Anita SchäferCDU/CSU - Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wehrbeauftragter! Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich Ihnen und all Ihren Mitarbeitern danken, die an der Erstellung des differenzierten und interessanten Jahresberichts 2013 beteiligt waren. Er zeigt vor allem, dass große Reformvorhaben häufig mit Unsicherheit der Betroffenen verbunden sind, was sich in den gesteigerten Zahlen von Eingaben der Soldatinnen und Soldaten im Berichtszeitraum ausdrückt.
Umso wichtiger ist es, dass mit der jetzigen Bundeswehrreform eine stabile Struktur erreicht wird, mit der die Truppe jetzigen und zukünftigen Herausforderungen begegnen kann, damit es nicht in ein paar Jahren wieder zur Reform der Reform kommen muss.
Meine Damen und Herren, mehr als einmal haben wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt, dass sich die Konstanten der Sicherheitspolitik quasi über Nacht geändert haben. Dazu gehört der Zusammenbruch der kommunistischen Planwirtschaft und des Warschauer Paktes mit all seinen Folgen, einschließlich der deutschen Wiedervereinigung und des Zerfalls der Sowjetunion. Dazu gehören auch die Anschläge vom 11. September 2001, und dazu gehören schließlich das aktuelle russische Vorgehen auf der Krim und die Ungewissheit über die staatliche Integrität der Ukraine.
Ich glaube ausdrücklich nicht, dass wir in eine neue Ost-West-Konfrontation zurückfallen werden. Es gibt derzeit keinen Grund, beispielsweise die Wehrpflicht wieder einzuführen, wie ich es diese Woche schon gelesen habe.
Allerdings müssen wir die Besorgnis unserer östlichen Partner ernst nehmen, die an Russland oder die Ukraine grenzen und die teilweise – wie die baltischen Staaten – selbst russische Bevölkerungsteile haben. Der Kernzweck der NATO als Sicherheitsbündnis gegen Bedrohungen in Europa gewinnt damit erheblich an Bedeutung.
Lieber Herr Königshaus, es erweist sich als richtig, dass wir bei der Bundeswehrreform den Grundsatz „Breite vor Tiefe“ verfolgt haben. Wir leisten weiterhin einen Beitrag zur internationalen Krisenbewältigung, der der Bedeutung Deutschlands in Europa und der Weltgemeinschaft entspricht. Aber die Bundeswehr muss auch Anlehnungspartner in der Bündnisverteidigung für unsere kleineren Nachbarn sein, die eben nicht mehr das volle Spektrum militärischer Fähigkeiten darstellen können und mit denen wir künftig noch enger kooperieren wollen, wie mit den Niederlanden und Polen. Insofern ist die jetzige Struktur glücklicherweise zukunftssicher, weil sie nicht nur den internationalen Einsätzen, sondern auch weiterhin der Bündnisverteidigung Rechnung trägt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Strukturen sind das eine. Aber erst Personal und Ausrüstung füllen sie aus. Neue sicherheitspolitische Voraussetzungen haben auch immer wieder neue Anforderungen an die Ausstattung der Soldaten gestellt. So haben zurückliegende Berichte des Wehrbeauftragten besonders für den Einsatz in Afghanistan mehrfach explizit das Fehlen geschützter Fahrzeuge hervorgehoben. Die wiederholte Befassung im Parlament hat wesentlich zur Schließung dieser Lücken beigetragen.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Richtig!)
Diese Beschaffungen behalten unabhängig von der Art künftiger Einsätze ihren Wert. Das gilt auch für neue Technologien, über die wir vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen diskutiert haben, wie beispielsweise bewaffnete Drohnen, die ich schon in meiner letzten Rede an dieser Stelle erwähnt habe.
Gleichzeitig zeigen die Sorgen unserer osteuropäischen Partner, dass klassische Systeme wie der Eurofighter und der Kampfhubschrauber Tiger eben nicht veraltet sind. Sie haben vielmehr trotz aller Kritik an langer Entwicklung und hohen Kosten ihre Berechtigung, weil sie der gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft in Europa dienen. Auch hier gilt aber: Die Massenheere des Kalten Krieges werden nicht mehr gebraucht.
Es ist richtig, dass unter anderen Bedingungen geschlossene Beschaffungsverträge neu gehandelt werden. Ich begrüße es auch außerordentlich, Frau Ministerin von der Leyen, dass Sie die von Ihrem Amtsvorgänger begonnene Neuordnung des Beschaffungswesens so energisch fortsetzen. Gerade das regelmäßige Auftauchen neuer Herausforderungen in den letzten Jahren zeigt doch, dass wir uns zeitlich und finanziell aus dem Ruder laufende Projekte weniger denn je leisten können.
Vielleicht zeigen die aktuellen Entwicklungen noch den einen oder anderen Bedarf auf. Ich denke dabei zum Beispiel an den Bereich der bodengebundenen Flugabwehr, wo der Einsatz bisheriger Systeme zu stagnieren scheint. Modernste Ausstattung für alle Bereiche bleibt unabdingbare Voraussetzung für die Auftragserfüllung der Bundeswehr; denn nur so kann sie ihre Rolle als Anlehnungspartner für unsere Nachbarn bei der Gewährleistung der Sicherheit im Bündnis erfüllen.
Das Wichtigste in der Bundeswehr sind und bleiben aber die Menschen. Wir haben in den vergangenen Jahren viel zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr getan. Dazu gehören materielle Verbesserungen wie die Zulagen für ärztliche Dienste, Piloten, Minentaucher und Soldaten mit besonderer zeitlicher Belastung. Wir entwickeln einerseits die Nachwuchswerbung und andererseits Fortbildungsangebote und Berufsförderung weiter; die Frau Ministerin hat das vorhin angesprochen. Besonders wichtig ist aber, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst weiter zu verbessern.
Ich bin besonders froh, dass nunmehr die Einrichtung von Betriebskindergärten an Bundeswehrstandorten mit besonderem Bedarf in Gang kommt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das gilt insbesondere für die Standorte mit Bundeswehrkrankenhäusern und die Universität der Bundeswehr in München. Mit Ausnahme des Bundeswehrkrankenhauses Berlin, wo die Planungen noch laufen, werden alle Kindergärten voraussichtlich binnen Jahresfrist in Betrieb gehen. Allein für die Baumaßnahmen geben wir über 5 Millionen Euro aus. Hinzu kommen Belegrechte in vorhandenen Betreuungseinrichtungen wie etwa im Fall der Sanitätsakademie in München. Mit Stand Februar sind bereits 317 Eltern-Kind-Arbeitszimmer realisiert worden. Insgesamt wird es diese an rund 200 Standorten geben. Ergänzt wird das durch Verbesserungen bei der Kinderbetreuung während der Aus- und Fortbildung, der Unterstützung bei der Ferienbetreuung sowie der Notfallbetreuung nicht nur von Kindern, sondern auch von pflegebedürftigen Angehörigen.
Im Hinblick auf die Problematik pendelnder Soldaten soll neben der dauerhaften Möglichkeit der Wahl zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung die Wohnungsfürsorge optimiert werden, um sowohl den Pendlern als auch umzugswilligen Familien bei der Suche nach geeigneten Wohnungen besser zu helfen. Gerade in diesem Punkt gibt es sicherlich noch Raum für weitere Verbesserungen. Nach der Ankündigung von Ministerin von der Leyen, das Thema der Attraktivität zu einem Schwerpunkt zu machen, bin ich aber zuversichtlich, dass es diese auch geben wird.
Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht bedauert, dass die Folgestudie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zum Stand der Integration von weiblichen Soldaten noch nicht vorlag. Beim Verfassen dieser Zeilen konnte er noch nicht wissen, dass dies noch vor der Vorstellung des Jahresberichts geschehen würde. Über die Studie Truppenbild ohne Dame? ist vor allem unter zwei Schlagzeilen berichtet worden: erstens dass sich die Einstellung männlicher Soldaten zu Frauen in der Bundeswehr gegenüber der Vorgängerstudie von 2005 verschlechtert hat und zweitens dass 55 Prozent der Soldatinnen schon sexuell belästigt worden seien. Diesen Punkten hat auch der Wehrbeauftragte breiten Raum eingeräumt.
Beim Durchlesen der Studie ergibt sich allerdings ein differenzierteres Bild, als eine Schlagzeile vermitteln kann. Zunächst einmal: Mittlerweile beträgt der Anteil weiblicher Soldaten in der Bundeswehr rund 10 Prozent, was bereits ein großer Erfolg des Integrationsprozesses ist. 13 Jahre nach Öffnung aller Laufbahnen erreichen Frauen nun auch die entsprechenden höheren Dienstgrade. Das BMVg scheint sich zwar mit dem Wehrbeauftragten einig zu sein, dass es etwa bei A-15-Stellen im Sanitätsdienst, der für Frauen schon früher zugänglich war, noch Nachholbedarf gibt. Aktuell gibt es aber bereits den zweiten weiblichen Generalarzt. Wenn man sich die notwendigen Beförderungszeiten ansieht, dann stellt man fest, dass Anfang des nächsten Jahrzehnts auch mit den ersten Frauen im Generalsrang zu rechnen ist, die seit 2001 die Karriereleiter im Truppendienst erklettert haben. – Das vorweg.
Nun zu den Ergebnissen der Studie. Es ist in der Tat so, dass die Einstellung männlicher Soldaten gegenüber den militärischen Leistungen von Frauen kritischer ist als noch 2005. Gleichzeitig bewerten sie aber den gemeinsamen Dienst beider Geschlechter in der Bundeswehr insgesamt besser, und die Angst vor Problemen hat sich verringert.
Interessant ist auch, dass weniger Soldaten Probleme mit der Effektivität in ihren eigenen Einheiten sehen. Der Leiter der Studie hat mir dazu erläutert, dass die Kritik sowohl auf eigenem Erleben als auch auf Hörensagen beruhe. Echte Probleme mit körperlicher Leistungsfähigkeit muss man dabei sicherlich ernst nehmen, weil die Leistung jedes Einzelnen lebenswichtig für die gesamte Einheit sein kann. Ich denke, es wäre einmal interessant, nachzuforschen, wie sich die Kritik auf Kampf- und Unterstützungseinheiten verteilt. In Ersteren kommt es auf körperliche Leistung besonders an. Allerdings entscheiden sich auch nur vergleichsweise wenige Frauen für diese Verwendungen. In Unterstützungseinheiten ist es eher umgekehrt. Es ist also durchaus möglich, dass sich die Kritik vor allem an einigen wenigen Negativbeispielen festmacht, während Soldaten in Einheiten mit höheren Frauenanteilen aus eigener Erfahrung keine Probleme mit der Effektivität sehen. Das wäre doch vielleicht einmal eine Frage für die nächste Studie.
Noch überraschender fand ich die einzelnen Ergebnisse zum Thema sexuelle Belästigung. Zunächst einmal: Dass sich die Fallzahlen nicht groß vom Rest der Gesellschaft unterscheiden, kann nicht zufriedenstellen. Hier muss die Bundeswehr tatsächlich einmal besser sein als der Rest der Gesellschaft; denn abgesehen von allen rechtlichen Vorschriften und grundsätzlichen Regeln allgemeinen Anstands gilt hier noch zusätzlich die Pflicht zur Kameradschaft. Der kameradschaftliche Umgang zwischen allen Soldatinnen und Soldaten unter Achtung der Würde des Einzelnen ist immer wieder einzufordern und umzusetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich betone: zwischen allen Soldatinnen und Soldaten, weil sexuelle Belästigung laut der Studie eben nicht nur ein Problem zwischen, sondern auch innerhalb der Geschlechter ist. Das gilt sowohl bei Männern als auch bei Frauen, gerade für die Kategorie tatsächlicher sexueller Nötigung. Diese Kategorie umfasst aber gegenüber anzüglichen Bemerkungen und Ähnlichem glücklicherweise nur eine sehr geringe Zahl von Fällen, sodass die Verteilung nicht unbedingt aussagekräftig ist. Auch hier sollte meiner Meinung nach der Hintergrund genauer erforscht werden.
Meine Damen und Herren, und dennoch bleibt es dabei: Selbst wenn die Bundeswehr als Spiegelbild der Gesellschaft auch deren Schattenseiten wiedergibt, ist sie besser, als gängige Stereotypen glauben machen wollen. Ihre Soldatinnen und Soldaten leisten einen unverzichtbaren Dienst für die Sicherheit Deutschlands im Bündnis. In Krisenzeiten wie jetzt wird es uns wieder bewusst, wie wichtig die Sicherheit ist und für wie selbstverständlich wir das im Herzen eines friedlichen, geeinten Europas in den letzten Jahren gehalten haben.
Aber Sicherheit ist nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder erarbeitet werden. Deswegen danke ich allen Männern und Frauen der Bundeswehr, die diesen Dienst jeden Tag an vielen Standorten im In- und Ausland für uns leisten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Das Wort hat Dr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 23 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten |