20.02.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 17 / Tagesordnungspunkt 4

Peter BeyerCDU/CSU - Bundeswehreinsatz in Afghanistan (ISAF)

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welches Bild haben wir Deutsche heute von Afghanistan? Seit zwölf Jahren kämpfen deutsche Soldatinnen und Soldaten am Hindukusch. Der ursprüngliche Aufbaueinsatz sah sich zunehmend mit kriegsähnlichen Zuständen konfrontiert. Es wäre verfehlt, zu glauben, Soldatinnen und Soldaten würden in ein Kriegsgebiet geschickt und beschäftigten sich dort vor allem mit dem Bohren von Brunnen und dem Bau von Mädchenschulen.

Wir haben 2001 Verantwortung übernommen. Diese gibt es nicht zum Nulltarif und auch nicht ohne Risiko. Einmal übernommene Verantwortung kann man nicht einfach wieder abgeben, nur weil einem die Sache unangenehm wird. Ein solches Handeln wäre verantwortungslos. Wer Einfluss auf die weitere Entwicklung in Afghanistan nehmen will, muss einen Beitrag für den Erfolg der gemeinsamen Sache leisten, und zwar zivil wie militärisch. Das hat Deutschland in den letzten gut zehn Jahren getan, und zwar mit vorbildlichem Engagement unserer Soldatinnen und Soldaten. Sie haben Ausgezeichnetes geleistet und viel für die Menschen in Afghanistan geschaffen.

Herr Kollege – –

Ja, bitte.

Es gibt den Wunsch der Kollegin Buchholz von der Fraktion der Linken nach einer Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung. Möchten Sie die zulassen?

Im Moment nicht.

Dafür spreche ich an dieser Stelle den deutschen Soldatinnen und Soldaten meinen ausdrücklichen Dank aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage auch: Die Entscheidung, die der Bundestag am 16. November 2001 getroffen hat, war richtig. Es war auch richtig, was Peter Struck seinerzeit gesagt hat: dass deutsche Interessen auch am Hindukusch verteidigt werden. Denn der Kern der Mission ist nach wie vor, Frieden und Sicherheit zu schaffen, für stabile Verhältnisse zu sorgen und ein durch jahrzehntelange Kriege zerrüttetes Land wieder aufzubauen.

Damals wie heute gab und gibt es keine einfachen Lösungen für Afghanistan. Es ist eine Politik der kleinen, deshalb aber nicht weniger wichtigen Schritte. Das hat gerade die kontroverse Debatte in erster Lesung in der vergangenen Sitzungswoche in diesem Haus gezeigt.

Unsere Ziele für den Einsatz in Afghanistan waren in der Tat hochgesteckt, mit den heutigen Erfahrungen vielleicht zu hoch. Dennoch geht es heute nicht um das, was nicht erreicht werden konnte, und ebenfalls nicht um das, was versäumt wurde. Wir entscheiden heute vielmehr über die Zukunft. Vielleicht erscheint es aus unserer hochtechnologischen Perspektive als zu wenig, wenn eine neugebaute Brücke oder instandgesetzte Straße in der afghanischen Berg- und Steppenwelt einem Kind den Weg zu Bildung oder einer schwangeren Frau den Weg zu medizinischer Versorgung ebnet. Es mag für uns nahezu unvorstellbar sein, ohne Strom und fließendes Wasser zu leben. In Afghanistan beschreibt das leider immer noch zu häufig die Normalität.

Meine Damen und Herren, der Westen muss sich endlich von der viel zu lange aufrechterhaltenen Illusion befreien, Afghanistan nach westlichem Vorbild modernisieren zu wollen und dabei zu glauben, kulturelle Unterschiede ebenso überwinden zu können wie 100 Jahre technologischen Rückstands aufzuholen. Vielmehr muss es zukünftig darum gehen, eine erneute Machtübernahme der Taliban zu verhindern. Es gibt hoffnungsvoll stimmende Anzeichen dafür, dass die Taliban verstanden haben, dass sie das Land nicht, wie einst 1996, mit einem Handstreich einnehmen können, und dass sie wissen, dass ihre zukünftige Rolle eine politische sein wird – beispielsweise bei den Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen im April dieses Jahres, auch wenn die Taliban keinen eigenen Kandidaten aufstellen. Sie unterstützen die Wahl zwar nicht, rufen aber auch nicht zu ihrem Boykott auf. Das lässt aufhorchen.

Bildung ist einer der Schlüssel bei allen Aktivitäten. 98 000 Lehrerinnen und Lehrer wurden in den vergangenen Jahren aus- und fortgebildet. Darüber hinaus wurde der Neubau bzw. die Instandsetzung von über 550 Grund- und weiterführenden Schulen finanziert. Heute gehen in ganz Afghanistan über 9,2 Millionen Kinder zur Schule. 39 Prozent davon sind Mädchen. Diese neu entstandene ISAF-Generation ist alphabetisiert, die Jungen und Mädchen können lesen und schreiben.

Zum Wichtigsten zählt, dass selbsttragende Sicherheitsstrukturen geschaffen werden. Ein Beispiel aus dem Polizeiaufbau: Allein im laufenden Jahr wurden in Kabul und Masar-i-Scharif zwölf Ausbildungsprojekte abgeschlossen und dabei über 460 Trainees im Rahmen von Mentoring-Projekten und Professionalisierungskursen aus- und fortgebildet.

Und doch: Niemand ist ehrlich bei der Betrachtung und Bewertung Afghanistans, der die Probleme beschönigt oder gar verschweigt. Die Regierung von Hamid Karzai ist korrupt. Die staatlichen Institutionen funktionieren noch nicht wie erhofft. Es fällt zunehmend schwerer, sich das Katz-und-Maus-Spiel Karzais mit der NATO und insbesondere mit den Amerikanern länger anzuschauen. Der deutsche Botschafter in Kabul, Martin Jäger, äußerte erst kürzlich, dass Karzai die amerikanisch-afghanischen Beziehungen einer schwerwiegenden Belastungsprobe aussetze. Das liege nicht allein an dessen Verweigerungshaltung bei der Unterzeichnung des bilateralen Sicherheitsabkommens, BSA, mit den USA, sondern auch an der Antiamerika-Propaganda. Unter anderem warf Karzai den US-Truppen vor, die Taliban durch ihre Operationen zu stärken.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Recht hat er!)

Kürzlich hat er sogar angedeutet, die USA steckten hinter einigen schweren Anschlägen. Das ist inakzeptabel und nicht konstruktiv.

Meine Damen und Herren, wahr ist aber auch, dass es jetzt das falsche Signal wäre, anzudrohen, die Unterstützung nach dem auslaufenden ISAF-Mandat im Dezember dieses Jahres gänzlich einzustellen. Der afghanische Präsident muss begreifen, dass wir sehr zeitnah ein klares Bekenntnis erwarten, spätestens nach den Wahlen im April.

Vor dem Land liegt ein bedeutungsvolles Jahr. Im Juli 2013 wurde mit der Reform der Wahlgesetze die notwendige rechtliche Grundlage für demokratische Wahlen geschaffen. Die Wahlvorbereitungen sind auf einem guten Weg. In den Zentren hängen flächendeckend Wahlplakate, und es finden öffentliche Diskussionen der Kandidaten statt; insgesamt elf Kandidaten stellen sich zur Wahl. Von dieser Wahl hängt letztlich auch die Zukunft Afghanistans ab. Wir sollten Vertrauen haben; denn die Dinge haben sich in den Köpfen vieler Menschen zum Positiven verändert. Deshalb teile ich die oft vernommene Einschätzung nicht, dass die ISAF-Mission insgesamt gescheitert ist.

Nun liegt es auch an uns, die positive Stimmung zu erhalten und dazu beizutragen, eine rasche Klärung der rechtlichen Grundlage für die Nachfolgemission „Resolute Support“ herbeizuführen. Denn wenn wir als Teil der internationalen Gemeinschaft dieses Land und seine Menschen moralisch, ökonomisch und politisch alleine ließen, wenn wir wegschauten und insgeheim oder ganz offen froh wären, dass wir 2014 zu mehr oder weniger großen Teilen raus sind aus der Sache, dann machten wir einen folgenschweren Fehler. Deshalb möchte ich – hoffentlich zum letzten Mal – um Ihre Zustimmung zu einer Verlängerung des ISAF-Mandats werben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3146800
Wahlperiode 18
Sitzung 17
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Afghanistan (ISAF)
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