Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Jahreswirtschaftsbericht
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ach, Herr Gabriel, es ist ja schön, wenn die wirtschaftliche Lage bei uns gut ist. Es ist schön, wenn die Löhne steigen. Es ist schön, wenn es den Menschen einigermaßen gut geht. Aber erstens trifft das nicht auf alle Menschen in unserem Lande zu, und zweitens ist von einem Bundeswirtschaftsminister schon etwas mehr zu erwarten, wenn er über die wirtschaftspolitischen Perspektiven spricht, als eine Beschreibung der derzeitigen Lage. Da hätte man auch jemanden vom Statistischen Bundesamt einladen können; der hätte das hier mindestens so inspiriert vorgetragen wie Sie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wenn Sie sagen, dass eine offene Gesellschaft, dass Zuwanderung Voraussetzungen für ökonomischen Erfolg sind, dann geben wir Ihnen recht. Aber haben Sie eigentlich bemerkt, dass Sie in einer Koalition mit CDU und CSU sind? Haben Sie eigentlich einmal mit Ihrem Koalitionspartner darüber gesprochen,
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Allerdings!)
der ja nicht nur Unsinn erzählt, sondern die Stimmung im ganzen Land vergiftet? Sorgen Sie doch einmal dafür, dass das abgestellt wird! Das ist nicht nur eine ökonomische Frage, sondern auch eine des Anstandes.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ihr seid doch die Brunnenvergifter!)
Herrn Fuchs möchte ich Folgendes sagen: Wenn man schon die Linkspartei angreift, dann bitte nicht mit völligem fachlichen Unsinn.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ist das eine neue Koalition hier, oder was?)
Denn wenn Sie behaupten, Zeitarbeit sei eines der großen Sprungbretter auf dem Weg zu einer dauerhaften Beschäftigung, und die Statistiken sagen, dass es im besten Falle 7 Prozent schaffen,
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: 14 Prozent!)
dann können Sie das nicht als Beispiel anführen. Lesen Sie doch einfach einmal Ihre eigenen Statistiken; dann werden Sie feststellen, wie es wirklich aussieht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Zu Ihrer Energiewende. Sie haben gesagt, Sie wollen die Energiewende. Erstens glaube ich Ihnen das nicht; denn das ist mir völlig neu. Dass Sie eine Energiewende von der Atomkraft hin zur Braunkohle wollen, könnte man Ihnen vielleicht noch glauben.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist unter Niveau!)
Aber wenn Sie wirklich eine Energiewende wollen, die dazu beiträgt, dass die Strompreise stabil bleiben, dann müssen Sie sich doch um die kostengünstigsten Bereiche der Stromproduktion kümmern.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Photovoltaik!)
Und was ist inzwischen die kostengünstigste Form der Stromproduktion? Wir reden hier überhaupt nicht über die ökologischen Kosten, die zum Beispiel Braunkohle verursacht. Wir reden auch überhaupt nicht über das Risiko, das Atomkraft verursacht, sondern wir betrachten das rein betriebswirtschaftlich.
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das größte Risiko steht da vorne am Rednerpult, wenn ich das so höre!)
Die kostengünstigste Form der Stromproduktion ist eine Windkraftanlage an Land. Aber ausgerechnet diese Produktion wollen Sie deckeln. Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Selbst wenn Ihnen die Umwelt und die Lebensgrundlagen vollkommen egal sind: Es macht auch ökonomisch keinen Sinn, ausgerechnet die kostengünstigste Form der Stromproduktion zu deckeln, wenn man die Strompreise in den Griff kriegen will.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Und was machen wir, wenn der Wind nicht weht?)
Aber schauen wir uns einmal an, was in Ihrem schönen Bericht steht und was die Bundesregierung in wirtschaftlicher Hinsicht eigentlich vorhat; davon ist bis jetzt kaum gesprochen worden. Beim Lesen und Hören musste ich manchmal an die eine oder andere Wahlkampfrede von Ihrem Kollegen Steinbrück denken. Er hat Frau Merkel immer vorgeworfen, dass sie schöne Pappschachteln ins Fenster stellt, in denen nichts drin ist. Solche Pappschachteln werden nicht schöner, bloß weil man sie rot anmalt, Herr Gabriel.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Schauen wir uns einmal einige dieser Pappschachteln an, zunächst die Investitionsoffensive. Im Rahmen dieser Investitionsoffensive wollen Sie 1,2 Milliarden Euro mehr für den Erhalt und Neubau im Bereich Straße ausgeben. Das klingt erst einmal gut; das ist scheinbar eine hohe Summe. Das Problem ist bloß: Die gemeinsame Expertenkommission der 16 Länder hat festgestellt, dass 7,2 Milliarden Euro notwendig sind, und zwar allein für den Erhalt. Sie geben nur einen Bruchteil mehr für Erhalt und Neubau aus. Ist Ihnen eigentlich nicht klar, dass zwischen 1,2 Milliarden und 7,2 Milliarden Euro durchaus ein relevanter Unterschied besteht? Oder gehen Sie so nachlässig mit Zahlen um, wie das der ADAC tut?
Schauen wir uns den Bericht der OECD an. Laut OECD ist Deutschland Schlusslicht bei den Investitionen. Der Durchschnitt der großen Industrieländer liegt bei 20 Prozent des BIP. Wir liegen bei 17 Prozent.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Gucken Sie sich den Ifo-Index an! Das stimmt nicht!)
Mit Ihrer Investitionsoffensive erreichen Sie 17,1 Prozent, das heißt, Sie steigern die Quote um 0,1 Prozent. Das nennen Sie Investitionsoffensive? Das ist doch lachhaft. Das ist doch nicht ernst zu nehmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Private und öffentliche!)
Sorgen Sie dafür, dass die Infrastruktur verbessert wird, dass Straßen und Brücken saniert werden, anstatt wie Don Quichotte gegen Windräder zu kämpfen! Bei diesem Vergleich stellt sich natürlich die Frage, wer eigentlich Sancho Pansa ist. Beim Kampf gegen Windräder könnte es Horst Seehofer sein; aber das passt doch nicht so ganz. Stoppen Sie also den Verfall!
Herr Finanzminister, es ist ja schön, dass der nominale Schuldenstand sinkt. Aber was haben wir von einem nominal sinkenden Schuldenstand, wenn de facto die implizite Staatsverschuldung weiter steigt, weil Sie die vorhandene Infrastruktur vergammeln lassen? Davon haben wir nichts, sondern am Ende wird alles nur noch teurer und die Lasten werden in die Zukunft verschoben. Das ist in der Form einfach Unsinn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Gleiche gilt für den Breitbandausbau. Ursprünglich war dafür noch 1 Milliarde Euro vorgesehen. Irgendwie ist die den Koalitionsverhandlungen zum Opfer gefallen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt!)
Woher wollen Sie denn das Geld dafür nehmen? Geld dafür könnte man schon finden. Sie müssten auch gar nicht die Steuern erhöhen. Es wäre schon schön, wenn Sie sich an den Subventionsabbau herantrauen würden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Laut Ihrem eigenen Bericht belaufen sich die jährlichen Subventionen auf 21 Milliarden Euro. Bauen Sie doch wenigstens einen Teil davon ab, dann hätten Sie Geld für Investitionen. Aber nein, Sie haben ja jetzt einen Minister für Ausländermaut auf der Straße und für Daten. Vielleicht führen Sie ja noch eine Ausländermaut für Datenverkehr ein. Geld kommt damit jedoch auch nicht herein.
Herr Gabriel, Sie selbst haben ja, auch wenn Sie sonst nicht viel von Wirtschaftspolitik, sondern vor allem von Statistik gesprochen haben, in Ihrer Rede erwähnt, dass eine Bankenunion notwendig ist, um die Probleme in den Griff zu bekommen. Ja, eine Bankenunion ist notwendig. Darin sind sich die SPD-Fraktion und unsere Fraktion auf europäischer Ebene einig. Aber die Bundesregierung blockiert eine effiziente Bankenunion.
(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Na, na, na!)
Da stellt sich schon die Frage: Wer bestimmt denn jetzt: die europäische Sozialdemokratie oder die Bundesregierung?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Unterlassen Sie das! Beenden Sie die Blockadehaltung Deutschlands in der Frage der Bankenunion! Sorgen Sie dafür, dass wir schnell Banken abwickeln können; denn sie sind eine relevante Gefahr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Gabriel, wenn ich mir Ihre Rede insgesamt anschaue, dann kann ich nur feststellen – der Koalitionsvertrag hieß ja „Deutschlands Zukunft gestalten“ –: Es war leider wieder bloß Statistik und „Deutschlands Zukunft verwalten“. Das ist zu wenig. Sorgen Sie für eine andere Politik, damit „Wohlstand für Alle“ gilt. Mit dieser Politik, mit dem Verlesen von Statistiken oder ein paar harmlosen Verwaltungsakten werden Sie dieses Ziel mit Sicherheit nicht erreichen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3124088 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 14 |
Tagesordnungspunkt | Jahreswirtschaftsbericht |