshalb brauchen wir mehr Steuer-CDs. Das ist besser als jede Befreiung von der Strafverfolgung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3123194
Wahlperiode 18
Sitzung 13
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Steuerhinterziehung
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