Christoph SträsserSPD - Bundeswehreinsatz EUTM Mali
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Diskussion hat viele Ebenen. Wir reden ja nicht nur über Mali; wir reden auch über Verantwortung, wir reden über unser Verhältnis zu Afrika – in Klammern: Afrika hat über 50 Staaten mit ganz unterschiedlichen Gesellschaften, mit ganz unterschiedlichen Strukturen, mit ganz unterschiedlichen Problemen, Risiken und Chancen.
Wir reden aber eben auch über Verantwortung. Das, finde ich, macht diese Diskussion so spannend. Ich persönlich und viele, die sich an dieser Diskussion beteiligen, definieren Verantwortung etwas anders als Sie, die Sie wirklich mit einem Beißreflex in diese Diskussion hineingehen. Für mich heißt Verantwortung, hinzuschauen, zu sehen: Wo sind die Probleme? Wo können wir helfen? Wir können eben nicht nur und auch nicht in erster Linie mit Militär helfen, sondern nur dann, wenn gar nichts anderes mehr geht. Verantwortung zu übernehmen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt für mich in allererster Linie, präventiv zu wirken, dafür zu sorgen, dass solche Katastrophensituationen, wie wir sie in vielen Bereichen dieses Kontinents haben, gar nicht erst entstehen. Es gibt eine Menge an Instrumenten, eine Menge an Methoden, eine Menge an Mitteln, um diesen Weg zu gehen. Dafür muss man sich aber zu dieser Verantwortung bekennen; und das sollten wir hier aus meiner Sicht auch tun.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich will nur ein Beispiel dafür nennen, wo wir mit unserer Verantwortung möglicherweise ganz intensiv gefordert sind. Ich sage jetzt nur wenige Sätze zur Zentralafrikanischen Republik.
Kollege Strässer, bevor Sie das tun, müssten Sie mir bitte die Frage beantworten, ob Sie der Kollegin Heike Hänsel eine Frage oder Bemerkung gestatten.
Sicher, selbstverständlich; dafür sind wir ja hier.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, dafür nicht!)
– Dafür nicht, okay. Aber trotzdem.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Strässer, wir hören jetzt ständig, eigentlich schon gebetsmühlenartig in den letzten Wochen, den Satz: Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen. – Ich möchte einmal fragen:
Erstens. Haben eigentlich die Bundesregierungen der letzten Jahre oder Jahrzehnte keine Verantwortung übernommen?
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen schon!)
Ist das die Schlussfolgerung? Ist es so, dass wir in Deutschland – die letzte Große Koalition, die rot-grüne Bundesregierung usw. – keine Verantwortung übernommen haben und jetzt Verantwortung übernehmen müssen? Was ist denn das für eine Bewertung Ihrer eigenen Politik der letzten Jahre? Erklären Sie mir diesen Satz doch einmal!
Zweitens. Frau von der Leyen selbst hat gesagt: Die Bundeswehr hat jetzt nach dem Abzug aus Afghanistan mehr Kapazitäten frei für Afrika. – Jetzt möchte ich nachfragen: Wieso unterstellen Sie uns, wir würden das militärisch interpretieren? Das sind doch die Worte von Frau von der Leyen. In der Stuttgarter Zeitung können Sie es nachlesen: „Bundeswehr hat noch Kapazitäten“. Könnten Sie das bitte einmal bewerten?
Sie reden hier inflationär und stichwortartig von Verantwortung. Wenn Sie einmal richtig lesen, dann sehen Sie, dass da steht: Wir übernehmen
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Hat sie selbst gesagt!)
– ich rede jetzt für mich und für uns – mehr Verantwortung. Dieses „mehr“ heißt nicht „mehr Soldaten“ und nicht „mehr Militär“, sondern: mehr hinschauen, mehr Probleme erkennen und damit umgehen. Wir reden hier doch gerade über ein Mandat, das hier mit breiter Mehrheit von Schwarz-Gelb, SPD und Grünen beschlossen worden ist, und damit über die Verantwortung, die wir 2013 in Mali mit übernommen haben.
Natürlich hat jede Bundesregierung ihre Verantwortung auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen. Aber der Anstoß, sich endlich einmal dazu zu bekennen, darüber zu reden und darüber nachzudenken: „Wie ist eigentlich Deutschlands Rolle in der Welt? Welche Rolle spielen wir eigentlich?“, ist jetzt von dieser Bundesregierung gekommen. Ich finde den richtig und wichtig. Es ist unsere Aufgabe, hier im deutschen Parlament mit der Regierung darüber zu reden, Wege zu finden und auch überzeugend gegenüber unserer Gesellschaft zu erklären, wo die Verantwortung für unser Land angesichts der Mittel, die wir haben, liegt. Darüber möchte ich in der Zukunft gern ganz sachlich und ganz fachlich reden.
Ich sage: Da steht nicht an erster Stelle das Militär. Aber ich sage auch: Wenn es eine Situation gibt wie in Mali, dann muss man sich im Endergebnis auch dazu bekennen, dass zu dieser Verantwortung im Zweifel gehört, die Rechte von Menschen, die durch Hunger, durch Tod oder durch andere Dinge bedroht sind, im Zweifel und im Ernstfall auch mit militärischen Mitteln zu schützen; anders werden wir unsere Verantwortung insgesamt nicht wahrnehmen können, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Ich wollte aus einem ganz bestimmten Grund auf die Zentralafrikanische Republik zu sprechen kommen. Da gibt es ja unterschiedliche Warnsignale, Warnhinweise zu dem, was auf uns zukommt. Damit beginnt natürlich auch wieder eine Diskussion über die Rolle Deutschlands und das Zur-Verfügung-Stellen von einem oder zwei Transportflugzeugen. Man muss sich einmal überlegen, was das an Verantwortung bedeutet.
Sie werden wahrscheinlich mitbekommen haben, dass Amnesty International gestern einen Bericht veröffentlicht hat; ich habe ihn einmal mitgebracht. Amnesty International ist ja bekanntlich keine Organisation, die dazu neigt, militärische Maßnahmen und Reaktionen zu rechtfertigen. In diesem Bericht – ein ähnlicher Bericht wurde im Übrigen bereits vorher von Human Rights Watch, einer anderen großen Menschenrechtsorganisation, veröffentlicht – wird nachdrücklich auf die Verantwortung hingewiesen. Das Statement an die internationale Staatengemeinschaft lautet: Wenn ihr vor Ort seid, auch mit den Mitteln im Rahmen einer internationalen Intervention, dann sorgt bitte dafür, dass der Schutz der Zivilisten gewährleistet wird. Amnesty International fordert die internationale Staatengemeinschaft auf, hier mehr zu tun und die Intervention, die im Moment dort läuft, wieder insbesondere von den „bösen Franzosen“ geleitet, so durchzuführen, dass sie den Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten kann. Ich finde, das sollten wir zur Kenntnis nehmen und uns der Verantwortung nicht entziehen, sondern Unterstützung leisten. In der Zentralafrikanischen Republik droht – das sagen viele Menschen – ein Genozid wie in Ruanda, und das kann die Weltgemeinschaft nicht hinnehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube, dass man an dieser Stelle wirklich in der Sache streiten muss; das ist doch überhaupt keine Frage. Ich respektiere jeden, der vor einem pazifistischen Hintergrund den Einsatz von Militär ablehnt. Aber man muss dann auch Konsequenzen ziehen und zugeben, dass man an bestimmten Entwicklungen mitschuldig wird. Rainer Arnold hat an dieser Stelle Erhard Eppler zitiert. Die Auseinandersetzung über diese Verantwortung und die Wahrnehmung der Verantwortung, auch zum Schutz der Menschenrechte – das sage ich ganz deutlich –, zu führen, das ist aller Ehren wert und stünde diesem Hohen Hause wirklich gut zu Gesicht.
Sie haben die Umfragen angesprochen und darauf hingewiesen, dass 75 Prozent der Deutschen gegen militärische Interventionen seien. Aber Sie haben nicht gesagt, dass mehr als 60 Prozent der deutschen Bevölkerung gesagt haben: Die These von mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt ist richtig; das unterstützen wir.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Ja, aber humanitäre Einsätze! Das ist auch gut so!)
Das zeigt, dass es einen gesellschaftlichen Diskurs zu diesem Thema gibt. Diesen gesellschaftlichen Diskurs sollten wir wirklich allen Ernstes und ohne Schaum vor dem Mund führen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3126227 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 14 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz EUTM Mali |