Elisabeth MotschmannCDU/CSU - Bundeswehreinsatz ISAF
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Diesen Vorwurf erhob Margot Käßmann in ihrer denkwürdigen Predigt zum Neujahrstag 2010. Es ist schon gediegen abwegig, dass man sich dahin gehend täuschen kann, dass Soldaten Waffen benutzen.
Nichts ist gut in Afghanistan, beklagte übrigens auch ihr Nachfolger im Amt, Nikolaus Schneider, vor drei Wochen bei der Vorstellung einer Stellungnahme der EKD zum Einsatz in Afghanistan. Er betonte, dass er Käßmanns Aussage für im Wesentlichen zutreffend halte. Ich teile diese Position nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD])
Herr Trittin, ich teile auch nicht Ihre Position, dass diese Stellungnahme hilfreich sei. Wer hoffte, in dieser Stellungnahme der EKD eine klare ethische Orientierung zu finden, wurde enttäuscht. Das Papier beinhaltet die Ablehnung des Militäreinsatzes, gleichzeitig aber auch seine Begründung unter bestimmten Bedingungen. Das ist zu unklar.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ein Widerspruch!)
Mit einer Doppelstrategie können wir den Einsatz unserer Soldaten nicht begründen.
(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Wenn wir erneut den Beschluss fassen, den Einsatz unserer Soldaten in Afghanistan zu verlängern, müssen wir hinter diesem Auftrag stehen, und zwar geschlossen, und daran mangelt es so oft. Schließlich sind unsere Soldatinnen und Soldaten bereit, mit ihrem Leben für den Schutz anderer einzustehen. Deshalb haben sie unseren Dank verdient.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir sind seit nunmehr über einem Jahrzehnt an der Mission beteiligt, in der es letztlich darum geht, die universell gültigen Menschenrechte durchzusetzen und zu verteidigen. Wer davon ausging, dass beides konfliktfrei oder auch zügig zu haben sei, war naiv. Afghanistan ist seit langem Schauplatz bewaffneter Konflikte. Die Taliban, die Mitte der 90er-Jahre die Macht an sich rissen, führten das Land und seine Menschen in eine internationale Isolation. Wer nicht vergessen hat, was damals los war, wer die katastrophalen Verhältnisse, die katastrophalen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere die schlimme Situation der Mädchen und Frauen in Afghanistan nicht vergessen hat, der kann nicht so wie Sie, Herr Gysi, über die Ergebnisse des ISAF-Einsatzes reden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Das war schlimm.
Weil wir immer geneigt sind, über das Nichterreichte zu reden, will ich in vier Punkten kurz sagen, was erreicht wurde:
Erstens. Die Sicherheitslage hat sich verbessert; Herr Steinmeier hat es gesagt. Es werden keine Terroristen mehr in Afghanistan ausgebildet, und das ist ein Erfolg. Die Verkehrswege können von den afghanischen Kräften selbst gesichert werden. Gleiches gilt für die Ballungsgebiete. Allerdings gibt es natürlich auch hier noch erhebliche Defizite.
Zweitens. Den Afghanen geht es deutlich besser, Herr Gysi. Mehr Menschen als jemals zuvor haben heute Zugang zu Wasser und Strom. Das ist existenziell wichtig. Angesichts dessen können Sie doch nicht so tun, als sei es für die Menschen in dem Land nicht besser geworden. Im Übrigen enthält die neue afghanische Verfassung einen umfassenden Grundrechtskatalog, und sie sieht eine unabhängige Menschenrechtskommission vor. Darüber hinaus haben die Afghanen die meisten völkerrechtlichen Verträge ratifiziert. Daran kann man jetzt anknüpfen. Darauf kann man aufbauen, auch wenn es an der Umsetzung natürlich noch mangelt.
Drittens – das ist mir besonders wichtig – gibt es wirklich Fortschritte für Frauen und Mädchen in diesem Land: Die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen. Die Säuglings- und Müttersterblichkeit konnte signifikant reduziert werden. Der Anteil der Mütter, die bei der Geburt medizinische Hilfe erhalten, hat sich von 2003 bis 2011 versechsfacht. Die meisten afghanischen Kinder konnten mittlerweile gegen die gefährlichsten Krankheitserreger geimpft werden. Gut 9 Millionen Kinder – das ist hier wiederholt gesagt worden – gehen mittlerweile zur Schule. Davon sind fast 40 Prozent Mädchen. Zum Vergleich: Unter den Taliban besuchten weniger als eine halbe Million Kinder die Schule. Mädchen konnten, wenn überhaupt, nur im Verborgenen lernen. Heute studieren Frauen in Afghanistan. Sie stellen sich zur Wahl. Das ist doch ein Erfolg, und das dürfen wir nicht kleinreden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Rechtslage der Frauen hat sich seit dem Ende des Talibanregimes deutlich gebessert, wenngleich wir natürlich wissen – ich bin nicht naiv –, dass die gewaltsame Bedrohung von Frauen noch ein ganz ernstes Problem ist.
Viertens. Deutliche Fortschritte – auch das ist schon erwähnt worden – gibt es auch beim Wiederaufbau und bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Die staatlichen Einnahmen haben sich seit 2002 mehr als verzehnfacht, und das jährliche Pro-Kopf-Einkommen erhöht sich Jahr für Jahr beträchtlich.
Man kann also durchaus den Blick auf die Dinge richten, die viel besser geworden sind. Aus all diesen Gründen können wir mit gutem Gewissen der Fortsetzung des Mandats bis Ende des Jahres zustimmen. Allerdings braucht Afghanistan – das ist ebenfalls gesagt worden – auch in Zukunft unsere Unterstützung. Wenn unsere Soldaten Ende des Jahres das Land verlassen, dürfen sich die Menschen in Afghanistan bitte nicht verlassen fühlen. Hilfe und Unterstützung – dann in anderer Form – zu geben, bleibt unsere Aufgabe. Daher ist die Perspektive einer friedenssichernden Anschlussmission an das ISAF-Mandat ab 2015 – dies wurde schon angesprochen – besonders wichtig; sie muss allerdings natürlich auch auf Voraussetzungen basieren, die noch geschaffen werden müssen.
Fazit. Die Lebenssituation in Afghanistan war vor dem ISAF-Einsatz hoffnungslos. Heute haben viele Menschen zumindest wieder eine Perspektive. Ich sage ganz deutlich – auch Ihnen, Herr Gysi –: Jedes Kind, das heute zur Schule geht, bedeutet Zukunft und Fortschritt. Jedes Mädchen, jede Frau, die von den Bildungsangeboten profitiert, bedeutet Zukunft. Sie haben das alles negiert und niedergemacht. Das kann nicht sein. Jeder wirtschaftliche und gesundheitspolitische Fortschritt bedeutet Zukunft, jeder noch so kleine Meilenstein zur Verwirklichung der Menschenrechte bedeutet Zukunft – Zukunft für Afghanistan.
Deshalb danke ich abschließend allen, den Soldaten, den Polizistinnen und Polizisten sowie den vielen Einsatzhelfern in den Hilfsorganisationen, für ihr Engagement, für ihre Hilfe für die Menschen in Afghanistan. Das muss uns immer am meisten interessieren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Frau Kollegin Motschmann, auch Ihnen darf ich ganz herzlich im Namen des Hauses gratulieren. Denn es war auch Ihre erste Rede.
(Beifall)
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3125979 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 14 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz ISAF |