20.03.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 23 / Zusatzpunkt 5

Christian FlisekSPD - Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (NSA)

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit im Sommer letzten Jahres durch Veröffentlichung des britischen Guardian und der amerikanischen Washington Post die umfassenden Überwachungsaktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes NSA der Öffentlichkeit bekannt wurden, haben sich die Ereignisse überschlagen. Sämtliche Versuche, den Abhörskandal zu banalisieren oder ex cathedra für beendet zu erklären, waren untauglich. Sie sind im Sande verlaufen, und das auch völlig zu Recht. Sie mussten scheitern, weil uns seitdem nahezu wöchentlich neue Meldungen über das immer größer werdende Ausmaß der Überwachungsmaßnahmen erreichten. Wenn ich aktuell höre – meine Vorredner haben sich bereits darauf bezogen –, dass die Kommunikationsinhalte der Bevölkerungen ganzer Staaten pauschal erfasst und anlasslos über Wochen gespeichert werden, also jedes Wort, das tatsächlich gesprochen oder in E- Mails geschrieben wird, dann bin ich froh, dass wir als deutsches Parlament heute mit der Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses endlich ein deutliches Signal setzen, dass wir die klare Botschaft aussenden, dass wir unter den völlig veränderten Kommunikationsbedingungen im 21. Jahrhundert unsere Grundrechtsstandards verteidigen und die Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger auf Privatheit und Vertraulichkeit nicht einfach auf dem globalen digitalen Altar opfern werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist die Botschaft, die wir an die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland richten. Es ist auch die Botschaft, die wir an unsere Partner in Europa und an unsere Freunde jenseits des Atlantiks adressieren.

Der Deutsche Bundestag beschließt heute die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der die Aufgabe hat, Art und Umfang der massenhaften Überwachung von Kommunikationsdaten vor allem durch US-amerikanische und britische Nachrichtendienste aufzuklären. Zentrale Aufgabe dieses Untersuchungsausschusses eines deutschen Parlaments muss ganz klar sein, vorbehaltlos aufzuklären, inwieweit unsere Dienste und deutsche Behörden sich an derartigen Aktivitäten beteiligt haben, inwieweit sie diese unterstützt oder rechtswidrig davon profitiert haben. Wenn hier die notwendige Zusammenarbeit mit anderen Staaten derart instrumentalisiert wurde, dass deutsche Rechtsvorschriften systematisch umgangen wurden, dann muss diesem Treiben umgehend ein Riegel vorgeschoben werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU])

Was die insgesamt 31 Fragen des Einsetzungsantrages als detailliertes Untersuchungsprogramm des Ausschusses festlegen, kann man folgendermaßen zusammenfassen: Gibt es in Zeiten weltweiter digitaler Kommunikation noch so etwas wie Vertraulichkeit, informationelle Selbstbestimmung und Unschuldsvermutung? Was müssen wir in Deutschland und Europa tun, um unserem Verständnis von Grundrechten, aber auch unserem Verständnis vom Primat rechtsstaatlicher und demokratischer Politik wieder Geltung zu verschaffen? – Ich bin daher sehr froh, dass wir uns im Untersuchungsausschuss nicht nur mit der vorbehaltlosen Aufklärung der Missstände, sondern auch mit der Entwicklung von Lösungen befassen werden.

Wenn ich von einer vorbehaltlosen Aufklärung der Missstände spreche, dann bedeutet dies selbstverständlich auch, dass kein zugängliches Beweismittel von vornherein ausgeschlossen werden darf. Sosehr es sich verbietet, im jetzigen Stadium, noch bevor das erste Aktenstück bestellt und eingegangen ist, über Zeugenlisten zu spekulieren, so sehr kann man die Augen nicht davor verschließen, dass die Aussage des Auslösers, desjenigen, der das Ganze ins Rollen gebracht hat, natürlich auch ein taugliches Beweismittel ist.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das hören wir gerne!)

Selbstverständlich kommt auch Edward Snowden als Zeuge für den Ausschuss in Betracht. Herr Ströbele, Sie kennen den Antrag; sein Name findet sich im Text unseres gemeinsamen Antrags sogar an prominentester Stelle. Wer sich mit seinen zum Teil sehr kryptischen öffentlichen Aussagen in Fernsehinterviews und mit seinen schriftlichen Einlassungen gegenüber dem Europäischen Parlament befasst, der wird, so wie auch ich, hier einige Fragen haben, die berechtigt sind.

In welcher Weise eine Vernehmung von Herrn Snowden erfolgen kann, muss im Ausschuss gemeinsam geklärt werden. Hier ist vieles vorstellbar. Auch die Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament haben hier einen gemeinsamen Weg gefunden. Ich betone aber ausdrücklich: Der Ausschuss dient der Aufklärung in der Sache und nicht der medialen Inszenierung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. von Notz, ich bleibe bei dieser Feststellung, auch wenn Sie sie zuvor kritisiert haben.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die teile ich!)

Herr Ströbele, lassen Sie mich noch eines sagen: Die Bundeskanzlerin ist in meinen Augen nicht das wichtigste Opfer.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch ein Opfer!)

Das wichtigste Opfer sind die Bürgerinnen und Bürger und ihre Grundrechte.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Frau Bundeskanzlerin ist in dieser Affäre nur ein Opfer; das möchte ich hier richtigstellen.

Lassen Sie mich einen anderen Aspekt anführen. Wir sollten in Bezug auf unsere amerikanischen Partner nicht mit Schaum vor dem Mund operieren. Dass in hohem Maße Vertrauen verloren gegangen ist, wurde bereits bei vielen Gelegenheiten, auch in diesem Hause, deutlich an die amerikanische Seite adressiert. 9/11, der Anschlag auf das World Trade Center in New York, ist tief im amerikanischen Gedächtnis und auch in unserem Gedächtnis verwurzelt. Dennoch kann die Formel vom Kampf gegen den Terrorismus nicht die Rechtfertigung dafür sein, alles, was im Bereich der Sicherheitsbehörden technisch möglich ist, tatsächlich umzusetzen.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Dies entspricht nicht unserem Verfassungsverständnis und auch nicht unseren Vorstellungen vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir aber ernsthaft, ausgewogen und auf der Basis von Fakten die Tätigkeit amerikanischer Dienste untersuchen wollen, dann sind wir auch auf Zusammenarbeit angewiesen, vor allen Dingen darauf, dass sich in der amerikanischen Öffentlichkeit noch viel stärker als bisher ein Aufklärungsinteresse artikuliert.

Der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, hat gesagt, man könne nicht gleichzeitig hundertprozentige Sicherheit und hundertprozentige Privatsphäre haben. Bei aller Wertschätzung: Diesem Verständnis über den Zusammenhang von Freiheit und Sicherheit möchte ich entschieden entgegentreten. Es sei mir erlaubt, dass ich dafür einen anderen Amerikaner, nämlich einen der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, Benjamin Franklin, bemühe, der gesagt hat:

Genau das entspricht auch meinem Verständnis. Freiheit und Sicherheit sitzen nicht auf einer Balkenschaukel, bei der immer dann, wenn die Sicherheit oben ist, die Freiheit unten ist, sie kleingehalten wird und für sie kein Platz ist. Nein, meine Damen und Herren, Freiheit und Sicherheit bedingen einander. Das eine kann ohne das andere in einem demokratischen Rechtsstaat nicht zur Geltung kommen. Wer immer unter demokratischen und rechtsstaatlichen Bedingungen eine Sicherheitsarchitektur errichtet, hat dies auf dem Fundament von Vertrauen, auf dem Fundament der Verfassung und von demokratischer Legitimation zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jede Sicherheitsarchitektur, die diese Kriterien missachtet, wird auf Dauer nicht überleben; denn die Bürgerinnen und Bürger werden ihr zu Recht den Boden entziehen, und sie wird damit in sich zusammenfallen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Politik wird lernen müssen, dass sie bei diesem komplexen Thema tatsächlich Neuland betreten muss, wenn ich das unter Rückgriff auf ein Zitat der Bundeskanzlerin einmal so sagen darf. Wenn wir alle das Internet als einen Ort der Freiheit erhalten wollen, dann müssen wir auch lernen, das Internet besser zu verstehen, und zwar vor allem von seiner technischen Seite her.

Der US-amerikanische Rechtswissenschaftler Lawrence Lessig hat schon vor 15 Jahren deutlich gemacht, wen er für die entscheidende Regulierungsmacht in der digitalen Kommunikationswelt hält. „ Code is law“, hat er gesagt. Es sind also nicht die von Staaten verabschiedeten Gesetze, die das Internet regulieren, sondern es ist der Code. Es sind die Programme, die Software, und die technischen Architekturen und Standards, die das Sagen haben und den Ton angeben. Man muss diese Bewertung in ihrer Absolutheit nicht teilen. Ich selbst teile sie nicht, weil ich als Jurist naturgemäß an die positive Geltung und Durchsetzung staatlich gesetzten Rechts glaube, insbesondere an Normen, die Verfassungsrang haben. Aber die These von Professor Lessig macht gerade in Bezug auf unser Problem eines deutlich: In der globalen digitalen Kommunikation ist die Wirksamkeit staatlichen Rechts begrenzt. Solange wir weltweit kein gemeinsam geteiltes Grundrechtsverständnis haben – und von einem solchen sind wir schon im transatlantischen Verhältnis, jedenfalls in Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weit entfernt –, so lange wird ein regulatives Vakuum existieren. Dieses Vakuum wird von technischen Normen und Standards ausgefüllt. Wer sie beherrscht, der regiert, wenn man so will, auch das Internet, und damit sind wir mitten in der Debatte über Internet Governance.

Für mich ist es besonders wichtig, dass wir mit der Ausschussarbeit schnell beginnen. Der Ausschuss wird sich nach seiner heutigen Einsetzung in der ersten Sitzungswoche im April konstituieren. Wir sollten keine Zeit verlieren und bereits unmittelbar nach der Konstituierung des Ausschusses und der Klärung der Verfahrensfragen gemeinsam die ersten Beweisanträge auf Beiziehung von Akten beschließen. Wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit und zum Glück auch am Anfang unserer Legislaturperiode. Wir können gründlich und zügig arbeiten, aber eben ohne jeden Zeitdruck.

Dass die Einsetzung des Ausschusses auf der Grundlage eines gemeinsamen Antrages im Parlament erfolgt – das ist bereits von meinen Vorrednern erwähnt worden –, ist ein erster großer Erfolg. Es war ein mühsamer Weg; ich glaube, diese Mühe hat sich gelohnt. Dass alle Fraktionen an einem Strang ziehen, ist ein sehr gutes Signal; denn unsere Arbeit im Ausschuss wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern aufmerksam beobachtet werden. Die Bürger werden zu Recht Antworten auf die gestellten Fragen einfordern, die elementare Grundrechte unserer Verfassung betreffen, Grundrechte, die ihre Wurzeln nach unserem Verfassungsverständnis in der Unantastbarkeit der Menschenwürde haben.

Herr Kollege!

Ich komme zum Schluss. Von mir selbst kann ich sagen: Ich bin hochmotiviert, freue mich auf ein kollegiales Miteinander aller Ausschussmitglieder und auf eine erfolgreiche Ausschussarbeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist Dr. Stephan Harbarth, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3231340
Wahlperiode 18
Sitzung 23
Tagesordnungspunkt Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (NSA)
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta