14.02.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 15 / Tagesordnungspunkt 14

Katrin Göring-EckardtDIE GRÜNEN - Demokratie verteidigen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Lass uns lieber spazieren gehen, das können wir hier drin nicht besprechen. Wir wissen nicht, ob es eine Wanze gibt: in der Lampe oder im Telefon.“ – So war es zu DDR-Zeiten. „ Das sage ich Ihnen nicht am Telefon. Lassen Sie uns mal lieber spazieren gehen“, schieb gestern ein Journalist über ein Telefonat mit einem Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes. Nein, natürlich sind diese beiden Dinge überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Natürlich ist es gut, dass wir nicht in einer Diktatur, sondern in einer Demokratie leben, wo solche Dinge öffentlich werden und gesagt werden.

Ja, meine Damen und Herren, die digitale Revolution hat unser Leben, hat unseren Alltag verändert wie vielleicht keine andere Entwicklung. Wir leben, wir kommunizieren, wir streiten online. Wir alle schätzen auf der einen Seite diese Chancen, diese Freiräume, diese Möglichkeiten, die uns das Netz bietet. Auf der anderen Seite sind wir seit mindestens einem Dreivierteljahr Zeuginnen und Zeugen des größten Geheimdienstskandals, den die westlichen Demokratien je erlebt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Die Ausmaße der Überwachung nehmen Dimensionen an, die wir bisher nicht für möglich gehalten haben. Hier wird die Axt direkt an die Wurzel unseres Rechtsstaates gelegt. Genau das ist die Katastrophe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das kann und darf niemandem gleichgültig sein. Genau deswegen haben 562 Schriftstellerinnen und Schriftsteller weltweit ihre Stimme erhoben und fordern, die Demokratie im digitalen Zeitalter zu verteidigen. Um nicht weniger geht es, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])

Wir haben diesen Appell – und das ist er im wahrsten Sinne des Wortes – zum Gegenstand unseres Antrags für diese Debatte gemacht. Ich begrüße einige Unterzeichnerinnen und Unterzeichner heute hier im Plenum.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Die Besorgnis der Bürgerinnen und Bürger ist immens. Es sind nicht nur einige wenige, die sagen: Wir haben ein Problem. Zugleich ist es so, dass die Bundesregierung, dass die Bundeskanzlerin immer noch nicht aufgewacht sind und immer noch nichts tun, um die Grundrechte der Menschen in diesem Land, in dieser Republik zu schützen und zu sichern. Das ist der Skandal, über den wir in diesem Parlament reden müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nein, es geht nicht darum, den Hashtag „#Neuland“ in dieser Debatte fortzuführen, und zwar auch deswegen, weil es überhaupt nichts mehr mit Ironie zu tun hat und weil es überhaupt nicht lustig ist. Wir erleben, wie atemberaubend leichtfertig, wie atemberaubend oberflächlich mit Grundrechten von Individuen, der Bürgerinnen und Bürger umgegangen wird, aber auch mit den Rechten der Unternehmen, der Wirtschaft, die sich heute fragen: Sind eigentlich unsere Daten, ist unsere Unternehmenskommunikation in irgendeiner Weise sicher? Wenn Sie sich schon nicht für die Individuen interessieren, dann vielleicht doch für die Unternehmen in diesem Land, die zutiefst verunsichert sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was erleben wir? Wir sollen darauf vertrauen, dass der ehemalige Kanzleramtsminister die Affäre für beendet erklärt hat. Pofalla beendet Dinge, das kennen wir alle. Wir erleben erfolglose Reisen in die USA und hören, dass Geheimdienstler mit Geheimdienstlern Geheimes besprechen. Wir sind im Gegensatz zu Ihnen nicht so überrascht, dass das No-Spy-Abkommen nicht zustande kommt. Dennoch war es das Einzige, was Sie als Antwort vorweisen konnten. Wo sind wir denn, wenn eine Bundesregierung es nicht für nötig hält, dafür zu kämpfen, dass die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber ausländischen Geheimdiensten gewahrt werden?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

„Ausspähen von Freunden, das geht gar nicht.“ Deutliche Worte immerhin. Hier ging es um das eigene Handy. Aber wenn es um die Handys, um die E-Mail- Postfächer, um die Verbindungsdaten und die digitalen Privaträume von Bürgerinnen und Bürgern geht, dann ist Fehlanzeige. Ich finde das ignorant, ich finde das verantwortungslos, und ich finde, das verändert unseren Staat und unsere Gesellschaft. Wenn eine Bundesregierung nicht dafür eintritt, dass Bürgerinnen und Bürger Geheimnisse haben dürfen, dass sie Geheimnisse haben dürfen sollen, wenn sie nicht dafür eintritt, zwischen Terrorismusbekämpfung, die natürlich notwendig ist, und massenhafter Ausspähung zu unterscheiden, dann verändert das unsere Gesellschaft auf eine Weise, die wir nicht zulassen wollen; denn hier muss die Demokratie im Kern verteidigt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Dann sind wir natürlich ganz schnell bei der europäischen Ebene. Sie hängen sich da nicht rein, Sie vermeiden sogar, das Thema auf EU-Ebene anzusprechen. Mit der EU-Datenschutzverordnung wäre eine grundlegende Veränderung auch zügig möglich gewesen. Doch stärkere Reformen und Veränderungen sind eben gerade auf Treiben Deutschlands, der deutschen Bundesregierung hin auf Eis gelegt worden – ein weiterer Skandal, ein weiteres Nicht-hinsehen- und Nicht-handeln-Wollen, meine Damen und Herren. Ein weiteres Mal sind hier die Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht geschützt worden; sie sind zum Freiwild für Überwachung geworden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Mängel beim Grundrechtsschutz für 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger und für Wirtschaftsunternehmen können und dürfen nicht ausgesessen werden. Hier muss man aktiv werden.

Sie halten die anlasslose Massenüberwachung der Bevölkerung weiterhin für ein geeignetes Instrument. Die Vorratsdatenspeicherung soll in Deutschland kommen. Ich sage Ihnen ganz klar:

Erstens. Wir werden alles tun, damit es nicht geschieht.

Zweitens sage ich an die Adresse von Herrn Maas: Ihre Vorgängerin hat diese Sache ausgesessen. Das reicht jetzt nicht mehr. Jetzt muss man aktiv werden und dafür sorgen, dass das nicht passiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Er plant das Gegenteil!)

Wenn sich die Bundesregierung in diesem Skandal der Wahrung der Grundrechte und der Menschenrechte der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet fühlt, dann gibt es doch nur eine wirkliche Antwort, und das ist in einem ersten Schritt die umfassende Aufklärung ohne jedes Wenn und Aber sowie Schluss mit der Überwachung. Ich sehe, dass Sie sich immer noch wegducken. Wer musste denn den Untersuchungsausschuss beantragen? Das waren die Oppositionsfraktionen in diesem Haus. Wer musste denn dafür sorgen, dass es einen umfassenden Untersuchungsauftrag gibt? Das waren die Oppositionsfraktionen in diesem Haus. Ja, natürlich, wir wollen auch wissen, inwiefern die deutschen Dienste an diesem Überwachungsskandal beteiligt sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deswegen ist es gut, dass der Untersuchungsausschuss endlich eingesetzt wird.

Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass die Zivilgesellschaft wach ist, dass sie den Schutz der Bürgerinnen und Bürger einfordert. Es liegt eine Klage beim Generalbundesanwalt gegen die Bundesregierung vor – so weit ist es schon gekommen.

Wenn es um den Grundrechtsschutz geht, sollte man wissen:

So steht es in dem Appell der Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Ich kann nur sagen: Ja, genau so ist es.

Man hat als Mensch das Recht, etwas zu verbergen, man hat als Mensch das Recht, bestimmte Dinge unverfügbar zu halten. Wir wollen nicht, dass sich unser Schreiben und unser Reden, am Ende womöglich sogar unsere Gedanken verändern, weil wir immer damit rechnen müssen, dass wir abgehört oder beobachtet werden. Das verändert uns als Individuen. Ich sage klar und deutlich: Das können wir nicht zulassen; das wollen wir nicht zulassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, ich gehe sehr gern spazieren. Aber ich telefoniere auch unheimlich gern mit meiner Freundin, und dann tauschen wir Geheimnisse aus. Und darauf, verdammt noch mal, haben wir ein Recht. Dieses Recht muss garantiert sein, nicht nur für mich, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Thomas Jarzombek erhält nun das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3127180
Wahlperiode 18
Sitzung 15
Tagesordnungspunkt Demokratie verteidigen
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