Andrea LindholzCDU/CSU - Demokratie verteidigen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Kern dreht sich die heutige Debatte nicht nur um das völlig inakzeptable Vorgehen einiger Nachrichtendienste, sondern um eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Wie können wir unsere nationalen Rechte in einer globalen Ordnung verankern und sie gleichzeitig von der realen Welt in eine grenzenlose und sich stetig weiterentwickelnde digitale Welt übertragen?
Als Antwort auf diese komplexe Frage gibt unser Koalitionsvertrag als Ziel ein „Völkerrecht des Netzes“ aus, um den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger auch im grenzenlosen Internet Geltung zu verschaffen. Dieses Ziel ist im Grundsatz absolut richtig. Natürlich brauchen wir auch im Internet verlässliche Regeln, die dem Einzelnen den Schutz seiner Grundrechte, den Schutz vor Kriminalität, staatlicher Willkür oder unternehmerischem Missbrauch sichern. In diesem Punkt herrscht Einigkeit. Wir diskutieren heute also nicht über das Ziel, sondern über den richtigen Weg dorthin.
Wenn man den Maßnahmenkatalog des Antrags durchliest, bekommt man den Eindruck, Deutschland solle diesen schwierigen Weg unbedingt allein gehen. Es wird unter anderem gefordert, dass die USA sich vor dem UN-Menschenrechtsausschuss verantworten sollen und dass Großbritannien auf EU-Ebene mit einem Vertragsverletzungsverfahren überzogen wird. Ich kann verstehen, dass man angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe und des unannehmbaren Verhaltens hart durchgreifen möchte. Diese Maßnahmen sind langfristig aber nicht zielführend.
Ein „Völkerrecht des Netzes“, das diesen Namen verdient, werden wir niemals gegen die USA und Großbritannien durchsetzen können, sondern nur gemeinsam mit ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])
Man darf nicht vergessen, dass Länder wie Russland oder China dieses Thema ganz anders beurteilen.
Natürlich müssen wir Amerikanern und Briten klarmachen, dass der Rechtsstaat im digitalen Zeitalter nicht an Landesgrenzen aufhört und dass wir die aktuellen Vorkommnisse auf das Schärfste verurteilen. Das Internet darf für niemanden ein rechtsfreier Raum sein.
Die Bundesregierung lässt dem Generalbundesanwalt zu Recht freie Hand bei der Entscheidung, ob ein Ermittlungsverfahren eröffnet wird. Allein mit deutschem Strafrecht aber – das ist unabhängig vom Ergebnis seiner Prüfung – werden wir die Bürgerrechte im globalen Netz nicht schützen.
Bereits in der Debatte im November wurden an dieser Stelle einige Aufgabenfelder für uns aufgezeigt. In Deutschland muss das IT-Sicherheitsgesetz verabschiedet werden und müssen Sicherheitslücken in unserer IT-Infrastruktur konsequent geschlossen werden. Auf europäischer Ebene müssen wir die EU-Datenschutz-Grundverordnung gewissenhaft umsetzen. Innenminister Friedrich hat erst in dieser Woche im Innenausschuss geäußert: Sie muss sitzen.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Innenminister Friedrich?)
– Entschuldigung! Danke. Innenminister de Maizière.
Die Rede von US-Präsident Obama zur NSA-Affäre vom 17. Januar war kein Grund zum Jubeln. Obama hat aber öffentlich anerkannt, dass einer demokratischen Nation wie den USA die Bürgerrechte anderer Nationen nicht gleichgültig sein dürfen. Die US-Regierung sieht endlich Handlungsbedarf. Im Kongress und in der Bevölkerung wird die Kritik an den eigenen Diensten immer lauter. Diesen Prozess des Umdenkens müssen wir vorantreiben. Die bisherigen Interventionen der Bundesregierung haben dazu sicherlich beigetragen.
Wenn wir aber nun, wie im Antrag gefordert, die bestehenden Abkommen mit den USA einseitig aufkündigen, dann frieren wir den laufenden Dialog ein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])
Das seit 2010 diskutierte Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA wäre dann endgültig hinfällig. Die bestehenden Abkommen – darin sind wir uns doch einig – sollen reformiert und ausgebaut werden. Auch in den Beratungen zum Freihandelsabkommen mit den USA muss der Datenschutz neben vielen anderen Fragen, die dort zu klären sind, eine zentrale Rolle spielen. Solche Verträge zwischen der EU und den USA sind doch der beste Ansatz, um unsere Standards in den USA nachhaltig zu verankern. Würden wir den Forderungen im Antrag folgen, gefährdeten wir die notwendigen Verhandlungen. Deswegen ist dieser Antrag abzulehnen.
Der Antrag enthält aber auch obsolet gewordene Forderungen. Die Kontrolle der deutschen Geheimdienste obliegt dem Parlamentarischem Kontrollgremium. Zudem werden wir den NSA-Untersuchungsausschuss einsetzen. Wir hoffen, damit neben Transparenz auch für Aufklärung zu sorgen.
Ich möchte an dieser Stelle auf die grundsätzliche Notwendigkeit von handlungsfähigen Geheimdiensten hinweisen. Diese Meinung teilt im Übrigen auch Edward Snowden. Er hat in einem Internet-Chat geschrieben:
Ich plädiere daher dafür, die Diskussion über Bürgerrechte im Netz auf eine strategische Weise zu führen. Letztendlich bringt uns das beste Abkommen nichts, wenn es nur bilateral geschlossen oder auf der Entscheidungsebene ignoriert wird.
Rechtsstaatliche Werte müssen in einer Demokratie für Entscheidungsträger selbstverständliche Grundlage ihres Handelns sein. Wir brauchen einen fundamentalen Kulturwandel im Umgang mit dem Internet und unseren digitalen Möglichkeiten auf allen Ebenen. Wir müssen auch erkennen: Je mehr Bereiche unseres Alltages wir in das Internet verlagern, desto dringender werden natürlich Fragen nach dem Verhältnis von Sicherheit und Freiheit im Netz. Wer die Vorratsdatenspeicherung nicht einführen will – wir werden dazu in der nächsten Woche sicherlich noch Diskussionen in diesem Hause führen –, muss den Opfern und Angehörigen bei schweren Straftaten und Gefahr für Leib und Leben erklären, warum er diese Vorratsdatenspeicherung ablehnt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik stieg die Internetkriminalität allein im Jahr 2012 um fast 8 Prozent. Die Delikte aus dem Bereich „Datenveränderung, Computersabotage“ nahmen um 134 Prozent zu. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein; denn bekanntermaßen werden viele Verbrechen im Internet, in der digitalen Welt gar nicht erst zur Anzeige gebracht.
Freiheit und Sicherheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Es gibt keine echte Freiheit im weltweiten Netz, wenn dort das Recht des Stärkeren herrscht, egal ob es ein Geheimdienst, ein Wirtschaftsunternehmen oder ein einzelner krimineller Hacker ist. Nur gemeinsam können wir internationale Lösungen finden – nur miteinander, nicht gegeneinander –, um unsere bürgerlichen Grundrechte, so wie es im Antrag gefordert wird, in der digitalen Welt zu verankern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der Kollege Gerold Reichenbach hat für die SPD- Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erste Rede! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, das war ihre erste Rede!)
Es tut mir leid. Ich gratuliere Ihnen gern zu Ihrer ersten Rede, wenn das so ist. Der Präsident hat mir leider keine entsprechende Nachricht hinterlassen.
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das war die erste Rede für den Innenausschuss, aber meine zweite Rede!)
– Ich wurde gerade darauf aufmerksam gemacht. Dann gratuliere ich zur zweiten Rede.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Allerdings wollen wir das nicht zur Regel werden lassen, weil wir sonst nicht mit der Tagesordnung durchkommen.
Gerold Reichenbach hat das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3128811 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 15 |
Tagesordnungspunkt | Demokratie verteidigen |