Thomas JarzombekCDU/CSU - Demokratie verteidigen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, das ist ein besonderer Augenblick. Wir haben gestern den neuen Ausschuss Digitale Agenda eingesetzt. Meine Kollegen von der Arbeitsgruppe Innen, vor allem Clemens Binninger, haben sich spontan entschieden, als ersten Redner der Fraktion ein Mitglied unseres neuen Ausschusses, nämlich mich, zu wählen. Dafür bedanke ich mich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal abwarten, was du sagst!)
Ich finde, das ist ein tolles Signal. Ich denke, das könnten die anderen Fraktionen künftig gut in ähnlicher Weise handhaben.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir machen das von vornherein!)
Sie haben heute einen Antrag zum Thema „Demokratie im digitalen Zeitalter“ eingebracht. Wir haben in der Enquete-Kommission – ich sehe hier vorne Konstantin von Notz – lange über die Chancen des Digitalen für die Demokratie geredet, über Formen der Bürgerbeteiligung, von mehr Transparenz, von mehr Teilhabe. Dass Sie das alles in Ihrem vorliegenden Antrag überhaupt nicht fokussieren, finde ich schade. Die Risiken, die Sie betrachten, sind nur ein Ausschnitt des Themas.
Die Zielsetzung Ihres Antrags – das macht auch der Appell der 562 Schriftsteller deutlich – ist richtig. Die Frage ist nur, ob die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, die passenden sind. Denn eines muss man feststellen: Wir wissen durch Edward Snowden viel darüber, was die USA und auch Großbritannien machen. Wir wissen aber sehr wenig darüber, was in Russland und in China passiert.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)
Ich glaube, es ist naiv, anzunehmen, wir könnten durch ein einziges Abkommen mit den USA die gesamte Problematik lösen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zu einem weiteren Thema, den Unternehmen. Ich glaube, dass die Situation hier möglicherweise viel gravierender ist. Schon vor Jahren habe ich verschiedentlich darüber gebloggt und geschrieben, dass Google alle Eingaben personalisiert: die Suchanfragen der letzten neun Monate, alle meine E-Mails, alle meine Kalendereinträge. Das erlaubt einen Einblick in das persönliche Leben, der schon ziemlich enorm ist, und wir haben es mit einem privaten Unternehmen zu tun, das von keiner öffentlichen Stelle in irgendeiner Art und Weise kontrolliert wird. Wir können auch nur Mutmaßungen darüber anstellen, wie sicher die Daten dort sind und mit wem die Daten ausgetauscht werden.
Appelle helfen hier nicht weiter; denn das konstitutive Merkmal ist, dass die Menschen selbst ihre Daten eingeben. Das ist vielleicht auch der Unterschied zu den Vorgängen im Unrechtsstaat DDR, Frau Göring-Eckardt, auf die Sie eben eingegangen sind. Die Daten werden selbst eingestellt.
Lassen Sie mich heute die Gelegenheit nutzen, drei sehr konkrete Bereiche anzusprechen, die Schwerpunkte der Arbeit des Ausschusses Digitale Agenda bilden werden. Es ist wichtig, dass wir insgesamt aufrüsten.
Erstens. Die Frage ist: Wie sicher sind unsere Daten unterwegs? Kann ich als Einzelperson wie als Unternehmen Privates privat halten? Als Stichworte sind hier „IT- Airbus“ und „Schengen-Routing“ zu nennen. Doch diese allein werden das Problem nicht lösen können, dafür sind die Netze viel zu komplex.
Vergleichen wir die Situation im Internet mit der Situation im Straßenverkehr. Auf unseren Straßen fahren durchaus auch Kriminelle, Terroristen und Bankräuber, aber der Einzeltransporter muss gesichert sein. Im Straßenverkehr ist das der Fall, im Internet allerdings nicht. Deswegen müssen wir uns des Themas Verschlüsselung annehmen.
Man könnte sagen – in Anlehnung an ein Zitat von Ron Sommer zur CeBIT-Eröffnung –, dass es sich mit dem Thema E-Mail-Verschlüsselung ähnlich verhält wie mit dem Thema Teenagersex: Alle reden darüber, kaum einer tut es, und diejenigen, die es machen, die haben meistens auch noch Schwierigkeiten damit.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)
Wir müssen erst einmal daran arbeiten, dass wir das Thema E-Mail-Verschlüsselung einfacher machen. Wir müssen es für die Menschen greifbarer machen. Wir müssen Anreize setzen. Wir müssen uns überlegen, ob man das Thema nicht auch gesetzlich flankiert: Ich meine damit eine Pflicht zur verschlüsselten Verbindung zwischen Clients und Servern, was einige Provider schon einführen.
Die Initiative „E-Mail made in Germany“ ist eine gute Initiative, weil sie dafür sorgt, dass sich die Menge der verschlüsselten Daten insgesamt erhöht. Das muss ein wesentliches Ziel sein. Letztendlich können Sie heute alles knacken, aber diese Fähigkeit ist eine knappe Ressource, und je mehr verschlüsselte Verkehre es gibt, umso knapper wird die Ressource, diese zu dechiffrieren. Insofern brauchen wir möglichst viel verschlüsselten Verkehr. Um den Verkehr zu verschlüsseln, brauchen wir mehr Algorithmen, für die andere Dienste oder Länder keinen Zweitschlüssel haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen auf deutsche Forschung und deutsche Algorithmen setzen.
Nicht zuletzt ist es so: Wenn Sie als Endanwender eine E-Mail verschlüsseln wollen, dann brauchen Sie ein E-Mail-Zertifikat. Wenn Sie das kostenlos bekommen wollen, gehen Sie in der Regel zu einem amerikanischen Provider. Das ist dann wie bei der Haustür: Sie bekommen zwar Ihren eigenen Schlüssel, aber wer noch eine Kopie davon hat, das wissen Sie nicht. Deshalb sollte sich der Ausschuss als Erstes darauf fokussieren, durch eine Initiative dafür zu sorgen, dass jeder Bürger unseres Landes kostenfreie E-Mail-Zertifikate von einer deutschen Stelle – das kann die Bundesdruckerei oder eine Unternehmensinitiative sein – erhält. Das ist ein wichtiges Ziel.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zum Zweiten ist es sehr wichtig – auch da müssen wir konkret etwas machen –, dass sich die Plattformen ein Stück weit wieder stärker an den europäischen Gesetzen und dem europäischen Verständnis orientieren. Was helfen mir sichere Netze und Abkommen mit irgendwelchen Staaten, wenn jeder seine intimsten Daten bei Google speichert oder sucht, wenn jeder seine privaten Dateien bei Dropbox hochlädt und bei Facebook seine gesamte soziale Kommunikation stattfinden lässt?
Daran wird eine klare Schwäche des Standorts Deutschland deutlich: Hinter all diesen Plattformen stehen de facto keine europäischen Unternehmen. Selbst die in Deutschland gegründeten Unternehmen sind mittlerweile keine europäischen Unternehmen mehr. Ich mache das an einem ganz konkreten Beispiel deutlich: Es gibt ein Unternehmen aus – ich mag es als Düsseldorfer kaum aussprechen – Köln. Diese Firma ist sehr erfolgreich. Sie hat eine Menge Algorithmen entwickelt, um große Datenbestände – Big Data – untersuchbar zu machen. Diese Firma besitzt eine Reihe von Patenten. Sie wurde in der ersten Stufe in Deutschland finanziert. Als dieses Unternehmen auf den Weltmarkt wollte – dieses Unternehmen hat inzwischen eine Finanzierung von 13,6 Millionen Dollar –, bekam es Finanzierungsmittel fast ausschließlich im Silicon Valley, weil es hier keine Investoren gibt. Die Entwicklungsabteilung dieses Unternehmens befindet sich zwar immer noch in Köln, aber inzwischen hat es auch ein Büro mit 30 Mitarbeitern in Palo Alto, und es gründet ein weiteres Büro in Boston. Was ist das jetzt für eine Firma? Ist das eine deutsche, eine europäische oder eine amerikanische Firma? Wie verhält man sich in dieser Firma, wenn die NSA anklopft und sagt: „Wir wollen gerne mit euch über Schnittstellen reden“?
Hier wird eine Schwäche ganz deutlich. Ich finde es gut, dass Unternehmen aus Deutschland wachsen. Ich finde es auch gut, dass sie den Sprung auf den amerikanischen Markt schaffen. Aber dass wir selbst kein Wachstumskapital zur Verfügung stellen können, ist eine eklatante Schwäche, ein Nachteil. Daran müssen wir arbeiten.
Beim dritten Punkt geht es um die Frage, welche schützenswerten Infrastrukturen und Technologien wir hier noch haben. Führen wir uns noch einmal die Diskussion über den IT-Airbus und das Problem, dass die Schnittstellen des Netzes, die Router, mittlerweile fast alle von amerikanischen und chinesischen Unternehmen kommen, vor Augen. Es gibt eine letzte Nische, in der es noch deutsche Anbieter gibt. Es geht um die Endgeräte, die Router, die bei Ihnen zu Hause stehen. Diese Geräte haben eine besondere Bedeutung, nicht nur, weil sie die erste und letzte Linie Ihrer Verteidigung sind, sondern auch, weil diese Geräte bei Ihnen im Wohnzimmer stehen und weil sie die neue Schnittstelle für alles sind, was in der Heimautomation stattfindet. Google hat nicht ganz ohne Grund gerade für Milliarden von Dollar die Firma Nest gekauft: um jetzt auf Ihre Thermostate und ich weiß nicht was sonst noch alles zugreifen zu können.
Wenn wir nicht auch noch diesen, wie ich finde, datenschutzrechtlich extrem sensiblen Bereich verlieren wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die beiden letzten deutschen mittelständischen Unternehmen, die Endgeräte liefern, zumindest nicht kaputtgemacht werden. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag klar festgeschrieben, dass wir uns auch gesetzlich für das Thema Routerfreiheit starkmachen wollen. Wir wollen, dass niemand, insbesondere keine Kommunikationsunternehmen, Kunden am Ende zwingen kann, amerikanische oder chinesische Endgeräte einzusetzen. Das ist, glaube ich, ein wichtiges Thema, das wir gerade jetzt als Erstes adressieren müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich freue mich, dass wir die Chancen, die sich durch unseren neuen Ausschuss ergeben, nutzen können. Wir werden einen guten Dialog mit den Kollegen in den anderen Ausschüssen, insbesondere im Innenausschuss, führen. Ich glaube, dass wir, wenn wir an diesen Themen arbeiten, einen substanziellen Sprung nach vorne machen werden. Was mich an der Diskussion stört, ist, dass wir zwar sehr lange über die Themen reden, bisher aber nur sehr wenig über konkrete Lösungen. Das möchten wir gerne in Angriff nehmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Kollegin Wawzyniak hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 15 |
Agenda Item | Demokratie verteidigen |