Annette Widmann-MauzCDU/CSU - Rezeptfreie Pille danach
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute verschiedene Anträge der Oppositionsfraktionen mit dem Ziel, den Arzneimittelwirkstoff Levonorgestrel, eine Variante der Pille danach, aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Anders als immer wieder behauptet wird, ist bei Frauen und Mädchen das Informationsbedürfnis bei diesem Thema groß. Das merkt jeder, der einmal in die entsprechenden Foren im Internet geschaut hat. Die Einträge zeigen aber auch ganz deutlich, dass es in diesen Fällen – sie reichen von der klassischen Verhütungspanne über ungeschützten Sex bis hin zu Vergewaltigungen – nicht nur ein großes Informations-, sondern auch ein Beratungsbedürfnis bei den Betroffenen gibt. Die Frage, ob es dann überhaupt noch eine Notfallverhütungsmethode gibt und, wenn ja, wie und bis wann sie wirkt, welche Nebenwirkungen auftreten können und welche Kosten entstehen, ist das eine.
Es geht aber um noch mehr: Es geht um die sehr individuelle und unterschiedliche Betroffenheit von Frauen und Mädchen in solchen Situationen. Wer die Pille danach braucht, hat ganz konkret Angst – Angst vor einer möglichen Schwangerschaft – und braucht zeitnah und niederschwellig kompetente medizinische Hilfe. Das ist mehr als die bloße Abgabe eines Medikaments, und es erfordert auch mehr, als in der Regel am Nachtschalter einer Apotheke oder gar von einer Versandapotheke, ganz zu schweigen von einer Pick-up-Stelle, geleistet werden kann.
(Beifall bei der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die wollen Sie doch, die Versandapotheke!)
Das sind Information, Aufklärung, Beratung und gegebenenfalls eine eingehende Untersuchung und psychosoziale Begleitung. Gerade in solchen Notsituationen hat sich ein vertrauensvolles und geschütztes Arzt-Patienten-Verhältnis in unserem Land bewährt. Hier kann das geeignete Mittel zur Notfallkontrazeption ausgewählt und über individuelle Risiken und Nebenwirkungen gesprochen und können im Übrigen auch weitere Risiken wie zum Beispiel sexuell übertragbare Krankheiten abgeklärt werden. All das steht auf dem Spiel, wenn es zu einer Entlassung aus der Verschreibungspflicht kommt.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der demonstrative Anstieg von Geschlechtskrankheiten in anderen Ländern?)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das können wir doch nicht wollen. Uns geht es gerade nicht, wie häufig unterstellt wird, darum, einer Frau die Pille danach vorzuenthalten oder gar eine moralische Bewertung von Sexualverhalten vorzunehmen. Nein, im Mittelpunkt unserer Entscheidung muss die Gesundheit der Frauen stehen, die medizinischen Aspekte und ihre sexuelle Selbstbestimmung.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Beides gehört zusammen. Deshalb müssen wir sehr sorgfältig abwägen. Dabei spielen mehrere Gesichtspunkte eine Rolle: zum einen die schnelle Verfügbarkeit – es wurde bereits angesprochen –, zum anderen die Wirksamkeit und ebenso die gesundheitlichen Risiken, die mit hochdosierten Hormonpräparaten verbunden sind.
Sie wissen es alle: Es gibt die Pille danach mit zwei verschiedenen Wirkstoffen. Je nach Zeitpunkt der Einnahme und Verlauf des Zyklus einer Frau, je nach Körpergewicht können entweder beide Wirkstoffe oder nur einer oder beide nicht mehr geeignet sein.
Frau Staatssekretärin, es gibt den Wunsch einer Zwischenfrage der Kollegin Vogler von der Linken. Mögen Sie diese zulassen?
Ja, lasse ich gern zu.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, liebe Kollegin Widmann-Mauz, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Ich muss auf zwei Aspekte eingehen.
Zum einen tun Sie hier so, als würden wir mit unserem Antrag das Ansinnen verfolgen, Frauen, die eine psychosoziale oder gesundheitliche Beratung brauchen, davon abzuhalten, eine Frauenärztin oder einen Frauenarzt aufzusuchen. Ich möchte Sie bitten, unseren Antrag noch einmal zu lesen. Das ist nicht der Fall. Wir wollen lediglich Frauen die Möglichkeit geben, selber zu entscheiden, ob sie in einer solchen Situation, in der vielleicht ein Kondom geplatzt oder etwas anderes passiert ist, einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen wollen oder ob sie das nicht für notwendig halten. Denn auch das gehört zur Selbstbestimmung dazu: dass ich selber entscheide, wann und von wem ich mich beraten oder gegebenenfalls körperlich untersuchen lasse.
Zum anderen möchte ich Sie fragen, ob Sie mir erklären können, wofür wir eigentlich eine Bundesbehörde wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte haben, das extra einen Sachverständigenausschuss eingerichtet hat, der kompetent und unabhängig von Einzelinteressen analysieren und beurteilen soll, ob ein Medikament verschreibungspflichtig sein soll oder nicht, wenn die Bundesregierung die Entscheidung dieses Ausschusses offensichtlich überhaupt nicht interessiert.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist ja schon eine Rede! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine Frage? – Gegenrufe von der LINKEN: Das ist eine Bemerkung!)
Wir beraten das Thema ja schon länger. Wir haben in der letzten Wahlperiode auch eine Anhörung durchgeführt. Jetzt haben Sie mir auf eine schriftliche Anfrage geantwortet, dass die Bundesregierung die Verschreibungspflicht unter Einbeziehung aller Aspekte und in einem angemessenen Zeitrahmen prüfen möchte.
Nun frage ich Sie: Meinen Sie nicht, dass die Diskussionen der Vergangenheit und die Entscheidung des Bundesrates und die Entscheidung des BfArM-Sachverständigenausschusses dazu drängen, dass eine Entscheidung in dieser Sache einigermaßen „zügig“ – ich zitiere den Bundesgesundheitsminister – erfolgen sollte?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Liebe Frau Kollegin Vogler, zu Ihrer ersten Frage: Ich unterstelle niemandem etwas. Umgekehrt lässt sich auch die Bundesregierung nicht unterstellen, sie wolle die Pille danach Frauen vorenthalten, nur weil sie Wert auf die ärztliche Beratung legt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich glaube, diese Klarstellung sollte bei dieser Gelegenheit vorgenommen werden. Im Gegenteil: Wir nehmen die Argumente, die Sie und andere Experten vorgebracht haben, sehr ernst. Deshalb versuche ich, in dieser Debatte den Abwägungsprozess darzustellen.
Ich werde im Laufe meiner Rede auf die zweite Frage, die Sie gestellt haben, eingehen. Wenn Sie mir gestatten, würde ich jetzt die Argumentation schlüssig und nachvollziehbar fortsetzen. Es ist wichtig, dass wir die verschiedenen Aspekte abwägen. Hierzu gehören die Aspekte der Schnelligkeit – ich habe es angesprochen – und der Wirksamkeit und die Frage, wie wir damit umgehen.
Ich hatte gerade begonnen, auszuführen, dass wir hier zwei Wirkstoffe haben. Wenn ein Wirkstoff aus der Verschreibungspflicht entlassen würde, wären in der Konsequenz die Frauen, die nicht zum Arzt gehen – aus welchem Grund auch immer; das ist ihnen unbenommen –, auf ein Medikament festgelegt, und zwar unabhängig davon, ob es in der konkreten Situation für die Frau das medizinisch richtige und geeignetste Präparat ist. Auch das muss der Bundesgesundheitsminister abwägen.
Wir wollen, dass der Anspruch, den wir an unser Gesundheitswesen stellen – die beste Versorgung der Patienten in unserem Land –, auch realisiert wird. Mit dieser Meinung stehen wir im Übrigen nicht alleine. Auch die deutsche Ärzteschaft mit ihrem Bundesärztekammerpräsidenten, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der Verband der Frauenärzte und die gynäkologischen Fachgesellschaften sehen das so. Das haben sie in einer Anhörung vor dem Deutschen Bundestag in der letzten Legislaturperiode dargelegt. Auch der Sachverständigenausschuss beim BfArM und die WHO haben gewichtige Argumente. Diese nehmen wir ernst und wägen wir ab. Ich muss an dieser Stelle schon deutlich machen, dass die WHO sicherlich andere Länder vor Augen hatte, als sie ihren Beschluss gefasst hat;
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
denn nicht in allen Ländern – auch nicht in Europa – haben die Menschen einen so niedrigschwelligen, flächendeckenden und umfassenden Zugang zu medizinischer Versorgung wie in Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Bei uns ist die Situation nun einmal anders.
(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Aber leider nicht überall!)
Die Zahlen sprechen für sich. Die Pille danach wurde allein im letzten Jahr weit über 400 000-mal verschrieben. Ganz offenkundig kommt unser System also gut mit der Herausforderung klar, Patientin und Arzt schnell zusammenzubringen. Das müssen wir doch auch berücksichtigen.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, argumentieren, der Sachverständigenausschuss sehe keine Gründe, die gegen eine Freigabe sprächen. Wenn ich den Beschluss richtig gelesen habe, dann hält der Sachverständigenausschuss eine umfassende Beratung vor der Abgabe der Pille danach für erforderlich. Länder wie Großbritannien oder die Schweiz, die die Pille danach aus der Verschreibungspflicht entlassen haben, fordern deshalb in den Apotheken umfangreich dokumentierte Auskünfte der Frauen. Mir liegt hier ein Protokollformular aus der Schweiz vor. Ich zitiere aus dem Fragenkatalog. Da heißt es: Hatten Sie seit der letzten Periode noch ein anderes Mal ungeschützten Geschlechtsverkehr? Oder: Wie schützen Sie sich normalerweise vor einer Schwangerschaft?
(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Wen geht denn das was an?)
Gar nicht, Kondom, Pille, Spirale, natürliche Methode usw.? – Ich sage Ihnen: Glauben Sie mir, diese Fragen bespricht eine Frau lieber vertraulich mit einem Arzt in der Praxis oder einem Krankenhaus als im Verkaufsraum einer Apotheke.
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Im Übrigen ist die Empfehlung des Sachverständigenausschusses nicht neu. Eine entsprechende Äußerung gab es schon im Jahr 2003; das haben Sie richtig dargestellt. Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und beide Nachfolger in ihrem Amt sind diesem Votum damals nicht mit einer entsprechenden Rechtsverordnung nachgekommen.
(Mechthild Rawert [SPD]: Da gab es den Bundesratsbeschluss auch noch nicht! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Deswegen warten wir noch vier Jahre länger, oder was?)
Im Übrigen gibt es keine politischen Zwangsläufigkeiten, diese Empfehlungen umzusetzen. Das muss immer von den politisch Verantwortlichen abgewogen werden. Sie beziehen sich ja auf die Mehrheiten im Bundesrat. Es ist nur erstaunlich, dass der Bundesrat in derselben Sitzung den Bundesgesundheitsminister aufgefordert hat, die Rezeptpflicht für Migränepräparate der Gruppe der sogenannten Triptane beizubehalten, und zwar entgegen dem Votum des Sachverständigenausschusses.
(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])
Man kann sich nicht die Dinge heraussuchen, die einem passen. In der Politik muss man Verantwortung übernehmen und abwägen.
(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das müssen wir tun, für Frauen und ihre Selbstbestimmung in der Gesellschaft!)
Es gibt Argumente dafür und dagegen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen; aber es gibt keine Zwangsläufigkeit. Wir wägen die Argumente im Interesse der Frauen ab.
(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir ganz anders!)
Ich fasse zusammen: In der Bundesregierung will niemand einer Frau die Pille danach vorenthalten. Wir wollen im Interesse der Gesundheit der Frauen aber auch nicht auf die ärztliche Beratung verzichten. Das stärkt Frauen in ihrer Selbstbestimmung und gibt ihnen Sicherheit.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Was haben Sie für ein Frauenbild?)
Als Nächste hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Bitte schön.
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Erklär das noch mal! Vielleicht hilft’s ja!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3126401 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 14 |
Tagesordnungspunkt | Rezeptfreie Pille danach |