21.03.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 24 / Tagesordnungspunkt 16

Christoph SträsserSPD - EU-Afrika-Gipfel

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch ich bin sehr froh darüber, dass es gelungen ist, nach den vielen afrikapolitischen Debatten, die in dieser Legislaturperiode schon stattgefunden haben, nunmehr eine zu führen, die sich nicht in erster Linie mit militärischen Interventionen auseinandersetzt. Ich glaube, das ist gut. Eine solche Fokussierung wäre auch falsch. Sie ist – das habe ich in der Debatte bezüglich Mali bereits gesagt – auch nicht inkludiert, wenn man über Verantwortung in der Außenpolitik redet. Es wäre ein völlig falscher Ansatz. Verantwortung für diese Länder bedeutet in erster Linie Krisenprävention und Einsatz für Menschenrechte. Damit kann verhindert werden, dass es zu solchen Interventionen kommt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist hier schon viel über militärische Intervention gesagt worden. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten über viele Begrifflichkeiten in der Außenpolitik gesprochen. Der Begriff „Verantwortung“ wurde mit Attributen wie zynisch und heuchlerisch kommentiert. Anfang April werden wir hier – es gibt einen entsprechenden Antrag –, aber auch vor Ort des Genozids in Ruanda gedenken. Das sollten wir uns noch einmal in Erinnerung rufen.

Sehr viele Menschen nicht nur in diesem Land, sondern auch in anderen Ländern und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen – ich knüpfe an den Aufruf von Amnesty International an – fordern uns dringend auf, nicht wieder wie 1994 sehenden Auges einen beginnenden Genozid zuzulassen. Ich frage Sie allen Ernstes: Ist es heuchlerisch und zynisch, wenn wir sagen, dass die Zentralafrikanische Republik im Moment eine militärische Intervention braucht, damit ein sich anbahnender Genozid verhindert wird? Ich finde, es ist verantwortungsvoll, dass wir darüber nachdenken.

Meine ganz persönliche Meinung ist: Die Entsendung von einem oder zwei Transportflugzeugen ist für mich zu wenig. Ich unterstütze die Franzosen bei dem, was sie dort tun, nämlich diesen sich anbahnenden Genozid zu verhindern, damit wir in 20 Jahren nicht wieder hier stehen und darüber klagen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir sprechen hier – das ist völlig richtig – über verschiedenste Formen der Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern. Es ist von Herrn Minister Müller angesprochen worden, dass unser Blick auf Afrika der Situation der Staaten auf dem afrikanischen Kontinent möglicherweise nicht gerecht wird. Natürlich gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Natürlich haben wir unterschiedliche Ansätze in Bezug auf die Staatlichkeit, die Rechtsstaatlichkeit sowie auf die Bestrafung von schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Meine Damen und Herren, ich finde es zu einfach, zu sagen, dass die komplette Politik der Bundesrepublik Deutschland und der EU ausschließlich darauf ausgerichtet ist, eigene Interessen zu formulieren und durchzusetzen, und dass die Menschenrechte – quasi als Deckmantel – nur am Rande eine Rolle spielen. Ich finde, das ist eine sehr problematische Diskussion. Das will ich auch an ein, zwei Beispielen deutlich machen.

Wir und insbesondere die Kollegin Groth haben im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe in der letzten Legislaturperiode immer sehr deutlich darauf hingewiesen, dass wir mit der Menschenrechtssituation in Ägypten, einem nordafrikanischen Land, das sich in einem schwierigen Transitionsprozess befindet, nicht einverstanden sind. Das gilt insbesondere für den Sinai, wo es Menschenhandel und andere Dinge gibt.

Wir haben Gespräche mit dem ägyptischen Botschafter geführt. Ich hatte vor drei Tagen noch einmal – in Anführungsstrichen – das „Vergnügen“. Ich habe mit den Kolleginnen und Kollegen aus Ägypten über die Situation in ihrem Land geredet und ihnen gesagt – das sagen wir alle im Übrigen –: Die Situation auf dem Sinai ist nicht haltbar. Die Situation dort muss verändert werden; denn dort geschehen elementare Menschenrechtsverletzungen. Dabei geht es um Menschenhandel, Organentnahmen und vieles mehr. – Zeigen wir, wenn wir das kritisieren, etwa mit dem Finger auf andere Länder und wollen nur eigene Interessen umsetzen? Oder verzichten wir darauf, auf Menschenrechtsverletzungen schwerster Art hinzuweisen, wenn sie sich auf dem afrikanischen Kontinent abspielen?

Ich habe vorletzte Woche im Menschenrechtsrat in Genf schwer für eine gemeinsame Entschließung mehrerer europäischer Länder gearbeitet, um auf die Situation in Ägypten aufmerksam zu machen. Das ist richtig, und das ist gut. Ich finde, wir haben, gerade in Anbetracht unserer Partnerschaft, nicht nur das Recht, sondern auch die Verpflichtung, über solche Situationen in den afrikanischen Ländern zu reden und natürlich auch darauf hinzuweisen, dass wir den Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen, von Staatlichkeit unterstützen wollen. Dass es diese nicht gibt, ist doch Teil der großen Probleme in vielen afrikanischen Ländern.

Es gibt viele Länder, die sich sehr gut entwickeln. Das gilt zum Beispiel für Ghana; es gibt noch andere Beispiele. Es gibt aber eben auch Länder, wo es nicht funktioniert. Wir haben aufgrund der sehr intensiven Zusammenarbeit, auch im entwicklungspolitischen Bereich, das Recht, zu sagen: Wenn es im Osten der Demokratischen Republik Kongo keine Staatlichkeit mehr gibt, dann ist es die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland und der EU, auf Veränderungen hinzuwirken. Diese Veränderungen zu unterstützen, ist keine Einmischung in die Angelegenheiten der Demokratischen Republik Kongo, wo es nach wie vor schwerste Menschenrechtsverletzungen gibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist auch unsere Verpflichtung, etwas zu tun. Es ist doch eine Verhandlung auf Augenhöhe. Es ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes mit Arroganz und westlicher Besserwisserei. Wir mahnen dort die Umsetzung von internationalen Menschenrechtsverträgen an, die all diese Staaten unterschrieben haben. Sie haben sie nicht unter Druck unterschrieben. In Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist die Würde des Menschen klar definiert. Darauf müssen wir diese Länder hinweisen. Im Übrigen kritisieren wir Menschenrechtsverletzungen auch bei uns. Wenn wir das im eigenen Land tun, dann ist es auch unser Recht, dies in Bezug auf andere Länder zu tun.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen – Herr Kekeritz hat das Thema LGBTI angesprochen –: Im Moment ist Alice Nkom in Deutschland zu Besuch. Alice Nkom ist eine Menschenrechtsverteidigerin aus Kamerun. Sie ist ungefähr 70 Jahre alt und war im Jahre 1969 die erste schwarze Frau in Kamerun, die zur Anwaltschaft zugelassen worden ist. Sie hat am Dienstag hier in Berlin den 7. Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International erhalten. Thema war der Kampf gegen Homophobie in Kamerun – nur in Kamerun. Frau Nkom hat gestern Abend im Auswärtigen Amt eine, wie ich finde, beeindruckende Rede über das, was sich in Kamerun entwickelt, gehalten. Ich kann nur sagen – ich weiß, dass die Bundeskanzlerin dieses Thema auf dem EU-Afrika-Gipfel ansprechen wird –: Es kann, gerade unter Geltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nicht sein, dass wir Homophobie durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bitte Sie, sich intensiv anzuschauen, was sich im Moment in diesem Zusammenhang in einigen afrikanischen Ländern abspielt. Dies betrifft nicht nur Uganda. Es gibt diese Tendenzen – darüber haben wir oft gesprochen – auch in der Demokratischen Republik Kongo und in anderen Ländern. Es gibt dazu – das wusste ich gar nicht – seit 1962 eine Gesetzgebung in Kamerun.

Eine aus meiner Sicht klare Botschaft ist: Homophobie, die Verfolgung von LGBTI-Menschen ist nicht nur in Deutschland, wo die Strafbarkeit von homosexuellen Handlungen noch nicht sehr lange abgeschafft ist, sondern auch in Afrika eine ganz wichtige Angelegenheit. Hier müssen wir weiter ansetzen. Wir müssen nicht nur Frau Nkom, die mir gesagt hat, dass sie sich gefährdet fühlt, sondern allen Betroffenen dieser Menschenrechtsverletzungen im Zweifel Hilfe und Unterstützung anbieten. Das bedeutet auch, denjenigen, die sich damit befassen, in den Ländern, in denen sie arbeiten, konsularischen und Botschaftsschutz zu gewähren. Sie machen eine ganz wichtige Arbeit in diesem Feld, auch für uns und unsere Werte. Ich finde, das sollten wir insgesamt ganz massiv unterstützen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was lehren uns die Anträge und all die Erklärungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten hier abgegeben haben? Ich – Sie haben das gemerkt – sehe die Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent insbesondere unter dem menschenrechtlichen Aspekt. Ich sage: Die Wahrung der Menschenrechte dort wie auch bei uns ist die Basis für vernünftige Beziehungen. Die Basis für vernünftige Beziehungen ergibt sich aber nicht aus Entwicklungen, die wir anderen Nationen, anderen Ländern aufgeben, sondern aus freiwilligen Vereinbarungen in den großen menschenrechtlichen Verträgen. Ich finde, es ist unsere Verpflichtung, auch hier im Parlament darauf hinzuweisen.

Ich sage – allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinder, sondern in dem Bewusstsein, dass die Umsetzung und Durchsetzung der Menschenrechte in Europa und Deutschland vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Einführung des demokratischen Wahlrechts nach dem Ersten Weltkrieg immerhin 250 Jahre gedauert hat –: Wir sollten von diesen Nationen und Menschen nicht erwarten, dass sie innerhalb von wenigen Wochen und Monaten das erreichen, wofür wir und unsere Vorfahren jahrzehntelang gekämpft haben. Wir sollten einen Diskurs führen und durch gemeinsame Anstrengungen dafür sorgen, dass Grundrechte und Menschenrechte weltweit Geltung haben. Dafür sind sie geschaffen worden. Das ist der konstruktive Beitrag, den ich meine, wenn ich sage: Deutsche Interessen gibt es in der ganzen Welt. Ein Teil der deutschen Interessen besteht darin, dazu beizutragen, dass alle Menschen auf dieser Welt unter den gleichen Voraussetzungen, nämlich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, leben und ihre Würde erhalten bzw. bekommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Nun hat der Kollege Frithjof Schmidt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3232487
Wahlperiode 18
Sitzung 24
Tagesordnungspunkt EU-Afrika-Gipfel
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta