20.03.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 23 / Zusatzpunkt 2

Volker KauderCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben uns das Jahr 2014 beim Start etwas anders vorgestellt, als es jetzt in Wirklichkeit ist. Wir haben in diesem Jahr vor, Termine zum Gedenken an Ereignisse wahrzunehmen, die wir in unserer Zeit nie mehr erleben wollen. Ein Termin in diesem Jahr ist beispielsweise der Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Wir sagen in diesem Jahr: In diesen 100 Jahren haben wir gelernt, dass Konflikte nicht mehr militärisch bzw. mit Kriegen zu lösen sind. Die Antwort auf das, was wir im Ersten und Zweiten Weltkrieg erlebt haben, war, dass nicht das Recht des Stärkeren gelten darf, sondern dass das Recht das Starke in der Welt sein muss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Entsprechend wurde auch in der Charta der Vereinten Nationen formuliert.

Jetzt erleben wir auf einmal, dass in Russland ganz anders argumentiert wird. Wenn wir in Europa nicht unsere Lektion gelernt hätten, würde von der konkreten Situation, wenn wir auf die Instrumente der letzten 100 Jahre zurückgriffen, wieder eine große Kriegsgefahr ausgehen. Dass Friede herrscht, hat nichts mit Russland zu tun, sondern mit Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Deshalb ist es richtig, was die Bundesregierung, insbesondere die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister, in den letzten Wochen gemacht haben. Ich kann nur sagen: Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am letzten Donnerstag hat gezeigt, dass der überwiegende Teil dieses Hauses, mal von den Linken abgesehen, genau hinter dieser Politik steht. Ich bin dankbar, dass wir eine so klare Position im Deutschen Bundestag haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Der Respekt, Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundesaußenminister, kommt nicht nur aus dem Bundestag, sondern auch aus der Breite der Bevölkerung und – der Kollege Oppermann hat es angesprochen – aus der deutschen Wirtschaft. Nicht nur der Präsident des BDI sagt das, sondern auch Präsident Schweitzer hat gestern auf der großen Tagung der Industrie- und Handelskammern in Deutschland unter Beifall erklärt, dass der Kurs der Bundesregierung in Ordnung sei.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja!)

Wirtschaftssanktionen könnten natürlich auch für sie schmerzhaft sein; aber nichts sei schmerzhafter, als der Willkür ausgeliefert zu sein. Deshalb müsse man sich hinter das Recht stellen. Auch das sei ein wichtiger Aspekt für Investitionen unserer deutschen Wirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind der Wirtschaft außerordentlich dankbar für dieses Verständnis.

Wir haben natürlich auch darauf zu achten – darauf hat die Bundesregierung mehrfach hingewiesen –, dass wir in dieser konkreten Situation Europa zusammenhalten. Nichts wäre schlimmer, als wenn Putin auch noch den Erfolg hätte, dass wir uns in Europa über die notwendigen Maßnahmen zerstreiten. Deswegen wird auf dem europäischen Gipfel, der heute beginnt, sehr viel abhängen von der Botschaft: Wir in Europa stehen zusammen. – Es könnte insbesondere auch eine Botschaft sein, dass dieses Europa bei allen Schwierigkeiten, die wir haben – ich komme nachher noch kurz darauf zu sprechen –, für uns nicht nur eine Veranstaltung von Euro und Cent ist, sondern dass dieses Europa für uns auch eine Werte-, eine Schicksalsgemeinschaft und einen Garant für Friedenssicherung darstellt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dieses Europa hat ganz offenkundig eine enorme Anziehungskraft. Es gibt viel mehr, die zu Europa wollen, als wir uns im Augenblick vorstellen können in Europa verkraften zu können. So war es auch nach dem Fall von Mauer und Stacheldraht, als sich die Länder und Menschen in neuer Freiheit überlegt haben, wohin sie sich orientieren wollen.

Jetzt muss ich die linke Seite, Herr Gysi, an Folgendes erinnern: Es ist doch unbestritten, auch bei Ihnen, dass es nach internationalem Recht ein Selbstbestimmungsrecht der Völker und ein Selbstbestimmungsrecht der Menschen gibt. Dieses Selbstbestimmungsrecht kann auch nicht von Russland eingegrenzt werden. Wenn sich Länder, die zu Europa gehören, für die Europäische Union frei entscheiden, dann kann dies von keinem anderen Land sanktioniert werden. Wo kommen wir sonst hin in dieser Welt, meine sehr verehrten Damen und Herren?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es war nicht Europa, sondern es waren Bulgarien, Rumänien, Polen und die baltischen Staaten, die ihre Zukunft nicht nach Osten zugewandt gesehen haben, sondern zur Europäischen Union.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Gab es da Volksabstimmungen? – Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ich habe über die NATO gesprochen!)

Vielleicht sollte den jetzigen Machthabern in Russland ein bisschen zu denken geben, warum die einen attraktiv und die anderen weniger attraktiv sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Trotz dieses Rechtsbruchs, den wir so nennen müssen und nicht unbeantwortet lassen dürfen, ist klar, dass die notwendigen Maßnahmen mit Augenmaß getroffen werden müssen. Das haben die Europäische Union und die Bundesregierung bisher auch gezeigt.

Ich bin mir nicht sicher, ob der jetzige Zustand das Ende der Entwicklung bedeutet. Deshalb müssen wir die weitere Entwicklung sehr aufmerksam verfolgen. Klar ist auch, dass wir die Ukraine nicht nur finanziell unterstützen müssen, sondern dass wir sie auch beraten und ihr helfen müssen, in dieser schwierigen Situation mehr Stabilität zu gewinnen und – Sie haben völlig recht, Herr Kollege Oppermann – eine Regierung zu bilden, die auch demokratischen und rechtsstaatlichen Werten, die wir in Europa haben, entspricht. Das alles muss auf den Weg gebracht werden – eine Herkulesaufgabe.

Als wir die Große Koalition gebildet haben, hat niemand daran gedacht, dass wir wieder einmal – wie bei den letzten Regierungen – große Herausforderungen und Aufgaben bekommen, an die wir zunächst einmal gar nicht gedacht haben. Bei der Lösung dieser Aufgaben – davon bin ich hundertprozentig überzeugt – wird sich auch diese Koalition bewähren müssen, und sie wird sich bewähren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Der bevorstehende europäische Gipfel steht aber auch unter der Frage: Wie können Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Stärke in Europa hergestellt, wiedergewonnen und auch weiterverfolgt werden? Ich bin außerordentlich dankbar dafür, dass sich die Kommission in ihren letzten Stellungnahmen klar und deutlich dahin gehend positioniert hat, dass die Stärke Deutschlands keine Schwäche Europas bedeutet. Ganz im Gegenteil: Wenn ich daran denke, was wir für Europa finanziell leisten, so macht es keinen Sinn, die Starken schwach zu machen, sondern es macht nur Sinn, die Schwachen stark zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb ist der Weg, Wettbewerbsfähigkeit in Europa herzustellen, richtig. Dass dieser Weg, der durchaus umstritten war und bei dem es andere Vorstellungen gab, richtig ist, zeigt sich – die Bundeskanzlerin hat es bereits angesprochen –, wenn wir die Entwicklungen in Irland, Portugal und Spanien sehen.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit! Das ist die Entwicklung da!)

Es war völlig richtig, Anstrengungen zu verlangen und Reformmaßnahmen umzusetzen. Wir in Deutschland als wirtschaftlich stärkste und federführende Kraft in Europa müssen bei allem, was wir tun, immer vor Augen haben, dass wir Verantwortung dafür tragen, dass die Reformfähigkeit in Europa nicht nachlässt. Wir müssen mit unserer Regierungsarbeit gute Beispiele setzen und immer darauf achten, Dinge, die wir in Bezug auf Europa eigentlich richtig machen könnten, nicht falsch zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt auch für die Energiepolitik. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auf unserem Weg, Industriestaat und erneuerbare Energien erfolgreich miteinander zu verbinden, weiter vorankommen.

Herr Hofreiter, ich kann Ihnen nur raten, dass Sie sich einmal genau anschauen, was die Bundesregierung im Bereich der erneuerbaren Energien wirklich macht.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das haben wir uns genau angeschaut!)

Selten habe ich einen führenden Politiker einer Fraktion so mit seiner Argumentation danebenliegend erlebt wie Sie gerade an diesem Rednerpult.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es geht darum, dass wir die erneuerbaren Energien voranbringen. Dazu, Herr Hofreiter – hören Sie gut zu –, können und müssen Sie einen Beitrag leisten. Wenn jemand dabei ist, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu erschweren und zu problematisieren,

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist es Herr Seehofer! Da haben Sie völlig recht!)

dann ist es der eine oder andere Hinweis auch aus grün regierten Bundesländern, die wir im Bundesrat für den Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen. Leisten Sie Ihren Beitrag bei diesem Thema also nicht durch Blockieren, sondern durch Mitmachen! Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, ob Sie das tun.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kauder, mir ist unbekannt, dass Herr Seehofer zu unserer Partei gehört!)

– Sie sollten sich einmal um Ihren Verein kümmern. Um unseren können wir uns schon allein kümmern. Dafür brauchen wir Sie nicht; das kann ich Ihnen sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren Sie bis jetzt aber extrem unerfolgreich, sich um Herrn Seehofer zu kümmern! Das haben Sie bis jetzt nicht hingekriegt! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss sogar die Bundeskanzlerin lachen!)

Natürlich müssen wir in der Übergangsphase, in der wir die erneuerbaren Energien fest verankern wollen, die Wettbewerbsfähigkeit von strom- und energieintensiven Firmen erhalten. Deswegen bin ich der Bundesregierung außerordentlich dankbar dafür, dass sie so intensiv mit der Europäischen Kommission verhandelt. Die Europäische Kommission riskiert nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit von einzelnen Branchen bei uns in Deutschland. Was viel schlimmer wiegt und den Einsatz der Bundesregierung umso notwendiger macht, ist, dass mit dem Kurs der Europäischen Kommission der Weg in die erneuerbaren Energien in ganz Europa erschwert wird. Wir wollen nicht mehr Kernkraft in Frankreich. Aber dann muss der Weg der Unterstützung der Implementierung der erneuerbaren Energien in Deutschland auch weiter beschritten werden. Dazu kann ich die Europäische Kommission nur auffordern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Länder in Europa, die sich auf den Weg machen, die erneuerbaren Energien stärker auszubauen, von der Europäischen Kommission den Hinweis bekommen, dass dies wettbewerbsschädigend sein kann, dann ist dies verheerend. Deswegen muss dieser Weg gemeinsam mit der Europäischen Kommission angegangen werden. Die Kommission trägt Verantwortung für Wachstum und nicht für Stillstand in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein letzter Hinweis. Neben der Situation in der Ukraine und der Wettbewerbsfähigkeit in Europa ist das Thema Afrika ein weiterer Schwerpunkt. Die Bundesregierung – das habe ich jetzt gesehen, Herr Bundesaußenminister – trifft sich in diesen Tagen mit den Zuständigen

(Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Heute Morgen!)

– oder hat sich getroffen –, um ein Afrika-Konzept zu entwickeln. Wir werden es sicher sehr bald in den Fraktionen vorgelegt bekommen und beraten. Ich halte dies auch für notwendig. Die Bevölkerung Afrikas wächst schneller als die Bevölkerung Asiens. Wir haben in Afrika 1 Milliarde Menschen, und diese Zahl wird sich sehr rasch weiter vergrößern. Afrika ist wahrscheinlich der jüngste Kontinent überhaupt, und junge Menschen verlangen nach einer Perspektive, und dies auch zu Recht. Wenn wir nicht alle dazu beitragen, dass in Afrika eine Perspektive für junge Menschen entsteht, dann werden die starken Jungen dorthin gehen, wo sie sich eine Perspektive versprechen, und die schwächeren zurückbleiben. Dies wird den Kontinent insgesamt nicht stärken.

Insofern haben wir eine Verantwortung, in Afrika für mehr Wachstum und Zukunftschancen zu sorgen. Das wird nur gehen, indem wir die Menschen in Afrika ernst nehmen, indem wir fragen, was sie wollen, und nicht nur von außen einwirken, indem wir die Kräfte in Afrika stärken, sowohl die Kräfte in der Wirtschaft als auch die Kräfte, die für staatliche Ordnung und Sicherheit sorgen. Deswegen ist der Weg, den die Bundesregierung geht, genau richtig. Sie sagt: Wir schicken Ausbilder und Berater nach Afrika, die helfen, die dortigen Strukturen zu stärken. Frau von der Leyen und Herr Bundesaußenminister, genau dies ist der Weg in Afrika: keine Interventionstruppen einzusetzen, sondern Hilfsangebote zu machen und Unterstützungsmaßnahmen umzusetzen. Auf diesem Weg wünsche ich uns allen viel Erfolg.

Die Kraft Europas, der Europäischen Union – Friede, Wirtschaft, Stabilität, Zukunftschancen – brauchen wir jetzt in der Diskussion über die Ukraine und Russland. Diese Kraft muss auch wirken, wenn entsprechende Möglichkeiten in Afrika genutzt werden sollen. Ich glaube, dass wir eine Menge Aufgaben vor uns haben. Wenn das ganze Haus – da habe ich bei der einen oder anderen Frage meine Zweifel – oder der größte Teil dieses Hauses hinter diesem Konzept steht,

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die Grünen sind ja schon eingemeindet!)

dann wird das gut für unser Land und für die Welt sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Norbert Spinrath für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3229194
Wahlperiode 18
Sitzung 23
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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