Katja DörnerDIE GRÜNEN - Chancengleichheit für Frauen und Männer im Beruf
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Antrag und auch die Reden der Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen erinnern mich an einen kleinen Reim aus meiner Schulzeit – etwas salopp –: Lyrik ist schwyrig, sie wird schnell schmyrig. – Genau das passiert nämlich hier.
Warum ist das so? Schließlich liest sich der Antrag erst einmal ganz gut. Die Koalitionsfraktionen greifen ein wirklich wichtiges Thema auf, nämlich die Zeitpolitik. Im Intro des Antrags wird der zeitliche Druck, der auf Familien lastet, sehr richtig beschrieben, so auch der Wunsch insbesondere vieler Väter, mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen zu können, und der Wunsch vieler Eltern, Erwerbs- und Familienarbeit endlich partnerschaftlich aufteilen zu können. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, schöne Lyrik reicht eben nicht. Von schöner Lyrik haben Familien noch längst nicht mehr Zeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn man sich den langen Forderungsteil des Antrags anschaut, dann stellt man fest: Er bleibt weitgehend blumig; alles bleibt im Ungefähren. Wenn alle, ausnahmslos alle Forderungen an die Bundesregierung ausdrücklich unter Haushaltsvorbehalt gestellt sind, dann müssen sich die Frauen trotz dieser schönen Lyrik sehr konkret Sorgen machen, wie es mit der Beförderung von Chancengleichheit und Gleichstellung durch diese Bundesregierung aussehen wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde, das ist in der Woche nach dem Internationalen Frauentag ein schlechtes Signal. Dabei hätten doch gerade die Frauen, die dreieinhalb Jahre mit einer Ministerin zu tun hatten, die – ich will es einmal so ausdrücken – eine durchaus eigenwillige Vorstellung von Frauenpolitik und Feminismus hatte,
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist aber jetzt ganz höflich ausgedrückt!)
endlich einen richtigen Schub in der Frauenpolitik verdient.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte die Zeitpolitik tatsächlich für eine sehr wichtige Frage. Dass die Regierungsfraktionen einen ellenlangen Antrag dazu schreiben, der aber in mickrige, unkonkrete Vorschläge mündet,
(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Na, Frau Dörner, so aber nicht!)
bestätigt mich doch sehr stark in meinem Eindruck, dass sich die Große Koalition sehr bewusst vor den schwierigeren Themen wegduckt, die wir aber auch angehen müssen, wenn es uns tatsächlich um die Gleichstellung von Frauen geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Welche Themen sind das? Das sind zum einen die Minijobs. Rund zwei Drittel der Minijobber sind weiblich. Mehr als die Hälfte verdient weniger als 8,50 Euro die Stunde. Es ist klar: Die Minijobs haben sich als eine berufliche Sackgasse insbesondere für Frauen erwiesen. Wir brauchen deshalb dringend eine Reform des Niedriglohnsektors. Die Minijobs müssen durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ersetzt werden.
(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Abschaffen müssen wir die Minijobs!)
Wir brauchen insbesondere Anreize für eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Das Kabinett hat in dieser Woche den Fortschrittsbericht zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung beraten. Wir haben dazu eine Befragung der Bundesregierung durchgeführt. Es ist ganz aktuell deutlich geworden: Deutschland hat im EU-Vergleich die niedrigste Erwerbsbeteiligungsquote von Frauen. Dabei will jede fünfte Frau mit Teilzeitjob gerne mehr arbeiten. Hier muss ganz klar die Bundesregierung handeln. Die absehbare Dauertauchstation der Großen Koalition werden wir Grüne im Interesse der Frauen nicht akzeptieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Koalition duckt sich auch beim Thema Ehegattensplitting weg. Ich finde es regelrecht fahrlässig, dass die Union hier weiterhin die drei Affen gibt: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Die Gesamtevaluation der familienbezogenen Leistungen, die die vorherige Große Koalition selbst in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Ergebnis, dass das Ehegattensplitting erhebliche negative Auswirkungen hat. Weil die Mütter ihre Arbeitszeit verkürzen und dadurch berufliche Nachteile haben, stärkt das Ehegattensplitting trotz der steuerlichen Vorteile langfristig die wirtschaftliche Situation der Familien gerade nicht. Es führt vielmehr zu einer Verdrängung von Frauen aus dem Arbeitsmarkt. Das macht die Evaluation ganz deutlich.
Diese Ergebnisse werden seit Jahren von Studie zu Studie, inklusive des angesprochenen Gleichstellungsberichts der Bundesregierung, immer wieder bestätigt. Sie haben gesagt, Frau Ministerin, Sie wollen den Gleichstellungsbericht aus der Schublade holen. Es wäre besser gewesen, Sie hätten ihn aus der Schublade geholt, bevor dieser Antrag geschrieben wird. Dann wären nämlich deutlich konkretere Forderungen zu erwarten gewesen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wer es mit der Chancengleichheit von Frauen und Männern ernst meint, der kommt an einer Reform des Ehegattensplittings nicht vorbei. Aber was auch klar sein muss: Eine solche Reform darf natürlich nicht zulasten der materiellen Absicherung von Familien gehen; das ist uns Grünen ganz wichtig. Wir wollen eine Familienförderung, die sich nicht am Trauschein festmacht, sondern wir brauchen Instrumente, mit denen Kinder direkt gefördert werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was das Wegducken angeht: Dass das Betreuungsgeld bleibt, ist ein frauenpolitischer Offenbarungseid dieser Bundesregierung und insbesondere der SPD.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte noch auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so viel mit Chancengleichheit zu tun hat. In der vergangenen Woche wurde eine EU-Studie vorgestellt – mit erschreckendem Ergebnis: EU-weit ist jede dritte Frau Opfer sexueller oder physischer Gewalt. Die Gefahr häuslicher Gewalt ist ganz besonders groß: 22 Prozent aller Frauen haben Gewalt durch den eigenen Partner erlebt.
Gewalt gegen Frauen ist ein brandaktuelles Thema. Ich war gestern bei der Abschlussveranstaltung der Kampagne der Frauenhäuser: „Schwere Wege leicht machen“. Auch diese Kampagne macht ganz deutlich: Es ist nicht akzeptabel, dass die Frage der Finanzierung der Frauenhäuser im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, die guten und konstruktiven Vorschläge aus den Debatten der vergangenen Legislaturperiode aufzugreifen. Wir Grüne sind ganz klar der Meinung, dass sich der Bund endlich an einer soliden Finanzierung der Frauenhäuser beteiligen muss, damit von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder überhaupt den Hauch einer Chance auf Chancengleichheit in ihrem Leben haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Jetzt hat die Kollegin Birgit Kömpel das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3211322 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 21 |
Tagesordnungspunkt | Chancengleichheit für Frauen und Männer im Beruf |