Rüdiger VeitSPD - Aktuelle Stunde zum Staatsangehörigkeitsrecht
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Parlamentarische Geschäftsführerin hat mir eben noch mit auf den Weg gegeben: Denk dran, das sind jetzt Freunde!
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Ja, genau! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Auch wenn es schwerfällt!)
Gemeint waren die Kollegen von der CDU/CSU. – Ich bitte um Verzeihung, Herr Kollege Strobl, wenn ich in dieser Hinsicht noch ein bisschen üben muss.
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Wir sitzen in einem Boot! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man aufschreiben, sonst merkt man es sich nicht!)
Trotzdem muss ich mich Ihnen in mindestens einem Punkt zuwenden.
Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Drei rot-grün geführte Bundesländer haben nichts anderes gemacht, als das in einen Gesetzentwurf zu kleiden, was seit 20 und mehr Jahren die Position der Sozialdemokraten ist.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ja, das ist eine parteipolitische Instrumentalisierung des Bundesrats! – Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Was ist denn daran sensationell? Was ist daran neu? Neu und sensationell wäre es, wenn das Gegenteil von dem geschehen wäre. Aber in diesem Fall handelt es sich um ein selbstverständliches Bekenntnis zu unseren Grundsatzpositionen.
Ich höre gerade den berechtigten Zwischenruf: So ist das jetzt nun einmal in einer Koalition. – Ich bin einer von denjenigen, die diese Formulierung des Koalitionsvertrages nicht gerade mit großem Entzücken gelesen haben, sondern mit großer Sorge.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fehler kann man korrigieren!)
Ich bin mir auch nicht hundertprozentig sicher, dass alle, die daran beteiligt waren, so genau wussten, was das möglicherweise in der gesetzestechnischen Umsetzung bedeutet. Das ist in Koalitionen nun einmal so, sowohl auf Bundesebene als auch auf Länderebene.
Da ich gerade auf die Länderebene zu sprechen komme, lieber Volker Beck: Die gleiche Formulierung findet sich in Zeile 2 695 des schwarz-grünen Koalitionsvertrages in Hessen.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können, dass ausgerechnet Tarek Al-Wazir diese Formulierung akzeptiert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich werfe es doch gar nicht euch vor, ich werfe es denen vor!)
Wenn man – wie ich – gehört hat, lieber Volker, wie Tarek die Diskussion in seiner eigenen Familie beschreibt – da geht es um die Frage: Wer ist Jemenit, wer ist Jemenit und Deutscher, wer ist vielleicht nur Deutscher? –, dann kann man sich nur sehr schwer vorstellen, dass er eine solche Vereinbarung tatsächlich akzeptiert.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Auf die Aktuelle Stunde hättet ihr besser verzichtet!)
Die Formulierung finde ich mindestens so bedauerlich wie das, was wir in der Großen Koalition auf Bundesebene vereinbaren mussten. Aber wir werden nicht müde werden, das noch zu ändern.
Auf ein paar Aspekte muss man immer wieder hinweisen, weil sie doch die Sichtweise verstellen. Herr Kollege Strobl, jetzt komme ich doch noch einmal zu meinen neuen Freunden; ich bitte um Nachsicht. Sie haben vorhin im Zusammenhang mit dem Beispiel von Abida so getan, als sei es ein besonderes Geschenk, dass jemand die deutsche Staatsbürgerschaft hat, obwohl er überwiegend in der Türkei gelebt hat.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht mal ein türkischer Name!)
Dabei übersehen Sie – wie so viele, die darüber diskutieren –, dass Abida selbstverständlich die deutsche Staatsbürgerschaft behalten
(Beifall der Abg. Gülistan Yüksel [SPD])
und weiterhin in Istanbul, Ankara oder in Anatolien leben könnte.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, genau!)
Es wird nämlich immer übersehen: Es ist keine Belohnung, die man jemandem sozusagen hinterherwirft,
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Aber wir wollen, dass sie optieren!)
sondern die betreffende Person hat kraft Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft und muss sich bis zum 23. Lebensjahr entscheiden, ob sie sie behalten möchte. Sie kann leben, wo immer sie will; wenn sie sagt: „Ich möchte die deutsche Staatsbürgerschaft behalten“, dann kann sie sich trotzdem weiterhin in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, oder in einem beliebigen anderen Land, in dem sie bisher gelebt hat, aufhalten.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Aber keine Doppelstaatsbürgerschaft, Kollege Veit! Die müssen sich entscheiden! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann wird sie trotzdem Bundeskanzlerin! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wird sie trotzdem Deutsche!)
Es geht deshalb nicht um Privilegierungen oder um Belohnungen, sondern es geht um die Frage vernünftiger Regelungen.
Im Übrigen: Das Merkmal „aufgewachsen“ ist der Regelung aus dem Jahr 1999 immanent. Der heutige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Dr. Hans-Georg Maaßen, hat damals in der Abteilung M des Innenministeriums an der Gesetzgebung mitgewirkt. Er hat in der Kommentierung von Hailbronner, die jeder, der sich mit Ausländerrecht beschäftigt, kennt, niedergeschrieben, dass man davon ausgeht, dass die hier in Deutschland in zweiter und dritter Generation geborenen Kinder ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger einen verfestigten Aufenthalt haben, also bereits per se in Deutschland integriert sind. Das ist sozusagen systemimmanent; das folgt der Logik des Gesetzes. Das ist durch die Optionspflicht im Prinzip auch nicht geändert worden. Vor dem Hintergrund bitte ich sehr um Verständnis, dass wir mit Ihnen und selbstverständlich auch mit dem Ministerium versuchen werden, einen vernünftigen Weg zu finden.
Wenn es um die Frage geht, ob das jemanden provoziert hat, kann ich nur sagen: Ach, nun seid doch nicht so empfindlich. Dass Bundesländer, egal welcher Couleur, im Bundesrat etwas anderes machen als die jeweils im Bund regierende Koalition, das ist doch nichts Neues; das ist Tagesgeschäft.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll sogar bei Herrn Seehofer schon mal vorgekommen sein! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wenn es keine parteipolitische Instrumentalisierung ist! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben Föderalismus überhaupt nicht verstanden, was?)
Wer das anders sieht, der hat dieses System nicht recht verstanden.
Im Übrigen ist es – jetzt muss ich doch noch aus der Rolle, die mir Dagmar Ziegler empfohlen hat, fallen; aber nur ganz kurz – kein freundlicher Akt, einen Referentenentwurf auf den Weg zu bringen, ohne dem Koalitionspartner zuvor eine Lektüremöglichkeit eingeräumt zu haben.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind ja Zustände! Spätrömische Dekadenz! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Koalition, wenn einer nur bestimmt!)
Diese milde Rüge ist aber akzeptiert worden. Deswegen skandalisiere ich das nicht zu einem großen koalitionspolitischen Problem. Wir sind jetzt verpflichtet, nach bzw. in der Ressortabstimmung miteinander eine praktikable Regelung zu finden.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei solchen Verhältnissen würde ich mich für getrennt leben entscheiden!)
Daran werden wir mitwirken. Dass die Regelung möglichst verwaltungsfreundlich sein soll, darf ich bei der Gelegenheit ebenfalls betonen.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Auf Basis des Koalitionsvertrages!)
– Auf der Basis des Koalitionsvertrages.
Herr Kollege.
Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. – Da kann man aber auch die Lesart von Volker Beck vertreten und sagen: Die Formulierung „und aufgewachsen“ passt ganz gut in die Kategorie derer – auf die § 40 b des Staatsangehörigkeitsgesetzes zielt –, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens unseres Gesetzes noch keine zehn Jahre waren.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! So habe ich das immer gelesen! Ich war ja nicht dabei!)
Da kann man vielleicht noch sagen: Es ist sinnvoll, an „und aufgewachsen“ anzuknüpfen. Bei anderen gilt das vielleicht weniger.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Man muss sich nicht die Absurditäten des Kollegen Beck zu Eigen machen!)
– Gleich geraten wir in ein Koalitionsgespräch. Es ist vielleicht nicht so günstig, das öffentlich zu führen.
Herr Kollege Veit, meine Nachsicht ist jetzt zu Ende.
Frau Präsidentin, ich schließe meinen Beitrag und bedanke mich für die Geduld.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Übrigen auch eine Doppelstaatlerin! Problemlos!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3206749 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 19 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zum Staatsangehörigkeitsrecht |