Klaus MindrupSPD - Aktuelle Stunde zu Laufzeiten für Atomkraftwerke
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach erwähnt worden: Heute Vormittag hat im Umweltausschuss die Anhörung zu den Folgen der Atomkatastrophe in Tschernobyl und in Fukushima stattgefunden. Was da gesagt wurde, hat mich persönlich wirklich sehr tief erschüttert. Frau Lotze hat eben schon auf das, was dort gesagt worden ist, hingewiesen. Ich kann jedem hier wirklich nur empfehlen: Schauen Sie sich die Aufzeichnungen an, oder lesen Sie das Protokoll! Das, was dort steht, ist etwas, worüber wir nachdenken müssen. Vor allen Dingen müssen wir uns mit den weiteren Gefahren beschäftigen, die uns dort vor Augen geführt worden sind. Ich denke vor allen Dingen an die Gefahren von Atomkraftwerken, die bereits ein sehr kritisches Lebensalter erreicht haben.
Meine Damen und Herren, auch wir in Deutschland sollten nicht so arrogant sein, zu meinen, dass wir diese Technik beherrschen können. Insofern begrüße ich es, dass wir hier den Atomausstieg mit einem breiten Konsens beschlossen haben. Das Positive der Anhörung heute war: Uns wurde sowohl von japanischer als auch von russischer Seite gesagt, dass wir, Deutschland, das weltweite Vorbild für den Wandel hin zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das müssen wir vorantreiben.
Natürlich müssen wir auch über Kosten reden. Das ist schon angesprochen worden; Kollege Miersch hat es gesagt. Wenn man einen Vergleich zu atomaren und fossilen Großkraftwerken zieht, muss man sich natürlich ehrlich machen. Sich ehrlich machen bedeutet: Die externen Kosten sind bei den bisher existierenden Kraftwerken nicht berücksichtigt worden; das Thema Versicherung ist in diesem Zusammenhang schon angesprochen worden. Die zukünftigen Kosten werden nicht berücksichtigt. Die Subventionen in der Vergangenheit werden nicht berücksichtigt. Selten wird berücksichtigt, dass wir eine Konkurrenz zwischen abgeschriebenen bzw. abbezahlten Kraftwerken und neuen Kraftwerken, die sich noch refinanzieren müssen – das betrifft übrigens auch effiziente Gaskraftwerke –, haben. Man darf natürlich nicht nur auf den Strombereich schauen, sondern muss sich auch den Wärmemarkt und den Transportsektor ansehen. Diesbezüglich wird viel zu wenig über die Kosten geredet. Sie sind nämlich stärker als im Strombereich gestiegen.
Ich komme zurück zum Stromsektor. Wir alle gemeinsam wissen – so besagt es auch der Koalitionsvertrag –, dass der Ausbau der Windkraft im Binnenland und der Netzausbau zusammen die Energiewende erst bezahlbar machen. Insofern wundert es mich, dass gerade aus Bayern, aus der CSU, die beiden wesentlichen Aspekte, nämlich Windkraft im Binnenland und Netzausbau, infrage gestellt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist unter den Gesichtspunkten von Kostengünstigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht nachvollziehbar.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Kollege Haase hat es bereits betont: Es geht auch um Wertschöpfung – das ist mir persönlich sehr wichtig –; es geht auch um die industrielle Substanz unseres Landes. Außerdem geht es darum, dass wir ein intelligentes System haben wollen. Die neue Energiewelt wird eine dezentrale Energiewelt sein. Ich weiß das persönlich: Unsere Genossenschaft hat hier in Berlin ein Blockheizkraftwerk im Keller und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Übrigens stammt unser Blockheizkraftwerk aus Bayern – die Hersteller sind durch die Diskussion gerade etwas verunsichert –; vielleicht kann man auch sagen: Es kommt aus Franken. Dann wissen Sie, woher es kommt.
Ein Aspekt spielt für mich in der Debatte eine noch zu geringe Rolle, nämlich dass wir das Internet und die Energiewende stärker miteinander kombinieren müssen – weg sozusagen von den unintelligenten Großkraftwerken. Die moderne Mess-, Steuer- und Regelungstechnik macht es uns nämlich möglich, die Strom- und Wärmeerzeugung stärker miteinander zu kombinieren. Wenn wir heute hören: „Speicher sind sehr teuer“, muss ich sagen: Das gilt nicht für Wärmespeicher, das gilt nicht für die großen Fernwärmenetze, und das gilt auch nicht für die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung. Zum Beispiel die Anlage bei uns im Keller könnte man über eine intelligente Steuerung durchaus auch stromgeführt fahren. Man muss nur Anreize schaffen, anstatt im Grunde genommen die Wende hin zu dezentralen Systemen zu verdammen.
Wichtig sind noch die volkswirtschaftlichen Aspekte. Wir alle altern. Wenn ich in 20 Jahren – hoffentlich – im wohlverdienten Ruhestand bin, dann ist ein Großteil der Investitionen in die Energiewende abbezahlt; wir haben dann abgeschriebene Kraftwerke, und dann wird dieses Land sehr gut von der Wende zu den erneuerbaren Energien leben können. Deswegen ist der Weg, den wir gemeinsam eingeschlagen haben, richtig und zukunftsweisend.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme nun zurück zu dem Thema Atomenergie. Wir haben Sinne, die uns bei der Atomenergie, aber auch beim Klimawandel im Stich lassen. Wir können hören, sehen, schmecken, riechen und tasten. Diese Sinne versagen bei der Radioaktivität, und sie versagen beim Klimawandel. Deswegen sind wir da auch nicht so sehr alarmiert. Wenn wir einen Sinn für radioaktive Strahlen und für den Klimawandel hätten, dann sähe die Gesellschaft anders aus. Aber wir haben ja einen Kopf zum Denken bekommen.
Wir sollten uns darüber klar sein, dass ein Windrad auf dem Berg vielleicht die Landschaft verändert, aber gleichzeitig unsere Wirtschaft und unsere natürlichen Lebensgrundlagen sichert. Natürlich muss man Windräder vernünftig planen, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern. Das Windrad auf dem Berg aber ist Zukunft; es ist nicht Vergangenheit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen also die Atomkraft nicht. Daher möchte ich ganz besonders mit Blick auf die Anhänger der Atomindustrie – glücklicherweise werden es immer weniger – mit einem alten Indianersprichwort schließen: Spätestens wenn du merkst, dass das Pferd tot ist, das du reitest, solltest du absteigen.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Kollege Mindrup, auch Sie haben heute Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Ich wünsche Ihnen als Berliner Kollegen alles Gute für Ihre weitere Arbeit.
(Beifall)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Andreas Jung das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lotze, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Auf eines will ich aber doch eingehen. Weil Sie Ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht haben, dass der Kollege Dr. Ramsauer heute früh nicht an der Anhörung im Umweltausschuss teilgenommen hat, will ich einfach darauf hinweisen, dass er, wie wir alle wissen, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses ist; das ist ja auch der Aufhänger für diese Debatte. Wir wissen ferner, dass der Wirtschaftsausschuss heute früh getagt hat. Wir alle ahnen, dass man einer Leitungsaufgabe dort nur nachkommen kann, wenn man tatsächlich da ist.
(Hiltrud Lotze [SPD]: Ich verstehe!)
Ich kann Ihnen versichern: Trotz seines langjährigen Wirkens in der Christlich-Sozialen Union ist dem Kollegen Ramsauer die Gnade der Bilokalität noch nicht erwiesen worden.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Leider! – Zuruf von der LINKEN: Gott sei Dank!)
Deshalb konnte er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Ich denke, wir können ihn als entschuldigt betrachten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Damit zur Sache. Es bestehen offenkundig Meinungsunterschiede darüber, ob die heutige Debatte notwendig ist oder nicht. Die Frage, die gestellt wird, ist jedenfalls schnell beantwortet. Sie richtet sich auf die Haltung der Bundesregierung zur Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Antwort ist leicht zu finden. Im Koalitionsvertrag
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da stimmt doch schon die Hälfte nicht mehr!)
auf Seite 43 links oben – dass es oben steht, ist gut; dass es links steht, ist Zufall; auch dieser Passus wird von allen Teilen der Koalition mitgetragen –
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
steht in nicht zu übertreffender Eindeutigkeit: Es bleibt beim Ausstieg aus der Kernenergie. – Es steht dort ferner: Das letzte Kernkraftwerk geht in Deutschland im Jahr 2022 vom Netz. – Und: Wir werden in Europa für diese Energiewende werben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist beschlossen, das ist gut und richtig so, und das bleibt so.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Klaus Mindrup [SPD]: Bravo!)
Ich will hinzufügen, dass es eine Entscheidung ist, die ja nach reiflicher Diskussion, nach langjähriger Debatte und am Ende auch nach einer sorgfältigen Abwägung, was die Umstände und den Zeitpunkt angeht, getroffen wurde. Auf Ratschlag der Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung hat der Bundestag das mit der großen Mehrheit von vier Fraktionen, nämlich denen von Union, SPD, Grünen und FDP, beschlossen, auch breit abgestützt in den Ländern und in der Gesellschaft.
In dieser Kommission – ich finde es richtig, dass man daran immer wieder erinnert – waren natürlich Vertreter der Kirchen, es waren auch Vertreter der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Gewerkschaften dabei, und damit solche, die sich mit der ethischen Frage beschäftigt haben, aber auch solche, die sich mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen beschäftigt haben. All diese haben am Ende gesagt: Es gibt eine ethische Begründung für diesen Ausstieg. Wir haben Technologien, wir haben Formen der Energieerzeugung, die die Risiken, die die Kernenergie durch den Umgang mit bzw. die Verwendung und später die Endlagerung von radioaktivem Material hat, nicht mit sich bringen. Deshalb ist es richtig und notwendig, auszusteigen.
Sie haben aber gleichzeitig auch in dieser Breite, also Vertreter von Kirchen, von Gewerkschaften, gesagt – das sage ich an die Adresse der Vertreter der Linken, die teilweise einen sofortigen Ausstieg gefordert haben –: Es ist nicht möglich, das von heute auf morgen zu machen. Wir wollen es schneller machen, als es vereinbart war; wir wollen es sogar erheblich schneller machen. Aber wir brauchen für dieses große Projekt ein Jahrzehnt. Diese Zeit müssen wir uns nehmen, um tatsächlich den Umbau hin zu erneuerbaren Energien zu schaffen. Wenn wir es nämlich sofort machen würden – auch das haben sie gesagt –, dann würde es zu erheblichen sozialen Verwerfungen kommen. Ich denke, auch das sollten Sie bedenken, wenn Sie fordern, man solle sofort aussteigen. Damit würden wir, wie ich glaube, unserer Gesamtverantwortung für Ökologie, Soziales und Wirtschaft nicht gerecht werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass das in einem so breiten Konsens möglich war, schafft doch jetzt die Chance, gemeinsam, statt die Debatten von gestern zu führen – dieses Kapitel ist abgeschlossen –, nach vorne zu schauen. Die Frage ist nicht mehr: Kernenergie oder Erneuerbare? Die Frage ist vielmehr: Wie schaffen wir es, erneuerbare Energien so effizient zu fördern, dass die Kosten möglichst gebremst werden? Wie schaffen wir es, dass wir wirtschaftlich davon Vorteile haben und es nicht dazu kommt, dass daraus ein Standortnachteil oder gar eine soziale Frage wegen steigender Preise wird? Ich glaube, das ist eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam annehmen sollten, immer mit dem Ziel vor Augen: Wir wollen eine vollständige Versorgung mit erneuerbaren Energien erreichen. Wir wollen dabei so schnell wie möglich vorankommen. Und wir wollen dies so tun, dass der Klimaschutz weiterhin Priorität genießt.
All das zusammen – Erneuerbare fördern, aus der Kernenergie aussteigen, aber unter Berücksichtigung unserer Klimaziele nicht den Weg zur Kohle einschlagen – sind die Herausforderungen, um die es jetzt geht.
(Beifall des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Darüber sollten wir diskutieren.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3228182 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 22 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu Laufzeiten für Atomkraftwerke |