Fritz FelgentreuSPD - Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Königshaus! Wer meiner Generation angehört und in der Bundesrepublik aufgewachsen ist, der erinnert sich zumeist noch ganz gut an Soldaten im Straßenbild, und zwar nicht nur an Soldaten auf Fahrzeugen in natooliv und mit einem Y-Nummernschild, sondern auch an Grundwehrdienstleistende, die oft irgendwo unterwegs waren, sich abends amüsieren wollten oder freitags auf der Heimreise die Bahnhöfe belagerten.
(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Was?)
Wenn Kinder und Jugendliche sie provozieren wollten und den einen oder anderen dummen Spruch brachten, dann bekamen sie gerne zur Antwort: Lach du nur! Dein Stahlhelm ist schon gepresst.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
– Wir erinnern uns an solche Sprüche, nicht?
(Michael Brand [CDU/CSU]: Absolut!)
Diese Art von Soldatenhumor gehörte zu einer Bundeswehr ohne ernsthafte Nachwuchssorgen. Die Wehrpflicht sorgte nicht nur für ausreichende Mannschaftszahlen, sondern sie füllte auch die Reihen der Zeit- und Berufssoldaten immer wieder auf; denn es gab immer auch Grundwehrdienstleistende, die sich für die Bundeswehr begeistern konnten und dabeigeblieben sind. Der Bericht des Wehrbeauftragten 2013 ist eine Momentaufnahme aus einer Bundeswehr, für die die Nachwuchsgewinnung zu einer existenziellen Zukunftsfrage geworden ist.
In den Medien – Frau Bartz hat es angesprochen – ist viel darüber diskutiert worden, dass den Wehrbeauftragten 2013 die relativ höchste Zahl an Eingaben erreicht hat. Diese Entwicklung belegt meines Erachtens vor allem zwei Dinge:
Erstens. Die Institution des Wehrbeauftragten hat die Neuausrichtung der Bundeswehr schadlos überstanden. Ganz offensichtlich brauchen Zeit- und Berufssoldaten diesen Ombudsmann nicht weniger dringend als Grundwehrdienstleistende. Sie bringen ihm auch das gleiche Vertrauen entgegen. Das ist Ihr Verdienst, lieber Herr Königshaus, und dafür gebührt Ihnen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Zweitens. Die Befürchtung vieler Soldatinnen und Soldaten, eine Eingabe könne ihnen im Dienstalltag schaden, scheint jedenfalls nicht in höherem Maße abschreckend zu wirken als früher. Auch das ist eine erfreuliche Entwicklung. Insofern beschreibt die hohe Zahl der Eingaben nicht das Kernproblem dieses Berichts.
Hellhörig müssen wir an anderen Stellen werden. Ich möchte ein Beispiel nennen: Zur Sicherheitslage im Inland berichtet der Wehrbeauftragte, dass Soldaten ihn bei Truppenbesuchen vermehrt auf Probleme bei der Bewachung von Liegenschaften angesprochen hätten.
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Rede!)
Sie klagten darüber, dass die Anzahl militärischer Wachen immer mehr ausgedünnt würde und die Wachbelastung nicht zu bewältigen sei. Wie zur Bestätigung beschäftigt sich der Verteidigungsausschuss gerade mit einem Vorfall in der militärisch bewachten Kaserne in Seedorf, aus der vor einiger Zeit in den frühen Morgenstunden völlig unbemerkt 35 000 Schuss Munition abtransportiert worden sind. Diesen Vorfall, meine Damen und Herren, müssen wir unter dem Begriff der strukturellen Überforderung einordnen, der im Bericht des Wehrbeauftragten im Zusammenhang mit den Auslands- einsätzen der Bundeswehr verwendet wird.
Im Bereich des hochspezialisierten Personals dokumentiert der Bericht das Problem detailliert: Die Flugverkehrskontrolle hat 20 Prozent zu wenig Personal, bei den Flugberaterfeldwebeln fehlt ebenfalls ein Fünftel, in Frankfurt sogar fast die Hälfte, und von den 30 Luftumschlagfeldwebeln, die die Bundeswehr für den Dienst im Ausland braucht, hat sie acht. Eine Hubschrauberstaffel der Marineflieger muss nach sechsmonatiger Pause wieder in den viermonatigen Auslandseinsatz, anstatt sich, wie vorgesehen, 20 Monate regenerieren zu können, und betrachtet das schon als Fortschritt. An zwei Standorten im Inland wurde der Flugbetrieb ausgesetzt, weil das zivile Personal Freizeitausgleich für seine Überstunden nehmen musste. Die Liste ließe sich fortsetzen; andere Redner und Rednerinnen haben das heute bereits getan.
Das alles, meine Damen und Herren, wäre trotzdem kein Grund zu vertiefter Besorgnis, wenn es nur einige wenige Spezialqualifikationen beträfe; diese Lücken ließen sich sicherlich schließen. Aber so ist es eben nicht. Offenbar kann die Bundeswehr die 20-monatigen Ruhepausen zwischen Auslandseinsätzen für viele Einheiten nicht gewährleisten. Das Beispiel der Wachsoldaten zeigt, dass die strukturelle Überforderung längst auch im Alltag des Truppendienstes angekommen ist, mit möglicherweise verhängnisvollen Folgen: Die 35 000 Schuss Munition aus Seedorf sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. Es muss wahrscheinlich unsere zweitbeste Hoffnung sein, dass es dabei bleibt.
Meine Damen und Herren, es gibt für die Personalprobleme der Bundeswehr auch gar keine einfache Lösung. Im Gegenteil: Gerade die Vorschläge, die der Wehrbeauftragte macht, um den Dienst in der Bundeswehr familienfreundlicher und attraktiver zu gestalten – Frau Ministerin ist darauf eingegangen –, laufen auf neue Engpässe hinaus. Vor allem die Freistellung für Betreuungsaufgaben – zum Beispiel der Vorschlag, die Betreuung von Kindern unter drei Jahren als grundsätzlichen Einsatzhinderungsgrund festzuschreiben – ist zwar vollkommen richtig; aber sie wird natürlich dazu führen, dass gut ausgebildetes Personal dort fehlt, wo es gebraucht wird.
Der Bericht des Wehrbeauftragten beschreibt eine Bundeswehr, die sich unter einer zu kurzen Decke zu wärmen versucht. Unter den Bedingungen des Bevölkerungsrückgangs soll sie sich als Berufsarmee neu ausrichten, ihre Fähigkeiten erhalten und ausbauen und dabei so attraktive Arbeitsplätze vorhalten, dass für alle Aufgaben ausreichend Personal und Ressourcen vorhanden sind. 2013 ist das offenkundig noch nicht oder zumindest nicht so gelungen, dass das Ergebnis den selbstgesteckten Erwartungen gerecht wird.
Meine Damen und Herren, wir sollten den Bericht dennoch nicht so lesen, als sei die Bundeswehr nicht imstande, ihre Aufgaben zu erfüllen; dazu ist sie bis heute immer imstande gewesen. Auch hat der Grundsatz „Breite vor Tiefe“ automatisch eine im Konzept bereits angelegte Begrenzung der Durchhaltefähigkeit zur Folge, die durch andere Maßnahmen, durch Bündnisergänzungen, ausgeglichen werden soll; das ist ein Teil dieses Konzepts. Und schließlich liegt es in der Natur der Sache, dass der Bericht eines Wehrbeauftragten nicht die positiven Beispiele in den Vordergrund stellt.
Deutlich wird aber auch, dass die Bundeswehr – und damit dieses Parlament – im Laufe der 18. Legislaturperiode grundsätzliche Fragen wird beantworten müssen. Wenn wir, wie wir es ja alle wollen, daran festhalten, dass es keine Reform der Reform geben soll, dann werden wir den Nachwuchs für die 185 000 militärischen und die 55 000 zivilen Dienstposten der Bundeswehr dort suchen und abholen müssen, wo er ist. Nur wenn es gelingt, Jugendliche aller Herkünfte und Begabungen frühzeitig an die Möglichkeit einer militärischen Karriere heranzuführen, werden wir die Soldatinnen und Soldaten ausbilden können, die die Bundeswehr braucht.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen sollten wir überdenken, ob es der richtige Weg ist, die Zahl der zivilen Ausbildungsplätze, die die Bundeswehr anbietet – derzeit sind es 5 000 –, so weit zu reduzieren, dass wir nur noch für den eigenen Bedarf ausbilden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir junge Menschen, die zunächst im zivilen Bereich ausgebildet worden sind, hinterher in den weiterführenden Dienst der Bundeswehr übernehmen, aber möglicherweise nicht in dem Beruf, in dem wir sie ausgebildet haben, sondern als Soldatinnen und Soldaten. Auch das sollte im Hinblick auf die Rekrutierungsdebatte und die Nachwuchsdebatte eine Überlegung wert sein. Denn wer glaubt, der Arbeitgeber Bundeswehr werde unter den Bedingungen des demografischen Wandels in der Konkurrenz um talentierte junge Menschen mühelos gegen den öffentlichen Dienst und die Wirtschaft bestehen können, ohne sich in vielen Bereichen neu zu erfinden, den belehrt der vorliegende Bericht des Wehrbeauftragten eines Besseren. Das ist die Botschaft, die wir für die weitere Arbeit und die weitere Planung aus diesem Bericht mitnehmen sollten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege. – Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion Gisela Manderla.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 23 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten |