14.02.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 15 / Tagesordnungspunkt 14

Matthias SchmidtSPD - Demokratie verteidigen

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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Antrag der Grünen, der die Intention verfolgt, die Demokratie zu verteidigen. In Berlin sagen wir dazu: Das ist auch gut so.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nicht mehr lange!)

Gestatten Sie mir als neuem Abgeordneten, die letzten Wochen ein wenig Revue passieren zu lassen.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird turbulent!)

– Genau. – Ich habe den Eindruck, dass wir viele lebhafte Debatten hatten – heute Morgen im Übrigen auch –; das spricht insgesamt dafür, dass die Demokratie in unserem Land intakt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

„Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“, wie der Antrag der Grünen betitelt ist, gibt dem Thema jedoch einen anderen Zungenschlag. Der Antrag der Grünen fußt – Frau Kollegin Göring-Eckhardt hat das ausgeführt – auf einem Aufruf, den 562 namhafte Schriftstellerinnen und Schriftsteller

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über tausend!)

unterzeichnet haben. Dieser Aufruf hat völlig zu Recht großen Widerhall gefunden. Auch wir begrüßen den Aufruf, steht er doch in einer direkten Tradition mit Willy Brandt, der schon vor fast fünf Jahrzehnten angefangen hat, mehr Demokratie zu wagen, und das auch umgesetzt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zu Zeiten Willy Brandts sah die Demokratie verständlicherweise völlig anders aus: Über ihr lag noch der lange Schatten des Nationalsozialismus. Willy Brandts Intention war es, Licht und Luft an die Demokratie heranzulassen. Er wollte Menschen zum Mitmachen bewegen, die Vielfalt des Lebens zeigen und Freude an der Demokratie wecken. Bei der Generation meiner Eltern hat er dies in vorbildlicher Weise geschafft.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Na ja!)

Er hat es sogar bei meinen Eltern persönlich geschafft; sie haben sich nämlich auf dem Platz hier vor dem Reichstag inmitten von 750 000 Menschen kennengelernt, als sie Willy Brandt zuhörten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah! – Zuruf von der CDU/CSU: Er ist das Groupiekind!)

Konrad Zuses Erfindung, den Computer, gab es damals schon sehr lange; trotzdem dauerte es bis in die 90er-Jahre, bis der Computer die Welt völlig veränderte. Heute haben wir scheinbar grenzenlose Möglichkeiten. Was sich in den letzten Jahren getan hat, ist mit dem Wort „rasant“ nur sehr unzureichend beschrieben.

Wir begreifen aber langsam: Datennutzung bedeutet auch Datenverantwortung. Das richtet sich einerseits persönlich an uns als Nutzer, andererseits aber auch an den Staat, der den Auftrag hat, uns vor unlauteren Machenschaften zu schützen. Der Aufruf der Schriftstellerinnen und Schriftsteller führt uns vor Augen: Wenn uns dies nicht gelingt, ist am Ende sogar die Demokratie gefährdet.

Über die Demokratie und die Kernelemente, die sie ausmachen, könnten wir lange philosophieren. Im Zusammenhang mit dem Aufruf sind besonders zu nennen: die Meinungsfreiheit und der Schutz der Privatsphäre und damit der Schutz der im Privaten geäußerten freien Gedanken. Wenn der Kern dieser Elemente angetastet wird, sind wir alle aufgefordert aufzubegehren. Hier im Rund sitzen 631 natürliche Verteidiger der Demokratie, die dies jeden Tag mit Leidenschaft tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade nicht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, dass wir die Intention Ihres Antrags teilen, möchte ich an drei Punkten festmachen. Der Fall Snowden hat uns zum wiederholten Male, aber in völlig neuer Dimension vor Augen geführt, welche Konsequenzen Whistleblowing für den Informanten nach sich zieht. Edward Snowden hat seine berufliche und private Perspektive in den Vereinigten Staaten verloren und damit einen sehr hohen Preis für sein couragiertes Handeln bezahlt. Auch in kleinerer Dimension wie beim Gammelfleischskandal oder der Anzeige von Insidergeschäften zeigte sich, dass Menschen ein hohes Risiko eingehen, wenn sie Missstände, Korruption oder Skandale anzeigen. Es ist egal, wo sie dies tun: Ob in Unternehmen, Behörden oder in Institutionen, in allen Fällen verloren sie ihre Arbeitsstellen oder waren anderen Repressalien ausgesetzt.

(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aufenthalt für Snowden in Deutschland!)

Diese Fälle machen deutlich: Die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen schützen Informanten nicht ausreichend vor Risiken und Benachteiligungen. Wir brauchen ein Gesetz, das diesen Schutz klar und umfassend regelt. Unsere Initiative dazu fand in der letzten Wahlperiode leider keine Mehrheit.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir gespannt, wie Sie das wieder einbringen!)

In der Sache halten wir diesen gesetzlichen Schutz jedoch nach wie vor für dringend geboten und werden dies entsprechend dem Koalitionsvertrag in Angriff nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen, der mit dem Fall Snowden in enger Verbindung steht, dem Datenschutz. Wir brauchen einen Datenschutz, der den Erfordernissen einer digitalisierten Welt gerecht wird. Dazu gehört zum einen, dass die Datenbestände von Unternehmen und Privatpersonen vor dem illegalen geheimdienstlichen Zugriff geschützt werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum anderen gehört dazu aber auch, dass der Transfer personenbezogener Daten EU-einheitlichen und wirksamen Datenschutzrichtlinien unterliegt. Wir brauchen Transparenz hinsichtlich der Datenweitergabe an Drittstaaten, ausdrückliche Einwilligungsregelungen sowie angemessene Strafen bei Datenschutzverstößen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das beinhaltet auch, dass Daten wieder gelöscht werden können, um das Selbstverfügungsrecht der Menschen an ihren Daten zu sichern. Die Fortschritte bei den Verhandlungen auf EU-Ebene zu einer einheitlichen europäischen Datenschutz-Grundverordnung weisen in die richtige Richtung; Kollege Reichenbach wird später daran anknüpfen.

Diese EU-Datenschutz-Grundverordnung muss dann auch Grundlage der Verhandlungen über ein neues Safe- Harbor-Abkommen werden. Das Datenschutzniveau von nach dem Safe-Harbor-Verfahren zertifizierten Unternehmen muss künftig den Standards einer EU-Datenschutz-Grundverordnung entsprechen, da das Datenschutzgefälle zwischen einzelnen Mitgliedsländern der EU und den USA offenkundig groß ist. Wir brauchen daher auf der einen Seite eine Vereinheitlichung nach EU- Recht, auf der anderen Seite ein Abkommen, das bei der Datenweitergabe Datensicherheit auf eben diesem angestrebten einheitlichen Niveau garantiert.

Allein mit der kurzen Darstellung dieser drei Handlungsfelder – Whistleblower-Schutz, EU-Datenschutz, Safe-Harbor-Abkommen – wird deutlich: Hier greifen viele verschiedene Rädchen ineinander und verzahnen sich. Das ist ein komplexes Unterfangen, das sich nicht so einfach in Form einer Punkteliste abarbeiten lässt, so sehr wir das Anliegen der Schriftstellerinnen und Schriftsteller auch teilen und deren Engagement schätzen. Das lassen Sie mich an dieser Stelle ausdrücklich betonen.

Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, trägt zwar in einigen Punkten auch unsere Handschrift, Ihre Aufbereitung in dem Antrag wird der Komplexität jedoch nicht gerecht.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht so! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er trägt die Handschrift der Schriftsteller! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Antrag?)

Wir brauchen eine verantwortungsbewusste, strategisch kluge und zielgerichtete Herangehensweise, die Verfahrensschritte mit politischen Ebenen und Kompetenzen abstimmt. Das haben wir als SPD-Fraktion fest im Blick. Dafür haben wir uns in der Vergangenheit eingesetzt, und das wird sich auch in unserem Regierungshandeln abbilden.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Aufruf der Schriftstellerinnen und Schriftsteller sagen:

Wir haben verstanden, dass das massenhafte Ausspähen privater Daten das Sicherheitsgefühl der Menschen erschüttert. Wir haben verstanden, dass der Eingriff in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger das Grundvertrauen in demokratische Strukturen zerstört. Wir haben verstanden, dass die illegale Überwachung von Menschen einen inakzeptablen Bruch der Grundrechte darstellt. Wir haben nicht zuletzt auch verstanden, dass der Schutz der Demokratie vor diesem Hintergrund gebietet, alle notwendigen und möglichen Schritte zu unternehmen, um dem unkontrollierten Zugriff auf die Privatsphäre des Menschen verbindliche Grenzen zu setzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Recht, frei und unbeobachtet Gedanken und Meinungen zu äußern, ist eine tragende Säule unserer Verfassung. Dem sind wir in unserem Tun als Abgeordnete verpflichtet.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!)

Seien Sie versichert, dass wir den Aufruf der 562 Schriftstellerinnen und Schriftsteller sehr ernst nehmen und daraus einen Handlungsauftrag ableiten. Die SPD wird auch im 151. Jahr ihres Bestehens vehement und unverändert für unsere Demokratie eintreten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Lieber Kollege Schmidt, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen alles Gute für die weitere parlamentarische Arbeit.

(Beifall)

Nun erhält der Kollege Konstantin von Notz das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3127212
Wahlperiode 18
Sitzung 15
Tagesordnungspunkt Demokratie verteidigen
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