20.02.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 17 / Tagesordnungspunkt 9

Klaus ErnstDIE LINKE - Strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute sprechen wir die zweite Woche hintereinander über dieses Thema. Trotzdem noch einmal: Um was geht es uns? Es geht uns darum, dass wir die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen wollen. Warum? Es gibt eigentlich in § 370 der Abgabenordnung die klare Regelung: Steuerhinterziehung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, in besonders schweren Fällen sogar mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

Ich weiß nicht, ob das auch Ihnen aufgefallen ist. Mir ist aufgefallen, dass, obwohl wir dauernd von schweren Fällen der Steuerhinterziehung hören, niemand sitzt. Keiner! Offensichtlich gibt es bei uns Möglichkeiten, sich bei Steuerhinterziehung von der Strafe zu befreien, sozusagen die Möglichkeit der Strafhinterziehung. Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen müssen, weil in der Bevölkerung langsam der Eindruck entsteht: Die Großen lässt man laufen, und die Kleinen gehen in den Knast.

Warum ist das so? Warum kann man sich bei Steuerhinterziehung sozusagen der Strafe entziehen? Weil wir die §§ 371 und 398 a der Abgabenordnung haben, die besagen, dass es automatisch – das unterscheidet diesen Punkt von vielen anderen – zu keiner Strafe kommt – automatisch! –, wenn der Steuerhinterzieher sich selbst anzeigt, die Steuern nachzahlt – nicht alles, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum – und in besonders schweren Fällen 5 Prozent Strafsteuer zahlt. Dann wird von einer Strafverfolgung automatisch abgesehen. Das heißt, man ist auch nicht vorbestraft. Man muss im Gegensatz zu vielen anderen, die eine Straftat begangen haben, vor keinen Richter.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zinsen muss man auch zahlen! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Steuerschulden muss man ja auch nachzahlen!)

– Ja, Zinsen muss man auch zahlen. Wer die zahlt, wird sich hinterher wahrscheinlich vom Balkon stürzen.

Meine Damen und Herren, da fragt man sich als Bürger natürlich: Ist das eigentlich gerecht? Natürlich fragt sich auch der kleine Ladendieb, der vor den Richter muss: Ist das in Ordnung? Der Verkehrssünder, der Zechpreller, der Kleinkriminelle, alle fragen sich: Ist das eigentlich okay? Auch wenn es um relativ geringe Beträge geht, müssen sie zumindest vor den Richter. Der Richter hat dann die Möglichkeit, zu entscheiden: Ist das ein ganz besonders schlimmes Vergehen? Muss der in den Knast oder nicht? – Bei Riesenbeträgen greift aber die Automatik, dass man sich nicht einmal für seine Tat zu verantworten hat.

Meine Damen und Herren, unser Antrag will – deshalb stellen wir ihn – wieder Gleichheit vor dem Recht für alle Bürger herstellen; das ist das Ziel unseres Antrags. Das haben wir gegenwärtig nämlich nicht. Genau aus diesem Grund erscheint die Straftat Steuerhinterziehung dem Bürger nach wie vor als Kavaliersdelikt. Ich habe in der letzten Woche viele Reden gehört, in denen es hieß: Ja, aber wir wollen nicht, das ist kein Kavaliersdelikt.

(Margaret Horb [CDU/CSU]: Das haben wir gar nicht gesagt!)

Durch die Straffreiheit machen wir Steuerhinterziehung jedoch zum Kavaliersdelikt. Deshalb müssen wir das Ganze ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir schlagen vor, die Strafbefreiung bei Selbstanzeige abzuschaffen; dann ist alles wieder im Lot und jeder wird gleich behandelt.

Ich freue mich, dass der Kollege Andreas Schwarz von der SPD in der Debatte letzte Woche gesagt hat:

Genau darum geht es. Dann kann der Richter abwägen, wie schwer die Straftat eigentlich ist; aber es gibt keine Automatik mehr. Herr Schwarz hat eine Übergangsfrist für das Auslaufen der aktuell gültigen Regelung vorgeschlagen. Das kann man machen für eine bestimmte Zeit; aber dann muss Schluss sein.

Natürlich müssen wir Bagatellen regeln: Wenn einer bei seiner Steuererklärung eine Frist nicht eingehalten hat, ist das sicherlich anders zu werten, als wenn einer Millionenbeträge hinterzogen hat.

Über einige Argumente in der letzten Debatte habe ich mich gewundert, meine Damen und Herren. Hans Michelbach hat letzte Woche gesagt: „Es ist nicht verboten, Geld im Ausland anzulegen.“ Der ist aber schlau! Als wäre es in der Debatte darum gegangen, dass man kein Geld mehr im Ausland anlegen dürfe. Also, mit welcher Ernsthaftigkeit manchmal die Debatten hier geführt werden, da dreht es einem ja wirklich langsam den Magen um. Dann hat er gesagt:

Also wenn man fordert, dass sich bitte schön auch Steuersünder vor dem Kadi zu verantworten haben, dann ist das schon Klassenkampf? Für jemanden, der so denkt, muss dann eine Ansammlung von drei Bürgern mit Plakaten schon Bürgerkrieg sein. Da kann ich wirklich nicht mehr folgen, meine Damen und Herren.

(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie wollten eine sachliche Debatte führen! Mann, Mann, Mann!)

– Dann gehen Sie einmal zu Herrn Michelbach; er hat die Debatte so begonnen.

(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Ich denke, ich höre Sie jetzt!)

Herr Graf Lerchenfeld, ich habe auch Ihnen genau zugehört. Sie haben gesagt, auch Brandstifter könnten Strafbefreiung bekommen: wenn sie löschen. Das Einzige, was mir an diesem Argument gefällt, ist, dass Sie Steuerhinterzieher mit Brandstiftern vergleichen. An diesem Vergleich ist was dran: Das eine betrifft vielleicht ein Häuschen, das andere das Klima in der Gesellschaft. Sie haben jedoch vollkommen vergessen, darauf hinzuweisen, dass derjenige, der ein Haus angezündet hat, sich in jedem Fall vor einem Richter verantworten muss, der prüft, ob er auch anständig gelöscht hat und nicht nur ein wenig gespritzt hat. Genau das ist das Problem bei der strafbefreienden Selbstanzeige: Kein Richter prüft, was der Steuerhinterzieher eigentlich wirklich gemacht hat.

Meine Damen und Herren, warum hat sich denn Herr Hoeneß angezeigt, Herr Graf Lerchenfeld? Weil er tätige Reue zeigen wollte? War es tätige Reue bei Herrn Hoeneß? Herr Graf, das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Herr Hoeneß hat sich angezeigt, weil er aufgeflogen war. Er hat zu diesem Mittel gegriffen, um sich letztendlich vor dem Knast zu retten. Vielleicht gelingt ihm das jetzt nicht – das ist eine andere Frage –; aber das war sein Motiv. Mit der Strafbefreiung bei Selbstanzeige hat das nur insofern etwas zu tun, als dass sie dazu beigetragen hat, dass der Fall in die Öffentlichkeit kam.

Ein letztes Argument; dann bin ich auch gleich fertig, Frau Präsidentin.

Ja – ein letztes!

Da ging es um die Frage „Volle Kassen statt voller Gefängnisse“. Wenn das im Strafrecht zu Ihrem Prinzip wird, dann bin ich gespannt darauf, wie unser Land künftig aussieht.

Ich sage zum Schluss: Wir brauchen Rechtsgrundsätze, die für alle gelten, und wir brauchen ein Klima in unserem Land, das so beschaffen ist, dass es den reicheren Bürgern auch nicht gelingt, sich von Strafverfolgung freizukaufen – so wie es jetzt Tatbestand ist.

(Beifall bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ach nein! – Dr. Philipp Murmann [CDU/CSU]: Wir sind alle gleich!)

Danke, Herr Kollege.

Als Nächste hat das Wort Bettina Kudla für die CDU/ CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Metin Hakverdi [SPD])

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke – wir haben es gerade von Herrn Ernst gehört – fordert in ihrem Antrag die Abschaffung der angeblichen Straffreiheit bei Steuerhinterziehung bei einer Selbstanzeige. Als Begründung führen Sie an, dass keine Strafverfolgung erfolgen würde.

Bemerkenswert ist: Die Erzielung von Steuereinnahmen zuzüglich Zinsen durch das Eintreiben von hinterzogenen Steuern spielt in Ihrem Antrag überhaupt keine Rolle.

Steuerhinterziehung ist eine Straftat, und wer bei Steuerhinterziehung durch die Strafverfolgungsbehörden erwischt wird, hat sich in Deutschland strafrechtlich zu verantworten.

Leider wird Steuerhinterziehung in vielen Fällen aber nicht entdeckt. Daher wurde vor Jahrzehnten das wirksame Instrument der Selbstanzeige geschaffen. Die Finanzbehörden sind nämlich darauf angewiesen, dass der Steuerpflichtige richtige und vor allem vollständige Angaben macht.

Die Abschaffung der Selbstanzeige würde nicht zwangsläufig zu weniger Steuerhinterziehung führen. Im Gegenteil! Die Finanzbehörden können Steuerhinterziehung nämlich in der Regel nicht aufdecken, wenn der Steuerpflichtige nicht mitwirkt.

Das Instrument der Selbstanzeige wurde vor fast drei Jahren durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verschärft. Die Selbstanzeige ist folglich nicht mehr als Gestaltungsinstrument für Steuerhinterziehung nutzbar. Selbstverständlich muss die Selbstanzeige aber weiterhin als Korrekturmöglichkeit, insbesondere bei der Umsatzsteuer, bestehen bleiben.

Durch den Strafzuschlag von 5 Prozent bei größeren Beträgen stellt sich der Steuerhinterzieher schlechter als der steuerehrliche Bürger. Das ist der springende Punkt, und den haben Sie in Ihren Ausführungen verschwiegen, Herr Ernst.

Wer gegen Steuerhinterziehung vorgehen will, muss sich vor allem aber auch dem Thema Steuervermeidung widmen. Wir leben in einer globalisierten Volkswirtschaft. Internetunternehmen und Unternehmen mit einem hohen Exportanteil haben es etwas leichter, die Steuerpflicht von einem Land in ein anderes zu verschieben. Sie können sich also viel leichter der Besteuerung entziehen als andere Unternehmen.

Wir müssen daher gegen aggressive Steuergestaltung vorgehen. Das Regelwerk, welches die OECD zum automatischen und grenzüberschreitenden Informationsaustausch vergangene Woche vorgelegt hat, wurde von der Bundesregierung begrüßt, und auch der Koalitionsvertrag enthält in dem Kapitel „Steuerhinterziehung bekämpfen – Steuervermeidung eindämmen“ wichtige steuerpolitische Ziele, wie zum Beispiel die Bekämpfung der doppelten Nichtbesteuerung und des doppelten Betriebsausgabenabzugs. Die DBAs sollten diesbezüglich überprüft werden. Insbesondere der Betriebsausgabenabzug bei Geschäftsbeziehungen mit Briefkastenfirmen ist ebenfalls kritisch zu hinterfragen.

Wir brauchen mehr Transparenz in Steuersachen, und zwar insbesondere in den Branchen, in denen Steuerhinterziehung besonders leicht möglich ist, nämlich in der Finanzbranche und in der Rohstoffbranche.

Wir wollen Besteuerungslücken schließen. Das schaffen wir insbesondere mit einem verbesserten Informationsaustausch. Es gilt, diesen Teil des Koalitionsvertrages trotz aller Komplexität und Hürden zügig umzusetzen;

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

denn das liegt nicht nur im Interesse der öffentlichen Haushalte, sondern das ist auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit.

Kleine und mittelständische Unternehmen sind hier gegenüber großen Unternehmen häufig benachteiligt, da sich große Unternehmen leichter der Besteuerung entziehen können. Ich warne allerdings vor einem Generalverdacht und vor einer zu emotionalen Debatte. Nicht jeder große Konzern begeht Steuerhinterziehung.

Grundsätzlich gilt: Ziel aller Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung ist meines Erachtens nicht, die Leute unbedingt in den Knast zu bekommen, Ziel der Maßnahmen ist in erster Linie, die Steuern einzutreiben. Der Staat muss das eintreiben, was ihm gesetzlich zusteht. Die Steuergesetze müssen eingehalten werden.

Wir müssen uns immer fragen: Was steht denn jetzt im Vordergrund: die strafrechtliche Verfolgung oder die Zahlung von Steuern? Steuern stehen der Allgemeinheit zu. Wer hier die Abschaffung der Selbstanzeige fordert, der verhindert Steuereinnahmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zusatzfrage oder Bemerkung von Herrn Ernst?

Bitte schön.

Kollege Ernst, bitte.

Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Wenn ich Sie richtig verstehe, ist bei Ihnen das oberste Motiv des Strafrechts, die Einnahmen des Staates zu erhöhen, oder habe ich Sie da falsch verstanden?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie falsch verstanden!)

Sie haben gerade gesagt: Wir wollen mit diesem Instrument dazu beitragen, zu möglichst hohen Einnahmen für den Staat zu kommen. Das ist gut und schön; das wollen wir ja auch. Aber es handelt sich hier um eine Straftat, die unterschiedlich behandelt wird.

Wenn dieser Grundsatz prinzipiell gelten würde, dann wäre es nicht das oberste Ziel der Strafverfolgung, künftige Straftaten durch Androhung einer Strafe zu vermeiden, sondern das oberste Ziel wäre es dann, die Einnahmen des Staates zu fördern. Würde das dann allgemein gelten oder nur bei Steuerhinterziehung?

Sie führen die Diskussion ideologisch.

(Zuruf von der LINKEN: Niemals!)

Oberstes Ziel der Steuergesetze ist es, die Steuern einzutreiben. Wie ich bereits sagte: Steuerhinterziehung ist strafbar. Die Selbstanzeige ist ein Instrument, das zu mehr Steuerehrlichkeit beiträgt. Machen wir uns nichts vor: Wenn wir das Instrument der Selbstanzeige abschaffen, dann werden wir der Steuerhinterziehung kaum beikommen. Wir werden diese Straftaten schlichtweg nicht aufdecken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nach wie vor gilt die Regelung: Wer Steuern hinterzieht, macht sich strafbar.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wird aber nicht besteuert!)

Durch die Zahlung des Strafzuschlages von 5 Prozent erlangt der Steuerpflichtige zwar Straffreiheit, aber er muss diese Strafe zahlen. Damit ist es für den Staat erheblich günstiger.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Er ist nicht einmal vorbestraft!)

Gut, danke schön. Weiter in Ihrer Rede!

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Schweiz sagen. Die Ausgangslage für Gespräche mit der Schweiz ist nach der Ablehnung des bilateralen deutsch-schweizerischen Steuerabkommens durch den Bundesrat und auch nach dem aktuellen Schweizer Referendum zur Zuwanderung nicht einfacher geworden. Trotzdem sollte man hier den Willen des Volksentscheids akzeptieren. Aber die Europäische Kommission sollte gleichzeitig die Gespräche mit der Schweiz über die Revision des Zinsbesteuerungsabkommens fortsetzen.

Fazit: Es gilt, den Koalitionsvertrag umzusetzen und die Regelungen zur Selbstanzeige gegebenenfalls zu verschärfen, sobald die Vorschläge der Arbeitsgruppe, welche von der Finanzministerkonferenz eingesetzt wurde, vorliegen. Keinesfalls darf die Verschärfung aber dazu führen, dass die Selbstanzeige wirkungslos wird und dass sich faktisch niemand mehr anzeigt. Die Regelung zur Selbstanzeige ist übrigens nicht mit der Zielrichtung der Abschaffung in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden, –

Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.

– sondern mit der Absicht, diese zielgenauer auszugestalten. Der Antrag der Linken ist abzulehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Danke, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist Lisa Paus für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3147197
Wahlperiode 18
Sitzung 17
Tagesordnungspunkt Strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung
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