12.02.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 13 / Zusatzpunkt 1

Wolfgang SchäubleCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Steuerhinterziehung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ernst, im Strafrecht gilt generell: Sie hängen keinen, Sie hätten ihn denn. Die erste Voraussetzung, um jemanden, der ein strafbares Verhalten begangen hat, bestrafen zu können, ist, dass man seine Straftat erkennt und ihn ertappt. Daraus ergibt sich der Unterschied, nach dem Sie gefragt haben. Es geht gar nicht nur um die fiskalischen Interessen des Staates.

Zunächst einmal ist das Problem, dass im Steuerrecht etwas ganz anderes gilt als in der sonstigen Rechtsordnung. In Steuerverfahren verlangen wir von allen Steuerpflichtigen eine umfassende Auskunft. Ansonsten gibt es in unserem Rechtsstaat das grundlegende Prinzip, dass niemand sich selbst belasten muss. Daraus ergibt sich ein gewisser Konflikt, der übrigens auch die Debatte um die strafbefreiende Selbstanzeige unter Verfassungsgesichtspunkten ziemlich kompliziert macht. Wenn Sie dieses Problem nicht für Zwecke einer nachvollziehbaren, auch relativ einfachen Polemik nutzen, sondern an einer ernsthaften Sacherörterung interessiert sind, dann müssen Sie sich zunächst mit der folgenden Frage auseinandersetzen: Gesetzt den Fall, wir würden abschaffen, was vor etwa 100 Jahren in den Erzberger’schen Steuerreformen eingeführt worden ist, was wäre dann? Das ist ein bewährtes Rechtsinstitut – das ist ja nicht neu –, und es gab dafür gute Gründe. Ich könnte Ihnen zu Matthias Erzberger viel erzählen. Es hat lange gedauert, bis man seine Verdienste in Berlin einigermaßen gewürdigt hat. Wir haben einen Saal im Bundesfinanzministerium nach ihm benannt. Dies hat er wirklich verdient. – Seitdem gilt das Prinzip, dass man sich nicht selbst belasten muss, im Steuerrecht nicht; denn sonst kann man die steuerlichen Pflichten nicht erfüllen, und Vergehen werden auch nicht entdeckt.

Daraus ergibt sich das Problem: Wir verlangen vom Steuerpflichtigen, dass er seine Verhältnisse vollständig offenbart, damit wir ihn entsprechend den Steuergesetzen besteuern können. Er muss sich also, wenn Sie so wollen, selbst belasten. Im Strafrecht muss er das ausdrücklich nicht. Wenn wir Ihrer Forderung nachkämen, die strafbefreiende Selbstanzeige ersatzlos abzuschaffen, dann, so wette ich, hätten wir in der Mehrzahl der Steuerverfahren folgendes Problem: Die Verteidiger der Angeklagten würden geltend machen, dass das Belastungsmaterial durch Steuererklärungen des Beschuldigten, des Angeklagten erlangt wurde und deswegen strafprozessual nicht verwertbar ist. So würden dann weniger bestraft werden als bisher. Dieses Problem beschäftigt Sie bei Ihrer Polemik nicht. Dies ist ein sachliches Argument; Sie sollten es trotzdem ernst nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und Steuer-CDs? Was ist mit den Steuer- CDs?)

– Bei Steuer-CDs, Herr Kollege Ernst, sind Sie bei mir nicht an der richtigen Adresse.

Ich habe im Frühjahr 2010 – da war ich erst relativ kurze Zeit Finanzminister – nach einer sorgfältigen Abwägung – der erste Antrag kam vom Land Nordrhein- Westfalen – entschieden, dass wir einem solchen Ankauf von Steuer-CDs zustimmen und die Hälfte der Kosten übernehmen. Wir machen das regelmäßig in einem bewährten Verfahren. Es war eine schwierige Abwägung, weil natürlich diejenigen, die Steuer-CDs verkaufen, nicht zum erfreulichsten Teil der menschlichen Gesellschaft gehören. Sie handeln anonym und mit allen möglichen Tricks. Im Übrigen ist ihr Handeln nach der Rechtsordnung anderer Länder strafbar.

Wir haben unsere Vorstellungen von Datenschutz und Datenmissbrauch bzw. vom Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen, und wir müssen Respekt davor haben, dass auch andere derartige Vorstellungen haben. Trotzdem haben wir uns in der Abwägung dafür entschieden. Denn die Globalisierung schafft sehr viele neue Möglichkeiten der Steuerhinterziehung, und solange wir nicht den vollen Informationsaustausch zwischen den einzelnen Ländern haben, ist der Ankauf von Steuer- CDs, von solchen Datensammlungen in der Güterabwägung richtig.

Wir haben diese Entscheidung also getroffen. Wir haben jetzt gerade wieder so entschieden. Der Bund beteiligt sich immer mit 50 Prozent an den Ankaufkosten, obwohl er an dem Mehraufkommen bei der Einkommensteuer nur zu 42,5 Prozent partizipiert. Übrigens tragen nicht alle Länder die restlichen Kosten. Gucken Sie mal nach, ob das Land, in dem Ihre Partei an der Regierung beteiligt ist, sich an den Kosten des Ankaufs beteiligt. Ich bin nicht ganz sicher. Sie können das ja parteiintern klären, Herr Kollege Ernst.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Da gibt es nicht so viele Millionäre!)

– Ja, gut. Bei Ihnen darf man nicht so genau hinschauen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der entscheidende Punkt bei der strafbefreienden Selbstanzeige ist natürlich – das müssen wir bedenken; wir haben es mit dem hohen Gut der Steuergerechtigkeit zu tun –: Steuerhinterziehung ist strafbares Unrecht und muss bestraft werden. Nichts anderes gilt. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Über die Ausreden, die ich zum Teil höre, muss ich schon fast mit einer gewissen Milde sagen: Na ja, wenn man in einer blöden Lage ist, sagt man manchmal viele dumme Sachen. – Die meisten haben öffentlich Ausreden gebraucht, die ihre Lage nicht besser, sondern schlechter gemacht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch das ist wahr. Aber das will ich hier nicht kommentieren.

Wir müssen uns ernsthaft damit beschäftigen. Wir müssen immer wieder das Rechtsinstitut, das wir haben, prüfen. Aber wenn wir Steuergerechtigkeit verwirklichen wollen, müssen wir einen Anreiz geben für die Menschen, die Steuern hinterzogen haben und deren Tat nicht entdeckt ist und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit unentdeckt verjähren würde. Wenn es unentdeckt verjährt, würden sie nie zahlen; das wäre auch nicht Steuergerechtigkeit. Deswegen müssen wir ihnen ein Angebot machen, unter Zahlung einer Strafe nicht strafverfolgt zu werden. Sie müssen Strafe zahlen; das bleibt strafbares Unrecht. Es ist nach der Systematik der Gesetzesänderung, die wir 2011 gemacht haben, nur ein Strafverfolgungshinderungsgrund. Sie müssen mehr zahlen – als eine Art pauschalierte Strafe. Wir machen ihnen das Angebot, sich zu stellen, obwohl sie nicht entdeckt sind.

Wenn sie bereits entdeckt sind, können sie von der Vergünstigung der strafbefreienden Selbstanzeige keinen Gebrauch mehr machen. Die Frage ist: Was ist mit denen, die sich nicht stellen oder nicht kooperieren wollen? Ich habe gerade an einer Fernsehsendung teilgenommen, in der auch eine Staatsanwältin zugegen war, die gesagt hat: Wenn die nicht kooperieren, dann wird es schwer, sie zu kriegen. – Deswegen müssen wir schauen, wie wir sie dazu kriegen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Beugehaft!)

Aber das ist eine andere Debatte, die ich hier nicht führen will.

Und dann muss man immer wieder prüfen, ob angesichts der Entwicklung der Verhältnisse die Regelung noch dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung entspricht. Deswegen haben wir das Gesetz im Jahre 2011 verschärft. Es ist komplizierter geworden: Wer die strafbefreiende Wirkung will, muss jetzt vollständig alles aufdecken.

Nachdem im vergangenen Jahr einige Fälle von Steuerhinterziehung die Öffentlichkeit wieder sehr beschäftigt hatten, haben wir uns in der Finanzministerkonferenz der Bundesländer – Steuerverwaltung ist Ländersache – mit dieser Frage beschäftigt. Es ging unter anderem darum, wie viele Steuerfahnder die Länder beschäftigen. Der Einzige, der sich dazu vernünftigerweise nicht äußern sollte, ist der Bundesfinanzminister: weil ihm die Länder sonst unkollegiales Verhalten vorwerfen. Steuerverwaltung ist Ländersache; das ist so, Herr Kollege Ernst. Ich bin nicht der Aufseher der Bundesländer – das entspricht nicht unserem föderalen Verständnis –, vielmehr haben die Länder ihre eigene, ihnen vom Grundgesetz zugewiesene Verantwortung. Wir haben damals verabredet, dass die Fachleute – die Steuerabteilungsleiter – einen Bericht darüber erstellen sollen, welche zusätzlichen Maßnahmen man vernünftigerweise ergreifen kann, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der Bericht der Fachleute liegt vor, und die Staatssekretäre bzw. die Finanzminister werden sich demnächst damit beschäftigen. Ich gehe davon aus, dass wir einvernehmlich vorschlagen werden, den Strafzuschlag entsprechend zu verschärfen, und vielleicht, die Frist entsprechend zu verlängern: auf zehn Jahre.

Aber es ist eine gemeinsame Haltung der Finanzministerien von Bund und Ländern, dass man insgesamt an dem bewährten Rechtsinstitut der strafbefreienden Selbstanzeige – mit den Einschränkungen, die ich genannt habe – festhalten sollte. Sonst werden wir weniger Straftäter entdecken. Damit würden wir auch nicht der Gerechtigkeit helfen, allenfalls polemischen Bedürfnissen – aber das ist nicht unsere Verantwortung.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Lisa Paus das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3123195
Wahlperiode 18
Sitzung 13
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Steuerhinterziehung
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