Christian FlisekSPD - Vorratsdatenspeicherung
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorratsdatenspeicherung stellt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar. Sie ist deswegen besonders schwerwiegend, weil der Eingriff – ich zitiere hier das Gericht aus seiner Entscheidung im Jahre 2010 – mit einer Streubreite verbunden ist, „wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“. Das sind selbst für jemanden wie mich, der berufsbedingt schon viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gelesen hat, durchaus beeindruckende Worte. Ich stelle diese Bewertung des Gerichts bewusst an den Anfang meiner Rede. Dieser Ausgangspunkt sollte uns, bezogen auf die heutige Debatte, dazu ermahnen, dass wir in dieser Frage nicht in politischen Aktionismus verfallen.
(Beifall bei der SPD)
Denn Aktionismus wird diesem Thema in keinster Weise gerecht.
Wir brauchen in dieser Debatte kein Gerede von Supergrundrechten, die zum Glück nur scheinbar alle anderen Freiheitsrechte niederwalzen, in Wirklichkeit aber nichts anderes sind als politische Etiketten.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)
Wir brauchen in dieser Debatte auch keine Abgesänge auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Ich sage das auch an die Kolleginnen und Kollegen von der CSU gerichtet: Ich meine, wer das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, eine der Säulen des Grundrechtsschutzes im Internet, als eine „Idylle aus vergangenen Zeiten“ bezeichnet, der entzieht den Bürgerinnen und Bürgern jede Vertrauensgrundlage für ihre Kommunikation im Internet.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es ist doch gerade unsere Aufgabe als Parlamentarier, hier im Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, dass solche Freiheitsrechte auch in Zeiten weltweiter digitaler Kommunikation vital bleiben, dass sie stark bleiben und dass sie nicht mit, wie ich finde, unangemessenen Bemerkungen beerdigt werden.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich bin aus diesem Grunde auch sehr froh, dass der Bundesjustizminister eines deutlich gemacht hat: dass der Koalitionsvertrag zwar die Umsetzung der EU- Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorsieht, dass wir aber gerade nicht, nur weil dies im Koalitionsvertrag steht, hier in politischen Aktionismus verfallen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
sondern jetzt nach Jahren der Debatte mit etwas Geduld die in Kürze anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes abwarten werden.
(Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])
Aus ganz analogen Zeiten ist ein interessantes Goethe-Zitat überliefert: „Wer das Recht hat und Geduld, für den kommt auch die Zeit.“ Meine Damen und Herren von der Opposition, damit steht für mich eines fest: Für Ihre beiden Anträge, die Sie heute hier eingebracht haben, ist die Zeit noch nicht gekommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie können doch nicht allen Ernstes dem Bundesjustizminister dafür Beifall klatschen, dass er sich dem politischen Aktionismus des einen Teiles dieses Hauses erfolgreich widersetzt
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das hat er nur einen Tag gemacht!)
– ich finde im Übrigen, Sie klatschen da völlig zu Recht –, und gleichzeitig mit Ihren heutigen Anträgen zur Vorratsdatenspeicherung denselben Aktionismus, den Sie zuvor kritisieren, wieder auf die Tagesordnung rufen.
(Beifall bei der SPD)
Ich meine, das wird dieser Sache nicht gerecht.
Warum nehmen Sie sich nicht mit uns zusammen die Zeit, um erstens das anstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofes abzuwarten und es zweitens anschließend sorgfältig auszuwerten? Wir sind natürlich ein souveränes Parlament. Diese Souveränität sollte uns aber nicht daran hindern, auch vor den obersten Gerichten in Europa etwas Respekt zu haben, insbesondere dann, wenn ein anhängiges Verfahren, das in ganz Europa mit Spannung erwartet wird, kurz vor dem Abschluss steht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich kann nur sagen: Gemach! Manchmal kann auch Geduld eine politische Tugend sein. Aktionismus ist es jedenfalls nicht, insbesondere nicht in so grundlegenden Fragen.
Wir alle kennen die Schlussanträge des Generalanwalts. Sie zeigen in eine klare Richtung. Es deutet viel darauf hin, dass die Richtlinie, so wie wir sie kennen, keinen Bestand haben wird. In welchem Umfang diese Richtlinie aber nach dem Urteil fortbesteht, ist völlig offen. Sollte das Gericht die Richtlinie vollständig kassieren, dann haben wir, zumindest nach meinem Verständnis, auch keine Umsetzungspflicht mehr.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Herr Maas sieht das anders!)
Der Bundesjustizminister sprach in seinem Spiegel-Interview, Frau Kollegin, insofern sehr deutlich und zu Recht vom Wegfall der Geschäftsgrundlage;
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, darauf setzen wir! Da nehmen wir ihn beim Wort!)
ich empfehle es Ihnen zur Lektüre.
Dann aber – auch das müssen wir alle wissen – beginnt die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und in Europa völlig neu. Sollte das Gericht die Richtlinie nur in Teilen, in einzelnen Punkten, kassieren, müssen all diese Punkte dann geklärt werden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den Schlussanträgen wissen wir genau, welche Punkte besonders im Feuer stehen: Es ist die unverhältnismäßige Speicherdauer, es sind die unbestimmten Speicherzwecke, es ist die Frage, wo die Daten gespeichert werden, und es ist die Frage, wie wir Geheimnisträger, etwa Ärzte, Rechtsanwälte und Seelsorger, besonders schützen können.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine ganze Menge von Punkten!)
Was ich damit sagen will: Wir bekommen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr schnell eine neue Debatte über die Vorratsdatenspeicherung – aber eben erst nach dem Urteil. Deswegen kommen Ihre Anträge, meine ich, völlig zur Unzeit.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine abschließende Bemerkung machen. Die große strategische Herausforderung in den nächsten Jahren wird sein, dass wir auf der Basis unseres Grundrechtsverständnisses Standards für große Datenspeicherungen gleich welcher Art hinbekommen müssen, sowohl für Datenspeicherungen auf der Grundlage staatlicher Befugnisnormen zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr als auch für die massenhaften Datenspeicherungen im E-Commerce und bei sozialen Netzwerken. Für all diese Arten von Datenspeicherungen müssen wir Standards entwickeln, Standards, die die Bürgerinnen und Bürger auf hohem Niveau schützen. Es wird nicht nur darum gehen, diese Standards in Deutschland oder in Europa zu verwirklichen, sondern – das ist meine feste Überzeugung – es wird und muss strategisch auch darum gehen, den Weg für ein weltweites Datenschutzrecht freizumachen, für ein Datenschutzrecht auf völkerrechtlicher Ebene.
Der kürzlich ausgeschiedene Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar stellte völlig zu Recht fest: „Datenschutz muss Völkerrecht werden.“ Nur so ist der Datenschutz auf Augenhöhe mit weltweit operierenden digitalen Geschäftsmodellen und mit weltweit mobilen Nutzern, aber auch mit weltweit operierenden Geheimdiensten. Bei dieser Entwicklung dürfen wir uns nicht in die Schützengräben begeben, sondern wir müssen konstruktiv an der Entwicklung dieser Standards mitarbeiten. Nur so können wir die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger auf hohem Niveau schützen. Nur so wird das Internet auf Dauer seine Vertrauensbasis erhalten können. Die Umsetzung des anstehenden Urteils des EuGH kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Ich sage aber: Lassen Sie uns bis dahin erst einmal abwarten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Haus sagt auch Ihnen herzlichen Dank und gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
(Beifall)
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Einsatz für die Bürgerrechte in unserem Land.
Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3148148 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 18 |
Tagesordnungspunkt | Vorratsdatenspeicherung |