Karl LauterbachSPD - Rezeptfreie Pille danach
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde schon über die Sicherheit der Pille danach mit dem Wirkstoff Levonorgestrel gesprochen. Das Produkt ist seit 1966 auf dem Markt. Seit mehr als 20 Jahren wird es als Pille danach eingesetzt. Im Jahr 2013 wurde es 460 000 Mal verschrieben. In 79 Ländern ist es rezeptfrei erhältlich. Die Weltgesundheitsorganisation – bei allem Respekt vor dem medizinischen Sachverstand des Ministers oder der Staatssekretärin –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
zieht in ihrer Bewertung der Pille danach das Fazit:
Was will man mehr? Im Wesentlichen ist er einer der sichersten Wirkstoffe, die auf dem Markt sind.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mittlerweile gibt es zu diesem Wirkstoff kaum mehr Studien. In der letzten großen Auswertung der neueren Studien mit der Beteiligung von insgesamt 10 500 Frauen, die das Produkt eingenommen hatten, wurde darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit zwischen 52 und 94 Prozent liegt – das ist keine so gute Wirksamkeit –, aber dass der entscheidende Faktor, der die Wirksamkeit bestimmt, die Zeit ist.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)
Das Wichtigste im Zusammenhang mit dem Wirkstoff ist: Wie früh wird er eingenommen?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Der jetzt vorgetragene Vorschlag trägt allerdings nicht zur Lösung bei.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Hauptproblem ist, dass das Produkt zu spät eingenommen wird, und dazu leistet Ihr willkürlicher Vorschlag einen Beitrag. Das ist nicht schön.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Kollegen von der Union – davor habe ich großen Respekt – weisen auf die in der Regel qualitativ hochwertige Beratung durch den Apotheker hin.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das wäre die Gelegenheit, die Apotheker zu verteidigen; denn über diesen Wirkstoff können sie ohne Wenn und Aber beraten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Es wird aber nicht verboten, die Frauenärztin zu konsultieren. Der Frau, die dem Apotheker die Beratung nicht zutraut, die glaubt, dass der Apotheker das nicht schafft, wird es doch nicht verboten, zur Frauenärztin zu gehen und sich weitergehend beraten zu lassen. Es geht doch nicht um das Verbot der Beratung durch den Arzt, sondern um eine Ergänzung in Form einer Beratung durch den Apotheker.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hier sollen die Rechte der Frauen gestärkt werden und nicht die Rechte der Gynäkologen eingeschränkt werden, was Sie natürlich berechtigterweise befürchten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das gilt für alle Medikamente!)
Ich komme zum Fazit: Es scheint hier so zu sein, dass Frauen in einer Notlage – das ist sicherlich immer eine Notlage –
(Mechthild Rawert [SPD]: Mit Sicherheit!)
das Recht auf Hilfe ohne gute Begründung, also willkürlich, vorenthalten werden soll. Das ist nicht zeitgemäß.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Dr. Lauterbach, Frau Kollegin Vogler fragt nach einer Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung. Lassen Sie sie zu?
Ja, okay.
(Zuruf von der LINKEN: Ein bisschen freudiger! – Gegenruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD]: Liebend gern, meint er!)
Vielen Dank, Herr Kollege Lauterbach, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich richte meine Frage an Sie, weil ich annehme, dass Sie den nötigen medizinischen Sachverstand mitbringen, um die Frage beantworten zu können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tino Sorge [CDU/CSU]: Ist das so?)
In einer Ausgabe des a rznei-telegramms – das ist Ihnen sicherlich bekannt – aus dem vergangenen Jahr wird unter Bezugnahme auf eine Studie über die Präparate, die im Fall einer Verhütungspanne als Notfallverhütungsmittel verordnet werden können, gesagt, welches Präparat verordnet werden sollte. Kolleginnen und Kollegen von der Union laufen derzeit überall herum und sagen: Wenn man Levonorgestrel in der Apotheke frei kaufen könnte, dann würde das aus ihrer Sicht bessere Mittel, Ulipristalacetat, den Frauen möglicherweise vorenthalten werden. Nun kommt das arznei-telegramm aber zu dem Schluss – dabei bezieht es sich auf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte –, dass eine höhere Wirksamkeit von Ulipristalacetat gegenüber Levonorgestrel nach wie vor nicht belegt ist. In der Stellungnahme heißt es – ich zitiere –:
Würden Sie mir zustimmen, dass die Argumentation, die wir von Unionskollegen oft hören, dass Ulipristalacetat das bessere Mittel sei und man eine Freigabe, also den Wegfall der Verschreibungspflicht von Levonorgestrel deswegen nicht in Betracht ziehen könne, nicht von medizinischem oder pharmakologischem Sachverstand geprägt ist?
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Warum gibt man dann nicht alles frei?)
Sagen wir es einmal so: Ich habe die Studie im Rahmen meiner Vorbereitung auf diese Rede gesehen. Es ist ganz klar – das ist unisono die Expertenmeinung –, dass LNG, also der hier zur Debatte stehende Wirkstoff, der frei vergeben werden soll, besser untersucht ist. Er ist schlicht besser untersucht und somit sicherer. Ob die Wirksamkeit die gleiche ist, weiß man heute nicht. Wenn ich als Arzt etwas zu empfehlen hätte, würde ich auf den sicheren und besser untersuchten Wirkstoff zurückgreifen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und zwar schlicht und ergreifend, weil klar bewiesen ist, dass es, wenn es trotz des Einsatzes von LNG zu einer Schwangerschaft kommt, nicht zu einer Schädigung des Kindes kommt. Das ist aus meiner Sicht der wichtigste Punkt. Darauf würde ich den größten Wert legen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Das Produkt ist, aus dieser Perspektive heraus betrachtet, sicher: Wenn es nicht wirkt, da zu spät eingenommen, nimmt das Kind keinen Schaden. Darauf käme es mir in diesem Zusammenhang besonders an.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will noch einen Punkt ansprechen. Hier wurde gesagt, dass das Produkt 460 000 Mal eingenommen worden ist. Dies sei Beweis dafür, dass die geltende Regelung greift. Ich warne vor dieser Schlussfolgerung: In 50 Prozent der Fälle wurde es zu spät eingenommen und wirkte deshalb nicht. Es ist 460 000 Mal verschrieben worden. Wie viele ungewollte Schwangerschaften trotzdem entstanden sind und dann abgebrochen werden mussten, geht aus dieser Statistik nicht hervor. Die Hauptnebenwirkung einer zu späten Einnahme ist die Abtreibung. Ich glaube, wir hier im Saal sind alle der Meinung, dass eine vermeidbare Abtreibung vermieden werden sollte, insbesondere wenn das so sicher und so leicht geht.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zum Abschluss. Wir dürfen die Realität nicht verkennen: Was passiert denn, wenn eine Frau beispielsweise im Internet liest, dass es zeitlich knapp wird, dass sie den Frauenarzt kaum noch aufsuchen kann, um die Pille danach einnehmen zu können? Viele greifen dann zur Selbstmedikation, indem sie mehrere Pillen mit einem anderen Wirkstoff auf einmal einnehmen oder sich Pillen mit diesem Wirkstoff bei Bekannten oder Freundinnen besorgen. Machen wir uns bitte nichts vor: Jeder Arzt weiß, dass eine weit verbreitete Praxis die ist, dass man dann bei Freundinnen und Bekannten nachfragt, womit sie verhüten, um dann auszurechnen, wie man auf die Menge Wirkstoff kommt, mit der man glaubt, die Wirkung der Pille danach darstellen zu können. Das ist eine sehr gefährliche Praxis. Ich persönlich würde mich aus ärztlicher Sicht mit dem sicheren Wirkstoff, den der Apotheker aushändigt, wohler fühlen. Diese weit verbreitet Praxis sollte man nicht in Kauf nehmen.
In der Summe macht es den Eindruck, dass hier die Freiheitsrechte der Frauen eingeschränkt werden sollen, dass hier ein Exempel statuiert werden soll und man sagt: Ein bisschen Strafe muss sein. Geht zumindest zum Frauenarzt! – Das halte ich für eine nicht angemessene Position.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das sehen übrigens auch die Frauenärzte so.
In der Apotheke werden Wirkstoffe wie Aspirin, Paracetamol und Ibuprofen verkauft, die, wenn sie unsachgemäß eingenommen werden, sehr viel gefährlicher sind.
(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])
Aspirin verursacht Magenblutungen. Paracetamol hat, wenn es zu hoch dosiert eingenommen wird, schwerste Leberschäden zur Folge; das wird mir die Kollegin hier bestätigen. Ibuprofen führt, wenn es zu hoch dosiert eingenommen, wird, Herr Henke, zu Schädigungen der Nieren. Ich könnte ohne Mühe die mir nicht mehr zur Verfügung stehende Redezeit mit weiteren Beispielen füllen.
Das mit der Redezeit stimmt, Herr Kollege Lauterbach.
Es gibt viel gefährlichere Wirkstoffe, die von Apothekern, denen von der Union ja immer wieder zu Recht Kompetenz zugesprochen wird, rezeptfrei verkauft werden. Seien wir ehrlich: Hier soll ein Exempel an den Frauen gegen ihre Freiheitsrechte statuiert werden. Das ist nicht richtig.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächster erteile ich das Wort Kollegin Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3126424 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 14 |
Tagesordnungspunkt | Rezeptfreie Pille danach |