Bernhard DaldrupSPD - Aktuelle Stunde zur Steuerhinterziehung
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Gleichviel ob man sich über die Anzahl von Selbstanzeigen und den Umfang von Steuerhinterziehungen empört oder ob man erschrocken ist, in jedem Fall ist schon einmal richtig, dass das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen in unserem Land zutiefst verletzt ist. Deshalb ist die Empörung, die wir in weiten Teilen der Bevölkerung über diesen Sachverhalt spüren, auch berechtigt.
(Beifall bei der SPD)
Richtig ist auch, dass vor allem die Angst vor Strafverfolgung die Selbstanzeigen ausgelöst hat. Es ist nicht Einsicht oder Reue als Motiv, sondern es ist in Wirklichkeit die Erwartung, qua strafbefreiender Selbstanzeige mit einem blauen Auge davonzukommen, auch wenn die vielen Einzelfälle deshalb nicht falsch sind, die Sie, Frau Tillmann, angesprochen haben. Deswegen ist es zunächst einmal gut, sich daran zu erinnern, dass seinerzeit der Weg eines quasi amnestierenden Steuerabkommens mit der Schweiz gescheitert ist.
Lassen Sie mich als Neuling jenseits der steuer- und auch strafrechtlichen Betrachtung eine Bemerkung machen. Es ist schon mein Eindruck, dass die Selbstanzeigen die politische Kultur, also das Verhältnis der Bevölkerung zum Rechtsstaat oder, wie Carlo Schmid das einmal genannt hat, das Verhältnis zur sittlichen Idee von Gerechtigkeit, auf das Schwerste belasten. Ich halte es in der Tat für ein Problem, das jenseits von Fragen zusätzlicher finanzieller Einkünfte besteht und das eine schwere Belastung der politischen Kultur darstellt. Dieses Problem darf und kann in unserem Land perspektivisch nicht bestehen bleiben.
(Beifall bei der SPD)
Die prominenten Fälle der jüngsten Vergangenheit stehen meines Erachtens pars pro toto für eine vermeintlich gesellschaftliche Elite, die das Vertrauen in und den Glauben an den Rechtsstaat bedroht. Aber es sind nicht nur wenige Promis; wir reden in Wirklichkeit über 46 000 Selbstanzeigen mit einem Volumen an zusätzlich nachgezahlten Steuern von round about 3 Milliarden Euro. Das sind also schon ganz erhebliche Summen. Deswegen ist es gut, dass die Länderfinanzminister – wenn ich es flapsig sagen darf – die Kavallerie haben ausreiten lassen.
Was sollen wir also tun angesichts eines unterfinanzierten Staates, der auf seine Einnahmen angewiesen ist, und der unzweifelhaften Notwendigkeit, dem Rechtsstaat Geltung zu verschaffen? Was ist eigentlich erforderlich? Empörung, Herr Ernst, ist ein guter Ansporn für politisches Handeln, aber kein hinreichender. Wir müssen konkret werden. Wenn vor der perspektivischen Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige Schritte zur deutlichen Verschärfung gegangen werden sollen, dann will ich einige Anforderungen nennen, fünf an der Zahl.
Erstens. Das Netz zur Vermeidung von Steuerhinterziehung muss engmaschig sein. Das heißt, Steuerprüfung und Steuerfahndung müssen wirksam werden. Ihre Ausdünnung ist jedenfalls kein Instrument regionaler Wirtschaftsförderung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Zweitens. Der automatische Informationsaustausch, auch mit Ländern wie der Schweiz, Luxemburg oder weiteren, muss schnellstens internationaler Standard werden.
Drittens. Das Angebot des Staates, durch die Nachzahlung der Steuern zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren, sollte endlich sein oder allenfalls auf Bagatellfälle begrenzt werden. Es gibt jedenfalls gute Gründe, die strafbefreiende Selbstanzeige perspektivisch abzuschaffen. Steuerhinterziehung war und ist kein Kavaliersdelikt, und das sollte auch so bleiben. Frau Paus, die Sozialdemokraten haben dazu keinerlei Belehrungen nötig.
(Beifall bei der SPD)
Viertens. Die strafbefreiende Selbstanzeige muss so präzise sein, dass Nachzahlungen und Zuschläge über der Höhe der Steuerhinterziehung liegen. Sie darf weder eine faktische Einladung zu Steuerhinterziehung noch ein Angebot zum Ablasshandel sein. Keine Regelung sollte den Steuerhinterzieher besser stellen als den ehrlichen Steuerzahler. Die Stichworte dazu, wie es zu einer solchen Verschärfung kommen kann, lauten beispielsweise „Entrichtung von Hinterziehungszinsen“, „Erhöhung des Zuschlages“, „Synchronisierung von Verjährungsfristen zwischen Steuerrecht und Steuerstrafrecht“. Das sind Punkte, die zuletzt beispielsweise von Norbert Walter-Borjans angesprochen worden sind. Ich glaube auch, dass die Schwelle für schwere Steuerhinterziehung von 50 000 Euro pro Tat relativ hoch angesetzt ist. 50 000 Euro sind, jedenfalls nach dem Verständnis des überwiegenden Teils der Gesellschaft, nicht gerade eine Bagatelle.
Vor der Abschaffung einer strafbefreienden Selbstanzeige hat sich die Koalition darauf verständigt, dieses Instrument zu verschärfen und möglichst viel Geld aus illegalen Steuerverstecken in die staatlichen Haushalte fließen zu lassen, was ansonsten eben gar nicht erzielbar wäre. Diesen Weg sollten wir weiter beschreiten. Wir werden sicher schon bald die Neuregelungen bekommen, die aus der entsprechenden Bund-Länder-Facharbeitsgruppe stammen. Darüber hinaus benötigen wir aber auch eine entsprechende internationale Synchronisierung des Steuerrechts, um berechtigte Ansprüche durchsetzen zu können. Es liegt also eine ganze Menge an praktischer Arbeit vor uns, die wir in der nächsten Zeit intensiv verrichten sollten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Kollege Daldrup, das war Ihre erste Rede im Hohen Hause. Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass Sie nicht nur Ihre erste Rede erfolgreich gehalten haben, sondern dass Ihnen auch etwas gelungen ist, was den wenigsten Rednerinnen und Rednern bei der ersten, bei der zweiten, manchmal auch bei der hundertsten gelingt: Sie sind in der Redezeit geblieben.
(Beifall)
Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für Ihr weiteres Wirken!
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. h. c. Hans Michelbach das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3123231 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 13 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Steuerhinterziehung |