19.03.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 22 / Zusatzpunkt 1

Hiltrud LotzeSPD - Aktuelle Stunde zu Laufzeiten für Atomkraftwerke

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme aus dem Wahlkreis Lüchow-Dannenberg – Lüneburg. In Lüchow-Dannenberg liegt Gorleben, und in Gorleben befindet sich das oberirdische – ich betone ausdrücklich: das oberirdische – Transportbehälterlager für hochradioaktiven Atommüll. In den Jahren 1995 bis 2011 sind dort 113 Castorbehälter abgestellt worden. Sie stehen schön aufgereiht in einer ebenerdigen Halle aus Stahlbeton mit einem Dach aus Betonplatten. Im Volksmund wird sie Kartoffelscheune genannt. Das gibt einen Hinweis darauf, dass das auf Dauer nicht die richtige Behausung für die Castorbehälter ist.

In dieser Halle zu stehen, ist ein besonderes Erlebnis. Ich empfehle das allen. Man sieht diesen Behältern nicht an, welche tödliche Gefahr sich in ihnen verbirgt. Man riecht nichts. Man schmeckt nichts. Aber man spürt die Hitze, die von den Brennelementen ausgeht.

Die Region Lüchow-Dannenberg trägt seit mehr als drei Jahrzehnten die größten Lasten aus der umstrittenen Nutzung der Atomenergie in Deutschland. Die Menschen dort haben das Hü und Hott über die Atompolitik gründlich satt. Sie sind auch zermürbt von dem jahrelangen Prozess, den sie dort erlebt haben, den Castortransporten und der strahlenden Gefahr, die sie vor der Haustür haben.

Die Menschen dort sind aber mittlerweile Fachleute geworden. Sie kennen die tödlichen Risiken, die von der unbeherrschbaren Technik der Atomkraft ausgehen. Sie kennen die Bilder und die Schilderungen aus Tschernobyl und Fukushima. Einige sind persönlich dort gewesen und haben sich einen Eindruck verschafft. In jedem Sommer kommen krebskranke Kinder aus Tschernobyl und der umliegenden Region nach Lüneburg und Lüchow-Dannenberg, um sich in Deutschland für einige kurze Wochen zu erholen. Nicht nur in meinem Wahlkreis, aber ganz besonders dort schütteln die Menschen deswegen in diesen Tagen verwundert den Kopf, sind erschrocken oder – das gibt es auch – fühlen sich in ihrem Misstrauen der Politik gegenüber bestätigt, wenn sie in der Zeitung lesen – übrigens nur wenige Tage nach dem Jahrestag von Fukushima –, dass in der Politik über eine Renaissance der Atomkraft nachgedacht wird.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer tut das denn?)

Ich muss es so formulieren: Für mich, die ich da schon vorbelastet bin, ist es schon starker Tobak, wenn solche Überlegungen aus den Reihen unseres Koalitionspartners kommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Koalitionsvertrag, für den ich im Übrigen vehement geworben habe, steht wortwörtlich:

Ich denke, das gilt ohne Wenn und Aber, auch für Bayern und die CSU.

(Beifall bei der SPD – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Bayern ist das immer so eine Sache!)

Wir haben im Übrigen – das wurde schon erwähnt – auch die Endlagerfrage noch nicht gelöst. Daher verbietet es sich, darüber nachzudenken, die Atomkraft weiter zu nutzen und so weiteren Atommüll anzuhäufen, ganz abgesehen – darauf habe ich eben schon versucht hinzuweisen – von den Gefahren, die von dieser Technik ausgehen, und den verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Natur im Fall eines Unfalls.

Die Überlegungen, Herr Ramsauer, die Sie angestellt haben, befeuern vielleicht die Debatte – das merken wir hier auch –, aber sie sind das falsche Signal. Ich empfinde es so, dass sie Misstrauen säen, und das ausgerechnet in einer Phase, in der die Endlagersuchkommission ihre Arbeit beginnen soll und wir besonderes Vertrauen schaffen müssen, Vertrauen in die Verlässlichkeit von politischen Beschlüssen, Vertrauen in die handelnden Personen. Stattdessen wird hier ohne Not Vertrauen verspielt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Schade auch, Herr Ramsauer, dass Sie heute nicht die Gelegenheit nutzen konnten, an der Sitzung des Umweltausschusses teilzunehmen. Wir hatten eine öffentliche Anhörung.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ich hatte keine Einladung!)

– Es tut mir leid, aber ich vermute, Ihr Büro wusste, dass diese Sitzung stattfindet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hätte sich am Rednerpult entschuldigen können!)

Aber ich glaube, dass die Sitzung aufgezeichnet wurde. Sie können es sich also noch nachträglich anschauen.

Es wäre sicherlich sehr informativ gewesen, dort zuzuhören. Wir haben uns über Tschernobyl und Fukushima informiert. Wir haben vom ehemaligen japanischen Ministerpräsidenten gehört, dass die hochentwickelte und technisierte Nation Japan die Probleme in Fukushima selbst drei Jahre nach dem Unfall nicht in den Griff bekommt. Herr Professor Kusnezow aus Russland hat uns die Probleme und die Situation in Tschernobyl und Russland geschildert und gesagt, er verneige sich vor uns – das fand ich sehr beeindruckend –, weil wir den Atomausstieg besiegelt haben, und Deutschland sei in diesem Prozess eine Lokomotive.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Da haben die Russen wieder recht!)

Ich bin froh, dass wir, die SPD, ein Teil dieser Regierung und damit ein Garant dafür sind, dass wir nicht wieder den Ausstieg aus dem Ausstieg proben. Ich bin froh, dass wir mit Sigmar Gabriel einen Minister haben, der die Energiewende mit Hochdruck vorantreibt. Ich bin mir ganz sicher, dass unsere Kanzlerin aus ehrlicher und tiefer Überzeugung hinter der Energiewende und dem Atomausstieg steht

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: So ist das! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfeifen im Walde!)

und nicht erneut versucht, eine Volte zu schlagen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Ihre Glaubwürdigkeit in dieser Frage nicht verlieren wollen und natürlich genauso wie wir zum Atomausstieg stehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon mehrfach in der heutigen Debatte gesagt worden: Der Ausstieg ist beschlossen. Für mich als Sozialdemokratin und als Abgeordnete aus dem Wahlkreis, in dem Gorleben liegt, ist unumstößlich, dass wir nie wieder zur Atomkraft zurückkehren und dass diese Koalition für den endgültigen Ausstieg steht. Ich möchte appellieren, dass wir unsere Energie ab heute noch viel stärker darauf verwenden, für das Gelingen der Energiewende zu arbeiten, weil das ein Beitrag dazu ist, eine bezahlbare, sichere und ökologisch vernünftige Energieversorgung in der Zukunft zu haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kollegin Lotze, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Wir wünschen Ihnen natürlich viel Erfolg für Ihre Arbeit.

Wenn ich noch einen persönlichen Wunsch, auch im Namen meiner Präsidiumskollegen, anschließen darf: Achten Sie bitte beim nächsten Mal durchaus auch auf die Zeichen für die Redezeit.

(Hiltrud Lotze [SPD]: Die habe ich nicht mitbekommen!)

– Genau; es ist mir schon klar, dass das beim ersten Mal so ist, aber ich bitte, in Zukunft darauf zu achten.

(Beifall)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Christian Haase das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3228178
Wahlperiode 18
Sitzung 22
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu Laufzeiten für Atomkraftwerke
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